East Side Gallery: Denkmalschützer prüfen Bußgeld
Jim Avignons neues Bild an der East Side Gallery wird heftig diskutiert. Er selbst sieht keinen Anlass, die Aktion rückgängig zu machen. Denkmalschützer befinden sich rechtlich auf "schwierigem Terrain".
Sollte ein Shitstorm der Entrüstung via Internet über ihn hereinbrechen, dann würde er vielleicht die Übermalung übermalen, aber so...
Aktionskünstler Jim Avignon macht ein paar Tage Urlaub im Spreewald, dort checkt er gelegentlich seine Mails. Bislang habe es auf sein neues Bild an der East Side Gallery nur positive Reaktionen gegeben, „vor allem aus Künstlerkreisen“, erzählt Avignon am Telefon. Also gebe es derzeit keinen Anlass, die Malaktion vom Wochenende rückgängig zu machen. Avignon hatte es im Gegensatz zu anderen Mauerkünstlern immer abgelehnt, sein denkmalgeschütztes Originalbild von 1990 nachzumalen. Schließlich habe er sich künstlerisch weiterentwickelt. „1999 ist das Bild zuletzt von russischen Kunststudenten renoviert worden“, sagt Avignon. Seitdem wurde es von unzähligen Sprayern und „Ich war hier“-Touristen bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Wie berichtet, wird die Fläche nun seit Sonnabend komplett mit neuen Avignon-Figuren bevölkert, die aktuelle Berlin-Themen verkörpern. Die Denkmalschützer im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg überlegen noch, wie sie auf die Übermalung der East Side Gallery reagieren sollen – „wir prüfen“, sagt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne).
Man befinde sich juristisch betrachtet und auch sonst auf „schwierigem Terrain“. Eine Abwägung zwischen Urheberrecht, Denkmalschutz, Nutzungsrechten und Bindungsfristen– „sehr verwickelt“. Herauskommen könnte ein Ordnungsgeld oder die Anweisung, den alten Zustand wiederherzustellen.
Für Mauerkünstler Ken Alavi von der Künstlerinitiative East Side Gallery ist die Sache klar: Die Gallery existiere nur solange wie die Bilder, für die sie weltweit bekannt wurde. Mauer und Kunstwerke stünden als untrennbare Einheit unter Denkmalschutz. Am Donnerstag habe er einen Termin beim Denkmalschutz, sagt Avignon. Ein Bußgeld würde ihn wohl nicht zum Übermalen veranlassen, vermutet er. Auch nicht eine Klage von Mauerkünstlern.
Stadtrat Panhoff konstatiert das Wiederaufflammen einer Debatte: Kann (und soll) man Straßenkunst musealisieren? Sollte die Gallery nicht besser wechselnde Kunst ausstellen? In diese Debatte sollten sich auch die Senatsbehörden einschalten. Die Akteure der Initiative „East Side Gallery retten“ haben „keine einheitliche Meinung“, so Sprecher Lutz Leichsenring. Persönlich könnte er sich Übermalungen vorstellen, wenn sie auf hohem Niveau stattfänden und die Teilung der Stadt thematisierten. Allerdings sieht er auch die "Gefahr, dass die Mauer zu einer Sprayerwand" verkommt.
Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien begrüßt ausdrücklich Avignons Malaktion. Er verleihe seinem Kunstwerk "nachträglich eine prozessuale Dimension". Das setze frische Akzente im öffentlichen Raum und schaffe Aufmerksamkeit. "In der Kunst gibt es immer Vordenker und Traditionalisten. Avancierte Kunst aber sucht das Weiterdenken und strebt Veränderung an."