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© Kai-Uwe Heinrich tsp

Wegen Personalmangels: Der alltägliche Wahnsinn an Berliner Bürgerämtern

Wer sich in Berlin nicht anmeldet, verstößt gegen das Meldegesetz. Es gibt nur leider kaum Termine. Mancher Bezirk kapituliert, andere schicken die Bürger weg. In den Ämtern geht es drunter und drüber.

Auf den Fluren der Bürgerämter gibt es zunehmend Ärger. Weil bereits im Dezember bewilligte Zusatzkräfte meist erst im Spätsommer zur Verfügung stehen, drohen in den Berliner Bürgerämtern vor der Hauptreisezeit neue Engpässe. Bereits jetzt führen die langen Wartezeiten zu massenhaften Verstößen gegen das Berliner Meldegesetz. Und damit nicht genug: Nachdem in Neukölln jetzt die eigenen Einwohner bevorzugt werden, obwohl alle Berliner Bürgerämter allen Berliner Bürgern offenstehen, gibt es obendrein Streit zwischen den Bezirken.

Stadtrat Stephan von Dassel (Grüne) aus Mitte ist sauer: „Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf schicken aus den Schlangen vor ihren Bürgerämtern inzwischen verabredungswidrig Wartende in ihre Heimatbezirke zurück.“ In Charlottenburg-Wilmersdorf weist Stadträtin Dagmar König (CDU) die Vorwürfe des Nachbarbezirks zurück. Lediglich in Einzelfällen könne es geschehen, dass ein Bürger abgewiesen werde, beispielsweise bei einem hohen Krankenstand der Mitarbeiter.

„Wir weisen niemanden ab und verstoßen so auch nicht gegen die berlinweite Zuständigkeit der Bürgerämter“, betont auch ihr Neuköllner Kollege Thomas Blesing (SPD). Da man der letzte Bezirk sei, in dem Kunden noch generell auch ohne Termin berücksichtigt werden, hätten sich allerdings häufig Warteschlangen von bis zu 200 Personen gebildet, mehr als man verkraften könne. Deshalb werden Wartende jetzt nach ihrer Herkunft befragt. Wer aus Neukölln stammt, erhält einen kurzfristigen Termin innerhalb der nächsten Tage. Bürger anderer Bezirke müssen dagegen analog zur Reservierung per Internet oder Telefon sechs bis acht Wochen warten. Viele Betroffene würden daraufhin freiwillig in ihre Heimatbezirke zurückkehren.

Einige Bezirke hätten die heutigen Engpässe mit verursacht, weil sie den vom Senat in den vergangenen Jahren geforderten Personalabbau auf die Bürgerämter konzentrierten, kritisiert Thomas Blesing. Dies sei einfach gewesen, weil man die Kunden zu Nachbarn wie Neukölln abschieben konnte. Unter der neuen Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sei man nicht länger bereit, diese Last zu tragen.

Andere Bezirke sehen den Alleingang ziemlich kritisch. In Reinickendorf hält Blesings Parteifreund Uwe Brockhausen (SPD) die Zulässigkeit des Neuköllner Modells für fraglich, weil es keine Gleichbehandlung aller Berliner gewährleistet. „Wir sehen uns nicht in der Lage, Kunden aus anderen Bezirken abzuweisen oder Pankower vorrangig zu bedienen“, sagt auch dort Stadtrat Torsten Kühne (CDU) im Hinblick auf die stadtweite Zuständigkeit aller Bürgerämter. „Wir weisen keine Bürger aus anderen Bezirken ab, das entbehrt auch jeglicher Grundlage“, sagt die Leiterin des Spandauer Bürgeramtes, Anke Lausecker. „Ein gegenseitiges Vorrechnen von Personalabbau ist kontraproduktiv“, findet Stadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) aus Friedrichshain-Kreuzberg. „Wir helfen uns gegenseitig nicht mit solchen Dingen“, meint Dagmar König in Charlottenburg-Wilmersdorf. Im Juni soll die Problematik von den Bezirksstadträten mit dem Innenstaatssekretär erörtert werden.

Indessen haben die langen Wartezeiten auf einen Bürgeramtstermin dazu geführt, dass in Berlin zunehmend gegen das Meldegesetz verstoßen wird. Dieses besagt, dass Zu- oder Umzüge binnen zwei Wochen angemeldet werden müssen. Erst ab einer Fristüberschreitung von drei Monaten droht allerdings ein Verwarnungsgeld von zehn Euro, das sich bei jedem weiteren Monat um fünf Euro erhöht, heißt es bei der Innenverwaltung. In manchen Bezirken wird angesichts der Terminlage selbst dann nicht kassiert. Es sei eine Kann-Bestimmung, sagt Dagmar König in Charlottenburg-Wilmersdorf. „Das sehen wir sehr großzügig, denn wir kennen das Problem“. „Wir erheben keine Verwarnungsgelder“, so auch der Neuköllner Thomas Blesing.

Ende 2014 hat der Finanzsenator den Bürgerämtern 31 zusätzliche Stellen – vorerst befristet auf zwei Jahre – genehmigt. Charlottenburg-Wilmersdorf erhält als Spitzenreiter fünf Stellen, gefolgt von Marzahn-Hellersdorf und Pankow mit jeweils vier. Neukölln bekommt ebenso wie Mitte und Lichtenberg jeweils nur eine Zusatzkraft. Wegen der langen Vorlaufzeit durch Ausschreibung und Einarbeitung wird die Aufstockung aber erst in der zweiten Jahreshälfte zum Tragen kommen. So drohen angesichts der bevorstehenden Hauptreisezeit neue Engpässe. „Derzeit sind die Verhältnisse in allen Berliner Bürgerämtern sehr bedenklich“, sagt Anke Lausecker in Spandau. „Es ist zu befürchten, dass sich die Situation aufgrund der anstehenden Sommerferien verschärfen wird.“

In Neukölln wird das kleinste Bürgeramt in Rudow über den Sommer für zehn Wochen geschlossen. „Auch meine Leute müssen irgendwann Urlaub nehmen, wir brauchen das Personal, um es als Verstärkung an den anderen Standorten einzusetzen“, so Stadtrat Blesing. In Reinickendorf werden die montags und freitags üblichen, terminfreien Sprechstunden bis Ende August eingestellt, weil man „völlig überlaufen“ ist, sagt Uwe Brockhausen. Mehrere 100 Meter lange Schlangen und stundenlange Wartezeiten könne man den Bürgern – rund ein Drittel kommt hier aus anderen Bezirken – nicht zumuten.

In Lichtenberg versteht Stadtrat Andreas Prüfer (Linke) die Debatte um die „terminfreien“ Sprechstunden nicht. Er verweist auf eine Vereinbarung der Bezirke, wonach seit Dezember allen Bürgern bei persönlicher Vorsprache zumindest „ein Vorschlag zur Klärung ihrer Anliegen“ unterbreitet werden soll. So kommt in der Regel viel früher zum Zuge, wer persönlich am Infotresen im Amt erscheint. Denn um hier eine Reserve zu haben, stellen die Bezirke längst nicht alle Termine ins Internet, das auch von der Telefon-Telefonnummer 115 als Plattform genutzt wird, verrät der Kommunalpolitiker. „Der Spontankunde wird so zum Terminkunden“, sagt Anke Lausecker in Spandau. Die Zeitnähe des Termins hänge von vielen Faktoren ab, grundsätzlich sei man um individuelle Lösungen bemüht. Wer eine dringliche Angelegenheit glaubhaft machen kann, wird spontan bedient oder erhält einen Termin spätestens an einem der nächsten Tage, so auch der Pankower Torsten Kühne. Das führt aber auch wieder zu größerem Andrang. Durch die erneut wachsende Zahl von Besuchern ohne Termin sind die Schlangen fast so lang und die Warteräume fast so voll wie früher, klagt Stephan von Dassel in Mitte.

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