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© ullstein - ADN - Bildarchiv

Bornholmer Strasse: Das Gute an der Bösebrücke

Der Mauerfall machte die Bornholmer Straße weltberühmt. Heute erinnert nur wenig an die glücklichen Ereignisse.

Eine merkwürdige Straße: Ihr Name wird in diesen Jubiläums-Wochen immer wieder genannt, wenn vom Mauerfall die Rede ist, und doch macht sie sich nichts daraus, gibt nicht an, ist bescheiden und will nichts Besonderes sein. Für die seit 1903 sogenannte Bornholmer Straße muss der neugierige Stadtspaziergänger seine Fantasie bemühen: Seit 20 Jahren flimmern in einer Endlosschleife diese historischen Szenen über die Schirme, bewegende Bilder von der nächtlichen Grenzüberschreitung und von jubelnden Ost-Menschen, die gekommen waren, um Schabowski sofort, unverzüglich beim Wort zu nehmen. Kurz nach 23 Uhr gab Oberstleutnant Harald Jäger den Befehl „Macht den Schlagbaum auf!“. Das Buch „Der Mann, der die Mauer öffnete“ beschreibt die Gedanken des ratlosen Grenzwächters in diesem Moment: „Das Bild unterscheidet sich gänzlich von den theoretischen Bedrohungsszenarien der Vergangenheit. Ein massenweiser Ansturm auf eine Grenzübergangsstelle war zur Horrorvision stilisiert worden. (...) Nun aber sieht er keineswegs eine aggressive, rachelüsterne Meute vor sich, sondern fröhliche Menschen, die jubeln und tanzen. Harald Jäger erlebt den feindlichen Akt gegen die Staatsgrenze der DDR als riesiges Volksfest.“

Pro Stunde laufen in dieser Nacht der Nächte 20 000 Menschen freudetrunken über die Bösebrücke, so sagt es jedenfalls die Stimme aus dem Lautsprecher einer jener Tonsäulen, die von der Stiftung Berliner Mauer an der einstigen Grenze installiert worden sind. Daneben liegt ein Stück Mauer mit einer Gedenkplatte: „An der Brücke Bornholmer Straße öffnete sich in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 erstmals seit dem 13. August 1961 die Mauer. Die Berliner kamen wieder zusammen.“ Alle Jahre wieder am 9. treffen sich die Leute mit ihrem Bezirksbürgermeister, gedenken, lassen Kerzen leuchten. Diesmal hat sich sehr hoher Besuch angesagt: Die Kanzlerin geht mit Lech Walesa und Michail Gorbatschow über die Bösebrücke.

Versinkt danach die einstige GÜST („Grenzübergangsstelle“) wieder in ihren Dauerschlaf? Niemand hatte bisher die Absicht, mit einem weißen Strich mitten auf der Bösebrücke jene Stelle zu markieren, wo die eine Welt zu Ende war und die andere begann. Es gibt keine Bildertafeln vom Grenzübergang, von den Baracken und Abfertigungshäuschen, kein Wachtturm, nichts. Alle Beteiligten hatten Willy Brandts Vision „Berlin wird leben und die Mauer wird fallen!“ sehr ernst genommen. Nur rechts, wenn man von der Schönhauser Allee kommt, stehen noch die Platten der Hinterlandmauer als Schutz der Kleingartenanlage Bornholm I, wilder Wein wächst über die Beton-Leinwand der Sprayerszene. Genau hier wird bald ein „Platz des 9. November 1989“ entstehen, mit Infotafeln, Zierkirschen und in den Boden eingelassenen rostigen Stahlbändern. Bis zum Sommer 2010 soll das Areal gestaltet sein – für 350 000 Euro aus dem einstigen SED-Vermögen.

Gegenüber, wo früher die Grenzhäuschen standen und später ein Autogeschäft, liegt grauer Asphalt auf der Geschichte, daneben dehnt sich ein wildes Biotop, ein Mauerpärkchen mit Unkraut und Unrat, „aber die Leute mögen das, vor allem die Kinder zum Spielen“, sagt der Musiker Andres Sulca aus Peru, der nach der Wende kam, mit seiner Panflöte und den Süßkirschenaugen die Berlinerinnen bezirzte und hier einzog: Ruhige Gegend, diese Finnländische Straße, aber „man müsste auf dem Platz ein Festival machen, internationale Musik, das passt doch in dieses Viertel mit den nordischen Straßennamen“. „Det war bis 89 Jrenzjebiet“, erzählt eine ältere Frau, die uns für Touristen hält, „absolut tote Hose“ war das damals, viele sind weggezogen, weil sie für jeden Besucher einen Passierschein beantragen mussten. „Die DDR hatte für alles vorgesorgt, und dann passiert so wat!“, sagt sie und zerrt an der Leine mit dem bellenden braunen Knäuel. „Nie wieder!“

Die Straßenbahn rollt über die Stahlbogenbrücke. Hie Prenzlauer Berg, da Gesundbrunnen. Die „Bornholmer“ ist eine breite Ost-West-Trasse, die Bäume am Rand schlucken den Lärm, je näher man zur Schönhauser Allee kommt, desto dichter sind die neuen Läden und internationalen Kneipen (vom Italiener zum Bayern zum Mexikaner bis zum Südamerikaner), es gibt auch „Angie’s Non- stop-Zimmervermietung“ mit zwei roten Herzen über dem Eingang, vielleicht war das mal eine ausgebaute Ladenwohnung oder ein Lokal der Nationalen Front – die „Goldene Hausnummer“, eine DDR-Auszeichnung für schönes Wohnen, prangt noch an den Eingängen, die meisten der vierstöckigen Häuser sind saniert.

Leute, die hier vor 20 Jahren die Grenzöffnung erlebt haben, sind rar. Schornsteinfeger Ingo Detner, der im Auftrag des Bezirksschornsteinfegers Roger Walter unterwegs ist, erklärt uns das. Ältere Bewohner flohen manchmal vor den finanziellen und bautechnischen Folgen einer Totalsanierung in andere Gegenden, größere Wohnungen wurden zu WG-Quartieren, kleinere, auch im Hinterhof, sind vor allem bei jungen Leuten begehrt. Überall gibt es neue Cafés, an deren Publikum der Einwohner-Austausch im Kiez abzulesen ist. Gute alte Kachelöfen – und damit Schornsteinfegers Kehrausgrundlagen – fallen Etagenheizungen zum Opfer, „dann geht die Miete hoch, bamm, und wir Schornsteinfeger sind ’raus“. Viele haben natürlich auch keine Lust mehr, Kohlen zu schleppen, sagt der junge Glücks-Mann. Als die Mauer fiel, war er elf Jahre alt und hat vor Freude übrig gebliebene Silvesterraketen gezündet. Wo? „Auf Fort Hahneberg. Ich bin ein Spandauer.“

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