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Ein Bild, das schon jetzt in Berlin Berühmtheit erlangt hat: der Tunnel von Steglitz.
© dpa

Spektakulärer Bankeinbruch in Steglitz: Das Geheimnis des Tunnels

Er ist fast 50 Meter lang, schlägt Kurven und ist fachmännisch befestigt. Der unterirdische Einbruchsschacht in Steglitz gibt immer neue Rätsel auf: Suchten die Täter nicht nach Geld oder Gold, sondern etwas Bestimmtes? Eine Suche nach Antworten – in der Vergangenheit und unter der Erde.

Nichts hört man von der Stadt da oben. Still ruht der Tunnel. Nach den ersten Metern über die Holzbohlen ist die geordnete Welt von Berlin-Steglitz vergessen.

Nur hundert Meter Luftlinie vom Eingang des Tunnels entfernt sitzen im Geschäftsgebäude der Volksbank Menschen, die noch einmal Glück gehabt haben. Dieser Tage dürfen diejenigen Kunden in den Tresorraum, deren Schließfächer nicht aufgebrochen worden sind. Sie wollen nun in den Keller, um zu prüfen, ob ihr Eigentum, ihre Erinnerung, ihr Reichtum noch da ist, wo er angeblich besonders sicher gebunkert war. Denn hier wurde spektakulär eingebrochen: beim Berliner Tunnelraub, der so viele Geheimnisse birgt, aber auch manche freigibt.

Die erste Wand, die die Tunnelbauer knacken mussten, dürfte 40, 50 Zentimeter dick sein. Beton, grau und hart und für die Ewigkeit dort hin gestellt. Eine Spezialbohrmaschine hat die Ewigkeit vor rund zwei Wochen beendet. So ein Gerät hat mit dem Bohrhammer, mit dem Heimwerker auf Badezimmerwände losgehen, nichts zu tun. Die Kernbohrmaschine bohrt nicht – sie fräst ein kreisrundes Loch. Das ist, wie Fachleute sagen, nicht besonders laut. Vier Löcher haben die Tunnelgangster in die Betonwand gefräst, mit Wasserkühlung. Ein Fachmann für Betonarbeiten schätzt die Arbeitszeit auf „'ne Stunde“ pro Loch. An die 5000 Euro kostet so ein Gerät. Der Betonfachmann sagt, „in Berlin“ wisse er keinen, der solche Maschinen verleihe. Vielleicht haben die Gangster das Gerät gekauft.

Ein Blick rundum, hier im Tunnel: Holzbohlen oben, unten, an den Seiten. Verbunden mit robusten Holzwinkeln, die auf die Bohlen geschraubt werden. Die vier oder fünf Zentimeter dicken Bretter seien, so die Polizei, auf „umliegenden“ Baustellen gestohlen. Einige tragen den Stempel einer Tiefbaufirma aus dem Berliner Süden. In der Stille fällt auf, wie ordentlich die Täter gearbeitet haben. Die Bohlen sind passend gesägt und fest verschraubt, sie stoßen bündig aneinander, eine fügt sich an die nächste – Profiarbeit. Jetzt, nachdem der Durchgang zum Tresorraum wieder zubetoniert worden ist, riecht es dort unten giftig: nach Autoabgasen, die wohl von der Tiefgarage in den Tunnel wabern.

Vorbei an Resten der Bohrkerne geht es sicher in Richtung Bank. Ein alter Autoreifen steht zwecklos an der Wand. Mit jedem Meter fragt man sich mehr, wie die Täter es geschafft haben, direkt vorm Tresor anzukommen.

Der Tunnel verläuft nicht geradlinig, gleich auf den ersten Metern macht er eine Kurve. Es geht ein wenig abwärts, problemlos und sicher auch hier, Bohlen bieten Halt. Dann noch eine Kurve, die den weiteren Verlauf verbirgt – und noch eine, bis der Tunnel auf den letzten beiden Metern breiter wird. Vielleicht gab es Hindernisse beim Graben. Am Ende brauchte der Bautrupp Platz für die Kernbohrmaschine. Nun steht man gebückt und mit einem Gefühl leichter Beklemmung vor einer Pressspanwand. Vor drei Wochen haben hier Leute gestanden, die sich über Besuch nicht gefreut hätten.

Seitdem blühen Spekulationen, in der Bank, bei der Polizei, in ganz Berlin. Manche glauben, dass die Täter gar kein Interesse hatten an Geld und Gold. Sondern etwas ganz Geheimnisvolles oder Wertvolles suchten: Buddelte hier ein Geheimdienst? Die Mafia?

Das Verhalten des Sicherheitsdienstes ist eines der größten Rätsel

Der verwüstete Tresorraum der Bank.
Der verwüstete Tresorraum der Bank.
© dpa

Zahllose Fragen sind offen, einige Indizien seltsam – all das bietet Raum für Theorien. Wieso wollten die Einbrecher unbedingt in diese Bank? Schon im Oktober 2010 hatte es den Versuch gegeben, in den Tresorraum durchzubrechen. Als die Täter scheiterten, legten sie Feuer, wie jetzt. Damals hatten sie ein Fenster aufgehebelt und sich Umbauten am Gebäude zunutze gemacht. Nach Recherchen des Tagesspiegels bestätigen Volksbank und Polizei nun Informationen, dass es noch einen Einbruch in die Filiale gab. Am 26. Januar 2012 wurde ein Fenster aufgehebelt und ein Laptop gestohlen.  Welche Informationen waren auf dem Laptop? Oder sollten die Bewegungsmelder und die Reaktion des Wachschutzes getestet werden? 

Das Verhalten des Sicherheitsdienstes ist eines der größten Rätsel. In der Nacht zu Sonnabend schlug der Bewegungsmelder im Tresorraum an. Der Wachschutz rückte aus Charlottenburg nach Steglitz aus – und unternahm nichts. Wieso sah er nicht im Tresorraum nach?  Angeblich soll es zuvor mehrere Fehlalarme gegeben haben, ausgelöst durch Mäuse. Der Wachmann soll schlicht keine Lust gehabt haben, wegen Mäusen in den Keller zu steigen. Weder Polizei noch Volksbank wollten diese Information kommentieren. Tatsächlich löste der Alarm aus, weil die zweite Wand durchbrochen worden war.

Im Landeskriminalamt glaubt man nicht daran, dass der Wachschutz in den Coup verstrickt ist. Und beim Diebstahl des Laptops sei ein Zusammenhang unwahrscheinlich. Der Versuch von Oktober 2010 dürfte dagegen von den gleichen Tätern unternommen worden sein: „Bei der Art und Weise des Vorgehens gibt es einige Parallelen“, sagte ein leitender Ermittler. Auffällig beim Laptop-Einbruch bleibt das Datum, Ende Januar. Nach bisherigen Ermittlungen der Polizei soll „im Februar“ die Buddelei begonnen haben.

Der Tunnel ist ein Meisterstück. Wie fanden die Täter ihr Ziel? Mit einem Peilsender, den sie in einem der Schließfächer installiert hatten? Dass es sehr schwierig ist, sich von der Oberfläche aus einen Tunnel vorzustellen, zeigt der Fehler der Polizei. Direkt nach der Tat schätzte sie die Länge des Tunnels auf 30 Meter – um sich einen Tag später auf 45 zu korrigieren.

Der Tunnelcoup von 2013 erinnert an ein anderes Verbrechen. Vier Männer überfielen 1995 die Commerzbank-Filiale in Schlachtensee. Sie hatten Schusswaffen und Sprengsätze – und in Kürze 16 Geiseln unter Kontrolle. Viele Stunden lang schwebten diese in Lebensgefahr, während sich draußen das Spezialeinsatzkommando (SEK) postierte. Scharfschützen hätten einen der Geiselnehmer durch die Fester der Bank im Visier gehabt, erzählt Martin Textor, damals SEK-Chef – aber nur einen. Ein tödlicher Schuss hätte die Situation wohl eskalieren lassen. Der Kassierer der Bank war ins Fenster gesetzt worden, gefesselt und mit einer Stofftasche über dem Kopf – Marionette in einer brutalen Auseinandersetzung, dessen Leid Textor noch heute bewegt. Als die Bank schließlich gestürmt wurde, fand man die unversehrten Geiseln – und massenhaft aufgebrochene Schließfächer. Die Täter waren weg; entkommen durch einen zuvor angelegten Tunnel, der durch die dünne Bodenplatte gut zu erreichen war. In Steglitz, sagt Textor, „haben sie einen Eingang gegraben, damals einen Ausgang“. Niemand, sagt Textor, sei auf die Idee gekommen, dass sich die Geiselnehmer durch einen Tunnel davonmachen könnten. Doch sie wurden schnell gefasst und 1997 zu langen Strafen verurteilt.

Wieso hörten die Täter nach 309 Fächern auf?

Über die aktuellen Täter weiß man wenig. Bekannt ist, dass sie ein Schließfach gemietet hatten. Dass darin ein Peilsender war, glaubt die Polizei nicht. „Es gibt wohl kein Gerät, das Stahlbeton durchdringt“, sagt ein Ermittler. Doch beim Mieten des Faches bekamen die Täter entscheidende Informationen: welche Fächer belegt sind und welche nicht. Bekanntlich waren nur 900 der 1600 Fächer vermietet, also 56 Prozent. Die Täter öffneten 309 Fächer, von denen 294 vermietet waren. Die Quote von 95 Prozent machte die Polizei erst stutzig. Doch die Lösung ist einfach: Der Kunden-„Berater“ hatte dem Bandenmitglied genau gesagt, an welchen Wänden keine Fächer vermietet sind.

Wieso hörten die Täter nach 309 Fächern auf? Weil am Montagmorgen die Zeit ablief? Oder weil sie das eine Fach gefunden hatten, das sie suchten? Die in der Bank kursierenden Gerüchte werden genährt vor allem durch die große Menge zurückgelassener Beute. Im Tresorraum und im Tunnel sollen Ermittler und Bank 25 Umzugskartons mit nicht mitgenommener Beute gefüllt haben. Silbermünzen, Bargeld, teurer Schmuck, ein Stofftier und ungezählte Dokumente und Papiere sollen darunter gewesen sein.

Doch erfahrene Ermittler haben auch dafür eine Erklärung, dass selbst Geldbündel nicht mitgenommen wurden: Wenn das Geld in einem Umschlag zwischen anderen Dokumenten lag, haben die Täter es beim Ausräumen der Fächer übersehen.

Und die wertvolle Kette, die im Tunnel lag, könnte einfach verloren worden sein. Nach Angaben der Bank ist so viel zurückgeblieben, dass die Bestandsaufnahme erst „in mehreren Monaten abgeschlossen“ sein werde, wie eine Sprecherin mitteilte. Drei Wochen nach der Tat haben sich erst zwei Drittel der betroffenen Kunden bei der Bank gemeldet.

Und falls in einem Fach etwas ganz Geheimnisvolles oder Wertvolles lag, dürfte sich dieser Kunde sicher nicht melden.

Jörn Hasselmann, Werner van Bebber

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