Überalterung, Online-Handel und Corona: Das große Ladensterben der kleinen Städte
In Elsterwerda machen immer mehr Läden dicht, es gibt keine Nachfolger. Das Problem haben viele Innenstädte Brandenburgs. Ein Besuch.
Eigentlich wollte er in eine Stadt im Westen der Bundesrepublik gehen, erzählt Ahmad Aktaa: „Aber dann hat mein Freund eine Anzeige von diesem sehr preiswerten Gebäude im Internet entdeckt und gesagt Lass es uns vielleicht doch hier probieren.“
Die beiden aus Syrien stammenden Freunde erwarben das kleine Häuschen in der Innenstadt von Elsterwerda, renovierten monatelang und richteten es liebevoll ein. Vor drei Wochen eröffneten sie den Imbiss unter dem Namen „Felfol“ und sind ganz zufrieden.
„Bislang läuft es gut“, sagt Ahmad Aktaa. Das ist keinesfalls selbstverständlich. Denn eigentlich ist der Imbiss die einzige Neueröffnung in Elsterwerdas Innenstadt seit längerer Zeit. Gewöhnlich machen hier eher die Läden dicht – wie gerade wieder zwei Geschäfte für Damen- beziehungsweise Kinderbekleidung.
Andere ziehen nur ein paar Kilometer weiter – in das Elster-Center, dem großen Einkaufsmarkt im Gewerbegebiet am Rande der knapp 8000-Einwohner-Stadt. Im vergangenen Herbst haben sich beispielsweise die Bekleidungsgeschäfte „Schneider-Moden“ und „Ernstings family“ dafür entschieden. Als Begründung nannten die Unternehmen unter anderem deutliche „Frequenzverluste“, weil die Innenstadt immer unattraktiver würde.
Dabei ist die Innenstadt von Elsterwerda auf den ersten Blick durchaus attraktiv: Gepflegte bunte Blumenkästen umrahmen moderne und teils überdachte Sitzgelegenheiten, die Rasenflächen sind sauber, Springbrunnen plätschern, und sogar eine Ladestation für E-Bikes gibt es. Das historische Hotel Arcus präsentiert sich mit frischem Anstrich und in vielen Schaufenstern werben Plakate für das große „Classic open air“-Konzert am kommenden Sonnabend auf dem Marktplatz mit Abstands- und Hygieneregeln. Vielleicht kommen dann mal wieder ein paar mehr Besucher.
„Bis zum Elster-Center schaffe ich es mit dem Rollator nicht mehr“
„Hier ist schon lange tote Hose“, sagt eine ältere Frau, die ihren Rollator schiebt. Sie zeigt auf jene Häuser, deren leere Schaufenster an die einstigen Läden erinnern: „Aber ich bin froh, dass überhaupt noch ein paar Geschäfte in der Innenstadt offen sind, denn bis zum Elster-Center schaffe ich es mit dem Rollator nicht mehr.“
Die Inhaberin des örtlichen Miederwarengeschäfts, Mandy Kühn, erzählt: „Wir leben tatsächlich vor allem von der Stammkundschaft.“ Nach der Corona-bedingten Schließung seien die Stammkunden nicht nur alle wiedergekommen, „sondern sie sagten uns auch, wie froh sie darüber waren“.
Laufkundschaft gibt es in Elsterwerdas Innenstadt kaum, höchstens ein paar Patienten, die zu den hier praktizierenden Ärzten gehen. Mandy Kühne hat das Geschäft von ihrer Schwiegermutter übernommen, die es 1990 eröffnet hatte, und ist damit fast schon eine Ausnahmeerscheinung. Das meint jedenfalls Yvonne Weser, die Vorsitzende des Gewerbevereins Elsterwerda.
Denn Corona habe die Probleme zwar noch verschärft, sagt sie, aber die wichtigste Ursache für das Verschwinden der Geschäfte aus der Innenstadt sei die Altersfrage: „Die meisten haben nach der Wende angefangen, waren da zwischen 30 und 45 Jahre alt. Die gehen jetzt alle nach und nach in den Ruhestand und finden keine Nachfolger.“
Angesichts der Coronakrise schon gar nicht, vermutet Yvonne Weser. Und für manche, die schon mal damit liebäugelten, aufzuhören, sei die unsichere Perspektive – die möglicherweise heranrollende zweite Welle – der letzte Anstoß, Schluss zu machen. Diese Situation sei durchaus typisch für den Einzelhandel in nahezu allen brandenburgischen Kleinstädten, sagt Christine Minkley, Regionalleiterin beim Handelsverband Berlin-Brandenburg.
„Vielleicht ist das auch eine Chance“
Corona habe nur noch deutlicher gemacht, dass sich die Lage durch Überalterung und fehlenden Nachwuchs, aber auch durch die Dominanz des Online-Handels weiter zuspitze. „Vielleicht ist das auch eine Chance“, sagt Christine Minkley: „Viele Einzelhändler erreichen inzwischen ihre Stammkunden auch über digitale Medien. In den Kommunen wächst sowohl bei den Politikern als auch bei den Händlern, Gastronomen, Kulturschaffenden und den Einwohnern die Einsicht, dass sie gemeinsam etwas tun müssen, um das Aussterben der Innenstädte zu verhindern.“
Initiativen dazu gibt es bereits, etwa den Innenstadt-Wettbewerb, der gemeinsam mit Industrie- und Handelskammern ausgetragen wird. Im vergangenen Jahr gehörte die Stadt Forst mit ihrem Zeitreise-Festival zu den Gewinnern. Außerdem müssten die Einzelhändler ihre Vorteile gegenüber dem Groß- und Onlinehandel noch viel konsequenter ausreizen, sagt Minkley. „Bei ihnen können die Kunden die Waren riechen, schmecken, fühlen und anfassen. Sie werden ganz individuell beraten, und zu ihnen können sie auch wieder kommen, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder repariert werden muss.“
In Elsterwerda geben die meisten Einzelhändler die Hoffnung nicht auf
Uhrmacher und Juwelier Eckart Schmidtchen, der zu den Traditionsgeschäften in der Innenstadt gehört, hat diese Erfahrung gemacht. „Wir binden Kundschaft, weil wir auch Reparaturen annehmen – Schmuck kaufen die Menschen eher im Fachhandel, wo sie ihn mal in die Hand nehmen können.“ Trotzdem hat Schmidtchen Einbußen durch die Coronakrise gemacht, wie fast alle Händler.
„Wir haben noch keine genauen Zahlen über die Verluste“, sagt Christine Minkley, „aber laut dem Statistischen Landesamt sind die Umsätze im Non-Food-Bereich, also bei Textilien, Schuhen, Spielzeug und so weiter, im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Drittel – konkret auf 66,1 Prozent – zurückgegangen.“ In Elsterwerda geben die meisten Einzelhändler die Hoffnung nicht auf. Viele haben ein rotes Schild ins Schaufenster geklebt: „Wir bleiben hier“ steht darauf.
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Ahmad Aktaa ist sicher, dass sich sein Imbiss in Elsterwerda halten wird. „Die meisten Menschen hier sind arm, aber sehr nett“, sagt er: „Man muss ihnen Zeit geben.“ Auch Gewerbevereinsvorsitzende Yvonne Weser ist optimistisch: „Vielleicht trauen sich ja doch mal ein paar Existenzgründer aus Berlin hierher“, sagt sie: „Wir könnten ein Café gebrauchen und ein Spielzeuggeschäft.“ Jetzt müsse man erst mal die Krise überleben.
Das sieht auch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, so: „Die Durststrecke nach dem Shutdown ist viel schwieriger als der Shutdown selbst“, sagt er.