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Inflagranti ertapppt. Friedrich Schoenfelder und Maria Brockerhoff in dem Film „Pension Clausewitz“ (1967) über einen angeblichen Stasi-Puff. Auch diese Geschichte wird im Buch erzählt.
© picture alliance /dpa

Buch über Berliner Skandale - zwischen Kaiserreich und West-Berlin: Das große Mauscheln an der Spree

Historikerin Regina Stürickow erzählt in ihrem neuen Buch unerhörte Geschichten über Berliner Skandale – von der Sexparty im Jagdschloss Grunewald bis zur Baupleite am Kreisel Steglitz.

Ein Berliner Polizeipräsident, der vor Gericht in Tränen ausbricht und gesteht, er habe von dem Angeklagten Darlehen, Aktien, Reisen, ja sogar Pyjamas und Zigarren als Geschenk erhalten – das hat das Zeug zu einer kuriose Filmszene. So geschehen 1926 im Prozess gegen den Unternehmer Julius Barmat. Es war die größte Korruptionsaffäre der Weimarer Republik, führende Sozialdemokraten hatten sich heillos darin verstrickt.

"Pfui!" riefen die Störer während der Opernpremiere

Auch eine größere Gruppe junger Leute, die während einer Opernpremiere permanent stänkert, laut lacht und „Pfui!“ ruft, ist eine Skandalgeschichte vom Feinsten. Der Tabubruch geschah am 23. September 1956. Im damaligen Opernhaus Berlin, heute das Theater des Westens, wurde die Oper „König Hirsch“ des avantgardistischen Komponisten Hans Werner Henze uraufgeführt. Schon nach den ersten Takten begannen die Störer im dritten Rang zu pöbeln. „Flegel!“, konterten Zuhörer von unten, „Idioten“ schallte es zurück. Das Ensemble spielte unbeirrt weiter. Am Tag nach der Blamage vermutete die Presse, es sei ein gesteuerter Protest gegen den progressiven Opernschöpfer gewesen.

Cover zum Buch "Skandale in Berlin"
Cover zum Buch "Skandale in Berlin"
© Repro: Tsp

Die aus den Fugen geratene Premiere gehört zu den vielen unglaublichen Geschichten, die sich in Berlin in den vergangenen mehr als hundert Jahren zugetragen haben. Insgesamt 16 der handfestesten Skandale im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, zur Nazizeit und in West-Berlin bis 1980 hat die Historikerin Regina Stürickow gesammelt und fesselnd erzählt. Alles ist drin: Gesellschaftsaffären und peinliche Polizeipannen, politische Machtintrigen, geschmierte Bauprojekte, Bürgschafts- und Kreditskandale oder Aufreger wie ein Bild, das die „Illustrierte Zeitung“ 1919 veröffentlichte: Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske, beide halb nackt in zu weiten Badehosen, ganz ohne Glanz und Gloria.

Über den angeblichen Stasi-Spionagepuff wurde später ein Spielfilm gedreht

Willkommen also zu einer Zeitreise durch die skandalöse Vergangenheit der deutschen Hauptstadt – von der Sexparty der höfischen Gesellschaft 1891 im Jagdschloss Grunewald über den Volksbeglücker oder besser -betrüger Max Klante auf der Galopprennbahn Hoppegarten in den 20ern bis zum angeblichen Stasi-Spionagepuff „Pension Clausewitz“ am Kurfürstendamm, über den 1967 sogar ein Spielfilm gedreht wurde. Und, na klar, auch die größte Baupleite der West-Berliner Jahre kommt vor – der Turmbau am Steglitzer Kreisel der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach. Es ist die perfekte spätabendliche Lektüre, jeweils vor dem Einschlafen noch ein Skandal als Betthupferl.

Auch Wilhelm II. kam gerne zur "Liebenberger Tafelrunde"

Also, blättern wir los. Der Fall Harden-Moltke-Eulenburg? Hier sind die Hauptpersonen: zum einen Journalist Maximilian Harden, der sich um 1900 mit Gesellschaftsstorys einen schillernden Namen machte. Weiter Fürst Philipp zu Eulenburg auf Schloss Liebenberg und Berlins Stadtkommandant Kuno von Moltke. Eulenburg lud Moltke regelmäßig zu seiner „Liebenberger Tafelrunde“ ein, bei der auch Kaiser Wilhelm II. gerne zu Gast war. Das missfiel dem Pressemann Harden, weil der Herrscher dort aus seiner Sicht politisch beeinflusst wurde und deshalb 1906 in der Marokkokrise keinen Krieg mit Frankreich riskierte. Verärgert machte Harden die homosexuellen Neigungen des Liebenberger Freundeskreises publik, löste eine Prozesslawine aus und erstmals eine Debatte über die Frage, wie weit Privates in die Öffentlichkeit gezerrt werden darf.

Konzernchef Julius Barmat schmierte die SPD

Die Pressefreiheit der Weimarer Republik war dann ein erster wichtiger Schritt im Kampf gegen die Korruption. Krediterschleichungen und Bestechungen machten Schlagzeilen, besonders heftig wurde die junge Demokratie durch den Barmat-Skandal erschüttert. Der jüdische Konzernchef Julius Barmat schmierte die SPD, war deshalb von Regierungsmitgliedern protegiert worden. 1924 wurde er bei einer filmreifen Aktion verhaftet. 300 Polizisten umzingelten die Barmat-Villa auf Schwanenwerder, man fürchtete, er könne mit seinem Rennboot entfliehen. Allerdings zeigten sich nun auch die Probleme der neuen Offenheit: Der Skandal wurde instrumentalisiert, Rechtsextreme entwarfen das Zerrbild eines sozialistisch-jüdischen Sumpfes.

Joseph Goebbels Affären wurden nur hinter der Hand erzählt

Die NS-Diktatur legte die Presse an die Leine. Nur hinter vorgehaltener Hand wurden Affären weitergetragen, so die Liebschaften von Propagandaminister Joseph Goebbels. Erst nach dem Krieg kamen Tricksereien wieder ans Licht. Undurchschaubare Steuererleichterungen und Zuschusstöpfe förderten bis zur Wende den Filz. Motto: Jeder kennt jeden und mauschelt mit jedem. Fortsetzung folgt? Stoff gibt es genug. Der BER wäre eine der besten Geschichten.

INFOS ZUM BUCH:
Regina Stürickow: Skandale in Berlin.
16 unglaubliche Geschichten 1890 bis 1980. Elsengold Verlag, Berlin. 176 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro

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