Jan Stöß zu Volksentscheid und Tempelhofer Feld: „Das ist eine zutiefst konservative Bewegung“
Berlins SPD-Chef Jan Stöß spricht darüber, warum er Stillstand fürchtet, falls der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld Erfolg hat, und warum die Neubaupläne allen nutzen.
Die Abstimmung über die Bebauung des Tempelhofer Feldes wird auch eine über die Politik der Koalition. Mobilisieren Sie deshalb jetzt mit einer Plakat-Kampagne?
Am 25. Mai geht es um den Weg, den Berlin in den nächsten zehn Jahren gehen wird. Trauen wir uns zu, das Wachstum Berlins sozial zu gestalten, damit die Stadt für alle bezahlbar bleibt, oder zementieren wir Stillstand, indem jede Veränderung bekämpft wird? Diese Stillstandsideologie ist zutiefst provinziell.
Trotzdem bleibt die Koalition allein mit ihrem Gesetzesentwurf, die anderen Fraktionen im Abgeordnetenhaus stehen nicht hinter Ihnen. Schade, oder?
Ja, denn eigentlich bräuchten wir einen breiten Wohnungsbau-Konsens, der weit über Tempelhof hinausreicht. Eine verlässliche Verständigung darüber, wo wir in der Stadt welche Flächen für den Wohnungsneubau nutzen, die unabhängig von wechselnden Koalitionen und Zählgemeinschaften im Abgeordnetenhaus und in den Bezirken Planungssicherheit bietet. Die Versorgung der Berliner mit Wohnraum ist die große soziale Frage in diesem Jahrzehnt, dem muss sich auch die Opposition stellen. Immer dagegen sein, das reicht nicht, um das Problem bezahlbarer Mieten in den Griff zu kriegen.
Und die wird mit dem Bau von sieben- und zehngeschossigen Hochhäusern auf dem Tempelhofer Feld gelöst?
Hier wird doch zum Teil Desinformation betrieben. Bisher ist nur konkret, dass 1700 Wohnungen am Tempelhofer Damm gebaut werden und mindestens die Hälfte davon für sechs bis acht Euro Miete pro Quadratmeter vermietet wird. Die sind auch für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen erschwinglich. Zusammen mit den Baufeldern am Südring und an der Oderstraße ist der Bau von 4700 Wohnungen möglich.
Das nennen Sie lockere Bebauung?
Es bleibt eine behutsame Bebauung an den Rändern des riesigen Feldes. Dagegen wurde bei der Sammlung der Unterschriften für das Volksbegehren zuweilen der Eindruck vermittelt, dass das ganze Feld zugebaut wird. Die große Freifläche in der Mitte wird durch unseren Gesetzesentwurf gesichert – und zwar für immer. Es ist überhaupt bemerkenswert, dass es uns gelungen ist, das Feld zu erhalten. Dass es nicht privatisiert wurde, ist eine Leistung der SPD. Das haben wir genauso durchgesetzt – wie die Einstellung des Flugverkehrs.
Sie fordern auch den Bau der Zentral- und Landesbibliothek?
Die SPD bekennt sich dazu, dass es einen Neubau für die ZLB geben soll, um die beiden bisherigen Standorte zusammenzuführen. Aber die ZLB ist nicht Gegenstand der Abstimmung. Der Gesetzesentwurf der Initiative sieht übrigens nicht nur keine Bebauung, sondern überhaupt keine Gestaltung des inneren Feldes vor. Die Initiatoren des Volksentscheids denken nur an Kitesurfer und Diabolo-Spieler. Uns ist aber wichtig, dass sich alle auf dem Feld aufhalten und man sich auch einmal im Schatten auf eine Bank setzen kann und dass Vereine dort wettkampfgerechte Sportplätze bekommen. Für die Vereine in Neukölln, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg ist das enorm wichtig, weil es dort einen erheblichen Mangel an Sportplätzen gibt. Und die gute Nachricht ist doch, dass Kite-Surfen und Diabolo-Spielen trotzdem möglich bleibt – auf 230 Hektar.
Aber mehr als 200 000 Berliner haben sich gegen die Baupläne ausgesprochen, das ist fast schon eine Volksbewegung.
Vonseiten der Initiatoren ist es eine zutiefst konservative Bewegung, die sich gegen jede Veränderung in der Stadt richtet. Viele wussten vermutlich gar nicht, was das Volksbegehren alles beinhaltet. Durch diesen Gesetzesentwurf wird jede Gestaltung des inneren Parks verboten. Es muss erlaubt sein, eine Parkbank aufzustellen und Bäume zu pflanzen.
Und wenn der Entscheid Erfolg hat?
Dann würde es auch überall sonst in der Stadt 100 % Stillstand heißen und keine Bebauung nirgends. Das wäre für die Entwicklung Berlins eine Katastrophe. Wohnungsbau in der Innenstadt findet immer in der Nachbarschaft statt. Wir brauchen aber dringend Wohnungsbau, weil die Stadt und der Mietmarkt ein Wachstum der Bevölkerung um 50000 Menschen im Jahr sonst nicht verkraftet.
Der Koalitionspartner CDU sieht das anders und auch die Grünen.
Die Grünen sind in der absurden Situation, dass sie jetzt einen Gesetzesentwurf unterstützen, der das Gegenteil von dem fordert, was sie selbst eigentlich wollen, nämlich bezahlbaren Wohnraum schaffen. Da komme ich nicht mehr mit. So kann man nicht mit dem Volkswillen umgehen. Ich hätte mir gewünscht, dass es einen Konsens für eine behutsame Bebauung unter den Fraktionen im Abgeordnetenhaus gegeben hätte.
Jan Stöß, 40, ist SPD-Landeschef in Berlin. Er stellt sich am 17. Mai der Neuwahl und startet am Donnerstag eine Plakatkampagne für die Neubaupläne auf dem Flugfeld Tempelhof.