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Fashion wo? Hier erwartet man nicht unbedingt Modenschauen.
© Mauersberger/Imago

Fashion Week in Wedding: „Das ist super ätzend hier“

Wieder einmal musste die Fashion Week dem Fußball weichen. Passen Fashion Week und Eisstadion zusammen? Fazit nach dem zweiten Versuch: geht so.

Wenn je ein Bauarbeiter High Heels gehasst hat, dann war es derjenige, der für den Zugang zum Erika-Heß-Eisstadion zuständig war. Vielleicht hat er aber auch nur ungeschickt versucht, mit dem Beton ein leicht aufgewühltes Meer nachzuahmen. Oder er hat die Wellen und Buckel im Beton als Testlauf komponiert, so nach dem Motto: Wer sich aufs Eis begibt, soll erstmal schauen, dass er heile hinkommt.

„Ich hatte die Wahl zwischen Heels und Chucks. Hab mich für Heels entschieden“, sagt die angehende Modedesignerin Masha Root. „Ein Fehler.“ Sie balanciert auf zehn Zentimeter hohen Hacken über die Buckelpiste hin zum Erika-Heß-Eisstadion, wo in dieser Woche zum zweiten Mal die Fashion Week stattfand. Bisher stand das modische Epizentrum in Gestalt eines höchst umstrittenen Zelts zweimal jährlich auf der Straße des 17. Juni mit einem Ausblick aufs Brandenburger Tor, der schöner kaum sein könnte. Dieses Mal aber gehört das Brandenburger Tor den Fußballfans und ihren Schland-Girlanden. Schon jetzt ist sicher: Das Zelt kehrt dorthin nicht zurück. Wo es weitergeht, ist derzeit noch unklar. Im Eisstadion, so viel ist klar, ist im Winter ein Eisstadion. Ein neuer Ort muss her.

Ob es ein prominenter Ort ist, oder so einer wie der hier, ist Masha Root egal. Hauptsache die Modewoche findet überhaupt statt in Berlin, was in den vergangenen Jahren durchaus umstritten war. Beim Selfie-Machen muss Masha aber erst mal gucken, dass im Hintergrund nicht Fahrradleichen zu sehen sind, die am Eisengeländer über dem Pankekanal lehnen.

„Das ist super ätzend hier“

Überhaupt ist der 60er-Jahre-Bau ein aparter Kontrast zum Anblick der schön gestylten Fashionistas, die in diesen Tagen dem U-Bahnhof Reinickendorfer Straße entströmen.

Vor dem Eisstadion direkt an der ehemaligen Mauerlinie hat Sponsor Mercedes Benz kleine Vorbauten aufgestellt. Sie verdecken den tristen Betonbau allerdings nur auf den ersten Blick. Dahinter ragen dicke, dreckig graue Balken in die Höhe. „Das ist super ätzend hier“, sagt Kira Bejaoui. Die Modebloggerin ist gemeinsam mit drei Kolleginnen gekommen und offenbar keine Freundin des wilden Berliner Nordwestens. Sie hat die erste Show des Tages gleich mal verpasst, Taxi stand im Stau und „bis man dann mal hier draußen ist, dauert das ja auch“.

Das Erika-Heß-Stadion liegt zwar innerhalb des S-Bahn-Rings, aber für diese vier Mädels ist das hier schon am Ende der Welt. Sie seien zu vielen Shows eingeladen, aber ob sie hier noch mal herkommen, wissen sie nicht, sagt Gisa Froemming. Sie betreibt den Blog „Nordisch Nobel“ und das Wellenmeer vorm Eisstadion tut ihren Schuhen nicht gut. „Ich will jetzt echt hier weg“, ruft Bejaoui und läuft Richtung Ausgang. Ab ins Hotel und die Fotos von ihren Outfits und der Show auf Instagram stellen. In aller Ruhe, weit weg vom Blaulicht und der dreckigen Chausseestraße, die ein paar Meter weiter nördlich in die Müllerstraße übergeht, die Weddinger Nord-Süd-Achse.

Offiziell Gesundbrunnen, gefühlt Wedding

Teile Weddings zählen seit Jahren zu den Brennpunkten der Stadt. Die Osloer Straße oder der Soldiner Kiez sind bekannt für Drogen und Gewalt. Wedding zählte auch im Armutsbericht 2015 wieder zu den Problemvierteln, vor allem nördlich des S-Bahn-Rings. Aber nicht mehr lange, sagen einige. „Der Wedding kommt“ ist eine dieser Legenden, die sich seit Jahren hartnäckig halten– zu sehen ist davon wenig im ehemaligen Arbeiterviertel. Im unmittelbaren Umfeld des Erika- Heß-Stadions tut sich etwas. Direkt nebenan wurde der Pachtvertrag mit einem Campingplatz nicht verlängert, nach Aussage der Bezirksstadträtin soll hier eine Grundschule für 450 Kinder entstehen. An manchen Ecken machen sich tatsächlich Kreative und Studenten breit, wie etwa in der Uferstraße zwischen Nauenerplatz und Pankstraße. Offiziell Gesundbrunnen, gefühlt bleibt es Wedding. Hier gibt es das überteuerte Café Pförtner vor den Ateliers der Uferhallen-Künstler auf der einen Seite der Panke und die verrauchte Eckkneipe Trümmerlotte auf der anderen. Weiter südlich treffen sich auf dem Leopoldplatz die Rast- und Heimatlosen. Ein paar Minuten die Straße runter beginnt der Sprengelkiez, das "Prenzlauer Berg" des Wedding.

Auf dem Weg zum Stadion sind die Fotomotive allerdings rar. Es geht vorbei an einem Sexshop, der Jugendhilfe und einem tristen Wohnhaus, das mit Satellitenschüsseln gespickt ist wie mit Pockennarben. „Hier wohnt Hartz IV“, sagt Sabine und deutet mit ihrer Kneifzange auf den Betonbunker. Sie beschneidet gerade Rosen auf einem Grünstreifen direkt neben der Buckelpiste. Die Berlinerin freut sich über die feschen Menschen, die da zum Eisstadion strömen. „Da kann man bei der Arbeit Leute gucken. Vielleicht kommt ja Rihanna, aber die steigt dann sicher nicht hier vorne aus.“ Auch sie habe sich schick gemacht, sagt sie lachend und zupft an ihrer grauen Arbeitskleidung mit dem grünen Wisag-Logo auf der Brust.

„Fashion is da drüben“

Auch Polizeikommissar Schmidt findet sein blaues Hemd ausreichend schick. „Man muss ja auch nicht jeden Trend mitmachen“, sagt er und deutet auf die verschnörkelten schwarzen Ledersandalen eines jungen Mannes. Schmidt und seine Kollegen von der Wache an der Pankstraße regeln den Verkehr an der Einfahrt zum Eisstadion. Sie kümmern sich darum, dass die Shuttle-Flotte gut rein- und rauskommt. Die meisten Gäste kommen und gehen ohne den Gehsteig zu betreten und bewegen sich nur innerhalb des Geländes. Mehr Wedding wäre wohl zu viel, obwohl es hier an der Ecke auch einen super Inder gibt, sagt Schmidt.

Die wenigen Fashion-Week-Gäste, die mit der U6 kommen, erkennt man sofort. Am U-Bahnhof sind plötzlich viele außergewöhnlich schöne Menschen in extravaganter Kleidung, die verwirrt auf die BVG-App ihres Smartphones starren. Ein junges Mädchen in einem schicken Kleid drückt an der Ampel auf ihrem Handy herum. Ein weißer Kastenwagen hält neben ihr und ein Mann in Bauarbeiter-Montur lehnt sich aus dem Fenster. „Fashion is da drüben“, sagt er, Kippe im Mundwinkel, und deutet auf die Einfahrt zum Stadion.

Auf der anderen Straßenseite sitzt Al Jamal in seinem Späti neben dem Sexshop an der Kasse. Die Regale sind halbleer. Al Jamal ist aus dem Libanon. Auf die Frage, wie lange er schon in Deutschland ist, sagt er nur „lange lange“. Sein Raucherhusten hallt durch den leeren Laden. Die Leute von der Fashion Week lassen sich hier nicht blicken, sagt er. Al Jamal hofft, dass vielleicht am Abend ein paar für ein Bier kommen. Prosecco hat er nicht im Angebot. Mitarbeit: Elisabeth Binder

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