Senioren am Steuer: "Demenzkranke wollen oft noch fahren"
Bloß nicht den Schlüssel wegnehmen: Wie Angehörige ihren demenzkranken Eltern das Autofahren ausreden können.
Wie gut kann man mit einer Demenz noch Auto fahren?
Zu Beginn der Krankheit können Erkrankte das Defizit noch gut kompensieren und fahren teils noch Strecken im bekannten Umfeld. Irgendwann erleiden sie einen Orientierungsverlust. Betroffene finden dann den Weg nicht mehr nach Hause oder suchen verzweifelt das Auto auf dem Parkplatz. Dass Problem ist allerdings, dass ein Demenzkranker fast immer von sich sagen wird, ich kann noch fahren. Menschen mit Demenz können ihre eigene Erkrankung nicht wahrnehmen. Und deshalb kommt es vor, dass Erkrankte in falscher Einschätzung auch weitere Strecken mit dem Auto fahren. Was, wenn die Familie nicht darauf aufpasst, große Gefahren mit sich bringt, da sie den Straßenverkehr gar nicht mehr richtig wahrnehmen können.
Wie gehen die Angehörigen meistens mit dieser neuen Situation um?
Angehörige sind zunächst oft überfordert oder sie befinden sich in einer Abhängigkeit zur Mobilität. Nehmen Sie ein älteres Ehepaar. Der Ehemann, klassisch, hat den Führerschein. Die Ehefrau eventuell nicht. Jetzt haben beide ein Problem. Der Erkrankte soll nicht mehr fahren, Einkäufe und Besorgungen müssen aber erledigt werden. Die Frau wird das Defizit ihres Mannes also wohl eher verdrängen.
Machen die Kinder dabei auch viel falsch?
Aus Angst vor rechtlichen Folgen fordern Kinder häufig von ihren Eltern, den Führerschein abzugeben. Ein Demenzkranker wird aber nicht verstehen, warum. Den Führerschein abgeben, das ist bei uns eng mit einer Straftat verknüpft und daher kann der Betroffene keinen Bezug herstellen, er hat ja nichts falsch gemacht. Für andere ist das Verstecken des Autoschlüssels eine erste Lösung. Wenn aber einem Menschen mit Demenz der Führerschein, der Geldbeutel oder der Schlüssel genommen wird, kann der Betroffene erst recht keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er wird suchen und suchen. Der Effekt ist, er wird verwirrter sein als vorher, er wird es überhaupt nicht verstehen, weshalb er jetzt nicht mehr fahren soll.
Was ist außerdem die Gefahr dabei?
Die Gefahr ist, dass zum Beispiel eine Mutter ihren Sohn nicht mehr akzeptieren wird, denn er hat sie bestohlen, ihr etwas ganz Wichtiges im Leben genommen – diesen Führerschein, der für Selbstständigkeit und Teilhabe steht. Unter Umständen wird sie ihm das nicht mehr verzeihen. Einige Tage später weiß sie vielleicht von der konkreten Situation nichts mehr, aber sie wird sich merken, dass ihr Sohn ihr etwas ganz Schlimmes angetan hat. In vielen Familien kann dies zum Vertrauensbruch führen und die Kinder verlieren den wichtigen empathischen Zugang zum Betroffenen.
Was schlagen Sie sonst vor?
Man könnte für die Brieftasche eine Kopie des Führerscheins machen, mit dem Vermerk „Demenz“. Statt den Schlüssel zu verstecken, kann man versuchen, einen Zweitschlüssel vom Autohändler zu bekommen, der aber nicht passt. Es wäre auch möglich, zu vermitteln, dass das Auto in der Werkstatt ist – für ganz lange Zeit. Dann empfiehlt es sich allerdings, mit dem Autohändler zu sprechen und ihn über die Erkrankung zu informieren. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass ein Demenzkranker zum nächsten Autohändler geht, um sich ein neues Auto zu kaufen. Das hat es alles schon gegeben.
Damit sind die Probleme aber nicht gelöst, oder?
Wir müssen in Deutschland dringend die Frage klären, wie wir im Alter mobil bleiben können. Die Zahl der Demenzkranken wird weiter steigen, die Betroffenen müssen aber auch weiter in das gesellschaftliche Leben integriert werden. In Riedlingen haben wir einen bürgerschaftlichen Fahrdienst für Demenzkranke eingerichtet. Hier braucht es noch viele weitere Ideen. Ich denke, das bürgerschaftliche Engagement ist unverzichtbar in der weiteren Versorgung und Mobilität.
Michael Wissussek leitet die Seniorengenossenschaft in Riedlingen, in der insbesondere Menschen mit Demenz gepflegt werden. Das Gespräch führte Saara von Alten.
Saara von Alten