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Zwischen den Stelen. Rund acht Millionen Menschen haben das Holocaust-Mahnmal in den fünf Jahren seit der Eröffnung besucht. Das Erinnerungsfoto zwischen den 2711 Betonquadern ist inzwischen ein Pflichttermin für Touristen.
© Mike Wolff

Fünfjähriges Jubiläum: Das Mahnmal lebt

Seit fünf Jahren erinnert Peter Eisenmans Stelenfeld in Mitte an die Opfer des Holocaust und hat sich im Stadtbild längst etabliert - als Gedenkstätte, architektonische Glanzleistung und touristischer Höhepunkt.

Es ist, wie es schon am ersten Tage war: Noch immer fühlst du dich bedrängt, wie eingeschlossen, wenn du durch die Reihe der Betonquader gehst, da, wo sie am höchsten sind. Vier Meter siebzig! Dich begleiten nur noch Enge und Hilflosigkeit durch die Stille in diesem Labyrinth – bis irgendwo ein Kind ganz unbeschwert von einer Lücke zur nächsten hüpft oder jemand seine Freundin fotografiert, wie sie, gefangen zwischen den Mauern, lächelnd posiert. Vor fünf Jahren wurde das Holocaust-Mahnmal als Denkmal für die ermordeten Juden Europas eingeweiht, längst gehört es zu den touristischen Höhepunkten und architektonischen Glanzleistungen in dieser Stadt – ein Ort, den man gern besucht, wie damals Bundeskanzler Gerhard Schröder hoffte und wie es dann auch gekommen ist.

Früh liegt das Mahnmal an der Ebertstraße, zwischen der amerikanischen Botschaft und den Landesvertretungen, noch im Dämmerschlaf, die Sonne huscht über die schiefergraue Oberfläche der 2711 Betonstelen, deren unterschiedliche Anordnung ein dynamisches Spiel von Schatten und Licht bewirken. Jogger keuchen vorbei, die erste Schulklasse ist da, Unterricht im Stelenfeld steht auf dem Stundenplan. Kurz vor zehn bereiten Studenten, die am unterirdischen Ort der Information den Einlass regeln, alles Nötige vor. Jeder Gast bekommt ein Faltblatt mit Informationen, „bitte machen Sie ihr Handy aus, fotografieren Sie nicht mit Blitz und begeben sich zur Sicherheitskontrolle“. Wie am Flughafen. Für die Polizei ist dies ein „sicherheitsrelevanter Bereich“.

An der Hannah-Arendt-Straße parken die ersten Touristenbusse, das geht so weiter den ganzen Tag. Geschätzte acht Millionen Menschen sollen seit dem 10. Mai 2005 am, im und unter dem Mahnmal gewesen sein, aber wer hat sie gezählt? Niemand, der sich die Mühe in diesem fast 20 000 Quadratmeter großen innerstädtischen Labyrinth gemacht hätte, wie auch? Manche laufen ein paar Schritte in dieses nach allen Seiten offene „Denkmal“, andere verlieren sich darin. Und viele gehen die 33 Stufen hinab in den „Ort der Information“, um zu hören und zu lesen, zu welch einer Schande Deutschland zwischen 1933 und 1945 fähig war. Im Halbdunkel der Räume begegnen uns die Schicksale von einigen als die Stellvertreter von sechs Millionen Juden, die ermordet wurden – Stille und Flüstern, wo man schreien möchte, aber vor Scham schweigt und geht, ins Licht dieses Frühlingstages. Im Gästebuch stehen die Beweise für das Funktionieren dieses Ortes: „Herzliche Gratulation zu dieser Stätte. Und: Danke!“ - „Thank you for this, we shall never forget!“ – „Man findet keine Worte für das, was man hier fühlt“. – „Wie gut, dass kein Eintrittsgeld jemals jemanden davon abhalten kann, sich diese Ausstellung anzusehen“.

Die Mahnmalsstiftung hat 18 breite Ordner, etwa drei Regalmeter mit Eintragungen von Besuchern aus aller Welt, „fünfzig Prozent sind ausländische Gäste, und die Leute haben einfach das Bedürfnis, am Ende ihre Gedanken und Gefühle niederzuschreiben“, meint Uwe Neumärker, der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Daneben gibt es noch den Förderkreis für das Denkmal, der seit Ende der achtziger Jahre die Idee für das Mahnmal gehabt hat – „ohne deren Vorsitzende Lea Rosh und ihren Mitstreiter, den Historiker Eberhard Jäckel, würde es dieses Stelenfeld von Architekt Peter Eisenman nicht geben“, sagt Uwe Neumärker voll Anerkennung für die Beharrlichkeit der beiden Initiatoren, die ihr Jubiläum am morgigen Mittwoch ab 17 Uhr am Mahnmal mit einer Bürgerfeier begehen.

Befürchtungen, dass dies offene Denkmal missbraucht werden könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Es gab zwei Unfälle durch unstatthaftes Springen von Stele zu Stele, ganz selten Schmierereien: „Das Stelenfeld strahlt eine gewisse Würde aus“, sagt Uwe Neumärker, „dem kann sich niemand entziehen“. Der Ort ist kein Friedhof, wenn auch manchmal wie jüngst von salutierenden italienischen Militärs Kränze oder öfter Rosen und Steine auf die Stelen gelegt werden. „Besonders eindrucksvoll sind für uns die Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden“, sagt der Stiftungsdirektor, „sie sind von der Stätte überwältigt. Sie weinen. Und sehen in dem Mahnmal ein symbolisches Grab. Das sind für uns Momente, die zählen. Dafür hat sich das alles hier gelohnt“.

Der Steinwald wird noch in hundert Jahren stehen, 200 Meter neben der Stelle, an der sich Adolf Hitler vor 65 Jahren erschoss und direkt über dem Bunker von Joseph Goebbels. Irgendwie passt das alles zusammen in dieser Stadt, in der die Geschichte auf der Straße liegt. Selbst die millimeterfeinen Risse, die manche Stelen wie vom Blitz getroffen durchmustern (und die Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sind) haben noch ihre Symbolik: Nichts ist beständig. Auch Steine verändern sich. Und die hellen Schlieren, die aus den innen hohlen Quadern hervorquellen – könnten das nicht vielleicht sogar Tränen sein?

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