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Ein Mann, ein Video. Firas Alshater will noch neun weitere Videos drehen – natürlich immer mit dem grüngelben Sofa.
© Kai-Uwe Heinrich

Syrischer Internetstar Firas Alshater: Das Sofa der Verständigung

Vor zweieinhalb Jahren kam Firas Alshater aus Syrien nach Berlin. Nun hat er ein Video über die Deutschen gedreht – und ist plötzlich ein Internetstar.

Der Plattenbau ragt unscheinbar hinter dem Ostkreuz hervor. Darin, im sechsten Stock, steht ebenso unscheinbar ein Sofa. Grüngelb gestreift, ist es zuletzt zu einigem Ruhm gekommen.

Der Grund für die Aufmerksamkeit sitzt darauf; Schneidersitz, leicht untersetzt, vollbärtig mit gutmütigen Augen. Firas Alshater sieht in diesem Moment ein bisschen aus wie ein Buddha. Ein Buddha mit Laptop. Mit eben dem hat er vor wenigen Tagen ein Video ins Netz gestellt, und das ging, wie man in der digitalen Welt so sagt, viral. In der analogen Welt heißt das: durch die Decke. Und wie das meist so ist im Internet, hatte vorher niemand damit gerechnet, am allerwenigsten Firas Alshater selbst.

Die Welt soll die Wahrheit über Syrien erfahren

Man kann seine Geschichte traurig erzählen, von einem, der wegen ein paar Handyfilmchen eingesperrt und gefoltert wurde. Man kann sie auch glücklich erzählen, von einem, der in Deutschland nicht nur einen Job, sondern auch ein neues Leben gefunden hat. Doch wer verstehen will, wie Firas Alshater über Nacht zu einem kleinen Internet-Star wurde, braucht beide Seiten.

Kapitel eins ist das traurige: Alshater wird vor 24 Jahren in Damaskus geboren, lebt mit seiner Familie meist in der syrischen Hauptstadt, manchmal in Homs. Damals müssen beide Städte noch wunderschön gewesen sein, heute sind sie Trümmer und Ruinen. Alshater studiert gerade Schauspiel, als er beschließt, die Tyrannei des Assad-Regimes nicht mehr stillschweigend hinnehmen zu wollen. Also beginnt er, Fotos und kleine Videos ins Internet zu stellen. Die Welt soll sehen, was in Syrien vor sich geht.

Nur: Auch Assads Männer bemerken das. Erst fliegt er von der Uni, dann wird er grundlos verhaftet und eingesperrt. Die Regierung wirft ihm alles Mögliche vor: Er sei ein Terrorist, ein Mörder. Als er nichts gesteht, wird er geprügelt. Andere haben weniger Glück als er. „Wir haben die Wachen um Hilfe gebeten, wenn manchmal jemand sterbend auf dem Boden lag. Aber uns wurde gesagt: ,Ruft noch mal, wenn er tot ist, dann werfen wir ihn auf den Müll’“, erinnert sich Alshater. Neun Monate dauert die Tortur an, bis er endlich freigelassen wird.

"Deutschland ist jetzt meine Heimat"

Kurz darauf soll das zweite große Kapitel in Alshaters Leben beginnen, das glückliche. Nur, wie bei so vielen modernen Geschichten aus Syrien, gibt es zunächst noch ein trauriges Intermezzo. Ausgangspunkt ist der Plattenbau am Ostkreuz. Hier sitzt eine kleine Filmproduktionsfirma um Geschäftsführer Jan Heilig, die gerade den Film „Inside Syria“ produziert. Dafür reist der Filmemacher Tamer Alawam in sein Heimatland Syrien. Mit der Kamera will er den Krieg in aller Klarheit einfangen. Doch während der Dreharbeiten wird er von einer Granate getroffen. Die Verletzungen sind so schwer, dass er ihnen einen Tag später erliegt.

Aber die Filmemacher am Ostkreuz geben nicht auf, sie wollen den Film unbedingt fertigstellen. Dazu brauchen sie einen neuen Reporter – und sie finden Alshater. Gemeinsam vollenden sie das Projekt.

Alshater und Heilig, das Team funktioniert gut. So gut, dass der Syrer sich entscheidet, seine zerstörte Heimat zu verlassen und nach Deutschland zu kommen. Dort fängt er einen Job in Heiligs Firma an, der mit dem grüngelb gestreiften Sofa. Das ist zweieinhalb Jahre her, als sich noch nicht so viele Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen. Alshater hat Glück, der gefährliche Weg über das Mittelmeer bleibt ihm erspart, weil er ein Arbeitsvisum bekommt. Er kann mit dem Flugzeug einreisen. Er arbeitet heute immer noch in derselben Firma, hat eine eigene Mietwohnung in Mitte, sein Deutsch ist hervorragend. „Deutschland“, sagt Alshater, „ist jetzt meine Heimat.“

Hier tanzen die Menschen, dort sterben sie

Bis es soweit kommt, muss der 24-Jährige jedoch sehr viel mehr als nur die Sprache lernen. An dem Wochenende, als er in Berlin landet, findet gerade der Karneval der Kulturen statt. Für ihn ihn es ein Zusammenprall der Kulturen. Hier tanzen die Menschen, dort laufen sie um ihr Leben; hier die Schnapsleichen, dort die echten. „Das musste ich erst einmal verarbeiten“, sagt Alshater. „Das war sehr viel auf einmal.“

Und weil Alshater nun beide Welten kennt, setzt er sich irgendwann auf das grüngelb gestreifte Sofa und fragt in die Kamera: „Wer sind eigentlich die Deutschen?“ Sind wir „Pegida“ oder „Refugees Welcome“? Um das herauszufinden, stellt er sich mit verbundenen Augen auf den Alexanderplatz und lässt sich umarmen. „Ich bin Syrer, ich vertraue dir. Vertraust du mir?“, steht auf einem Pappschild vor ihm. Erst einmal will niemand etwas von ihm wissen, aber dann kommt er aus dem Umarmen gar nicht mehr heraus. „Wenn die Deutschen erst einmal anfangen, dann hören sie überhaupt nicht mehr auf“, erklärt Alshater aus dem Bildschirm grinsend.

Mit dem Video trifft er einen Nerv

Eigentlich war das Video nur als Gag für seine Freunde gedacht. Aber es ist mehr als nur ein Scherz, es ist auch eine kleine Brücke zwischen denen, die kommen, und denen, die sich vor ihnen fürchten. Und weil das so ist, wird das Video zum Hit. Rund 3 000 000 Mal ist es schon angeklickt worden, Alshater bekommt tausende Kommentare, die allermeisten überschwänglich positiv. Neun weitere Videos sollen folgen. Doch schon jetzt ist er eine kleine Berühmtheit. Drei Stunden vor der Kamera, dann eine Anfrage einer Talkshow beantworten, noch schnell Radiointerviews geben, die Washington Post hat auch schon angefragt. So geht das seit Tagen. Und alle wollen ihn auf dem grüngelben Sofa ablichten. „Irgendwann versteigere ich das, bringt bestimmt viel Geld“, sagt Alshater lachend.

Er freut sich über den Trubel, auch wenn er sichtbar erschöpft ist. Doch Firas Alshater lässt es buddhamäßig über sich ergehen. Denn er weiß, dass er jede Aufmerksamkeit braucht, um weitere Brücken zu bauen. Und er weiß besser als die meisten anderen, wie wichtig diese Brücken geworden sind.

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