Berlin: Das Schlagerschiff
Klaus Zagermanns „Hafenbar“ feiert 40. Geburtstag
So leer ist die Tanzfläche in der „Hafenbar“ selten. Berliner Partygänger gröhlen hier sonst aus vollen Kehlen zu Wolfgang Petry oder Udo Jürgens. An diesem Abend aber ist es etwas leiser, nur Klaus Zagermann steht auf dem Parkett. „Ich bin gerührt“, sagt er ins Mikrofon. Der graubärtige Mann nimmt in Anzug und Krawatte Gratulationen entgegen, denn dies ist sein Tag. Die Hafenbar ist 40 Jahre alt geworden, und seit 40 Jahren ist Zagermann ihr „Kapitän“, wie er selbst sagt. Alte Weggefährten sind gekommen. Ute, die schon als Jugendliche von ihrer Mutter zum Tanzen mitgenommen wurde und nun selber in die Jahre gekommen ist. Die Sängerin Jenny Kallabis, die in den achtziger Jahren in der Bar sang. Auch ein gebrechlich wirkender Mann mit schneeweißem Haar ist unter den Gästen. Er war technischer Leiter der Handelsorganisation (HO), die in der DDR über die Kneipen wachte.
„Wir waren relativ unantastbar“, erinnert sich Zagermann. In der Partei war er aber nicht, betont er. Bis zum Minister amüsierten sich die DDR-Oberen in seiner Bar, in der damals noch Livemusik gespielt wurde. Staatsgäste wurden regelmäßig mitgebracht, um die Weltoffenheit der Republik zu demonstrieren. „Maritim“ sollte die „Hafenbar“ sein, so lautete 1967 der Wunsch der HO. Teile aus der Inneneinrichtung des Bananendampfers „Theodor Storm“ bestimmten fortan das Ambiente. Aus Aquarien glotzten große Fischaugen die Tanzenden an. Auch zwei Notlösungen sollten zum Markenzeichen werden. Für die Holzvertäfelung der Decke war kein Geld mehr da. Also wurde ein Fischernetz über den ganzen Raum gespannt, das noch heute da hängt. Und die Schaukeln an der Bar gibt es nur, weil die geplanten Hocker nicht lieferbar waren.
Für Zagermann hat vor allem das Urige großen Anteil am Erfolg: „Hier ist alles echt und zum Anfassen. Das Holz vermittelt Wärme und Gemütlichkeit.“ Die Schlager sind alt, die Einrichtung ist alt, nur die Gäste, die sind oft jung. „Es ist irre, wie die Leute sich hier in den Armen liegen“, erzählt Zagermann. Wer hätte gedacht, dass die Nachtschwärmer in Berlin schon um 22 Uhr Schlange stehen, um zu Schlagern zu tanzen?
Das war nach der Wende anders. „Über Nacht wurde hier zugemauert“, berichtet Zagermann. Die Hafenbar erstreckte sich zu DDR-Zeiten über zwei Häuser, heute ist nur noch die Hälfte des Platzes da. Der Strom wurde abgestellt, die Fische trieben tot in den Aquarien. Doch Zagermann machte weiter. „Wir haben viel versucht, mal mehr und mal weniger erfolgreich.“ Irgendwann machten sich die steigenden Mieten und die Arbeitslosigkeit bemerkbar, die Gäste blieben aus. Aber die „Stimmen in Aspik“-Partys mit ihrer Schlagermusik haben seit 1996 die Hafenbar wieder nach oben gebracht, obwohl ihre Zukunft permanent auf der Kippe steht. Der Hausbesitzer, ein Geschäftsmann in New York, verlängert den Mietvertrag immer wieder nur kurzfristig.
Der „Kapitän“ bereitet sich schon auf den Tag vor, an dem er von Bord geht. In der Bar ist Zagermann nur selten, meist hält er sich in seinem Pankower Restaurant „Norman’s“ auf. Dort kocht Bodo Lehmann, der bis 1984 auch schon in der Hafenbar die Speisen bereitete. Über seinen Chef weiß er nur Gutes zu berichten: „Der ist einer von denen, die sagen: leben und leben lassen“, erzählt er. „Kumpel“ nennt er ihn und erinnert sich an die Zeit, als noch keine Türsteher nötig waren. Wenn es Ärger gab, ist erst der Chef runtergegangen. Manchmal hieß es: „Los, Bodo, unten gibt’s Ärger“, erzählt Lehmann. Dann kamen die Kellner, die Küche und die Musiker, bis manchmal nur noch einer spielte.
Diese Zeiten sind für Zagermann vorbei. Der 65-Jährige hat zwei Söhne. Einer von denen wird die „Hafenbar“ übernehmen, da ist er sich sicher. Den Job als Türsteher müssen sie nicht mehr selbst machen.Matthias Jekosch
Hafenbar, Chausseestr. 20 in Mitte, freitags ab 21 Uhr, sonnabends ab 22 Uhr
Matthias Jekosch
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