Berliner Stadtentwicklung: Das Projekt Kreuzberg hat sich erledigt
Zalando auf der Cuvry-Brache? Das klingt wie eine Groteske, ist aber das Scheitern einer alternativen Lebensanordnung. Und das ist wirklich schade. Eine Kolumne.
Auf den ersten Blick ist es die übliche Kreuzberger Gefechtslage: Ein Investor kommt mit richtig viel Geld und einem großen Bauprojekt – die Bezirkspolitik fürchtet um „Kiezstrukturen“ und Anwohner schimpfen, so habe man sich die Veränderung nicht vorgestellt. Auf den zweiten Blick wirkt das, was sich an der Schlesischen Straße im tiefsten SO 36 abzeichnet, wie eine etwas zynische Realsatire: Ausgerechnet das Internet-Unternehmen Zalando will auf der Cuvry-Brache zwei große Bürogebäude beziehen.
Realsatire? Aber klar: Der Groß-Digitalisierer des Handels mit Jeans, Sneakers und modischen Schlüpfern macht sich an einem Ort breit, wo sich 2014 der erste Slum der glänzenden Metropole Berlin entwickelte, und, wie in Kreuzberg üblich, sich selbst überlassen wurde. Auf den dritten Blick markiert das Zalando-Projekt jenseits dessen, was Satire begreiflich macht, so etwas wie einen Endpunkt – den Endpunkt der Kreuzberger Andersartigkeit.
Womöglich wird diese Kreuzberger Andersartigkeit denen, die für Zalando ab 2019 in SO 36 irgendwo auf der Welt Kapuzenjacken ordern und Aufträge an das Logistikzentrum am Autobahnring mailen, nichts mehr sagen. Womöglich ist „Kreuzberg“ für sie eine Marke wie „Pepe Jeans“. Ironischerweise fällt die Entstehung dessen, was heute viele für die Marke Kreuzberg halten, ungefähr zusammen mit den Geburtsjahren der Zalando-Investoren Marc, Oliver und Alexander Samwer (1970, 1972, 1975).
Keinen Erfolg haben und trotzdem gut leben, das ging in Berlin lange gut
Doch war Kreuzberg weniger als Marke gedacht denn als Projekt: ein Groß-Versuch, anders zu leben als bürgerlich oder kleinbürgerlich, was Tagesabläufe, Beziehungen und Erwerbsmodelle anbelangte. Nicht alle hatten damit Erfolg, und viele wollten wohl auch gar keinen Erfolg. Und es ging lange gut, in Kreuzberg: keinen großen Erfolg zu haben, aber genug zum Leben; mit irgendeinem Laden oder in einer Firma ohne Chef genug zu verdienen, um über die Runden zu kommen, eine Möglichkeit der Existenz, jedenfalls in West-Berlin. Daran zu erinnern ist notwendig, weil besetzte Häuser, alternative Betriebe, Genossenschaften, bewohnte Fabriketagen und Kneipen mit Rohbau-Charme Kreuzberg zu dem gemacht haben, was es 1989 war, als die Mauer fiel: das geografische und soziale Ende West-Berlins, um das sich keiner kümmerte. Ein Mythos mit Abschreckungspotenzial. Was man am Ende West-Berlins so weit gut fand.
Aber seit einem Vierteljahrhundert geschieht hier, was die einen als Modernisierung bejubeln und die anderen mit dem bösen, bösen G-Wort kritisieren. Wie Gentrifizierung funktioniert, muss nicht noch mal beschrieben werden. Ein Spaziergang zum Beispiel an den Spree-Ufern zeigt es längst.
Wer bloß auf Rendite schielt, kann sich Stadtentwicklung auch sparen
Das Groteske an „Zalando auf der Cuvry-Brache“ liegt nicht daran, dass Kreuzberg schneller gentrifiziert wird als die meisten anderen Innenstadtbezirke. Es liegt an etwas anderem: Ein Internet-Betrieb, in dem Geld mit dem Ordern, Packen und Hin- und Hersenden von Paketen verdient wird, bezieht ein Grundstück, das über 15 Jahre die Sperrigkeit Kreuzbergs im großstädtischen Modernisierungsprozess bewies. Es gab einen Investor, es gab Pläne (Gewerbe, hochwertiges Wohnen), es gab Verhandlungen mit der Politik (Sozialwohnungen, bitte bitte!), nichts ging voran. Die Brache behauptete sich als Brache, bis jetzt. Ein höchst realer, eine Zeit lang auch analog begehbarer öffentlicher Raum mit begrenztem Charme und Erholungswert.
Nun füllt sich die Brache. In die nostalgisch „Spreespeicher“ genannten neuen Zalando-Büros werden alsbald viele hundert arbeitsame Lohnsteuerzahler ziehen, die sicher gern in der Nähe wohnen und ihre Freizeit verbringen möchten (dafür wohnt man schließlich in einer Großstadt). Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen mag sich nicht freuen. Per Twitter sieht er die „Disneyfizierung“ des Kiezes und „höhere Mieten“ kommen. Wie seit den Tagen der Initiative „Mediaspree versenken“, die die Ufer in Kreuzberg für die Öffentlichkeit erhalten wollte, sieht die Bezirkspolitik der Entwicklung zu und erschöpft sich in Twitter-Kommentaren. Und die Senatspolitik, die von dem leibhaftigen Gentrifizierungs- und Verstaatlichungs-Fachmann Andrej Holm beraten wird? Die twittert nicht mal.
Aber ist es nicht das, was Kreuzberg braucht? Endlich raus aus den roten Zahlen? So kann argumentieren, wer findet, dass das Geld und der Handel die Stadtentwicklung bestimmen. Stadtentwicklungspolitik braucht man dann nicht mehr.
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