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Rost als Chronist. Die Brunnenstraße galt vor dem Krieg als der „Ku’damm des Nordens“. Auf dem verwilderten Eckgrundstück fanden Bauarbeiter einen Tresor, dem Passanten inzwischen zugesetzt haben.
© Gerd Nowakowski

Spurensuche an der Brunnenstraße: Das Geheimnis des Tresors

Ein 100 Jahre alter Geldschrank liegt an der Brunnenstraße herum – er erzählt Geschichten von glanzvollen und gespaltenen Zeiten. Eine Spurensuche.

Der Rost ist der Chronist der verlorenen Zeit. Die braunen Flechten haben die massiven Stahlwände überzogen, sie künden von einer Vergangenheit, die so rätselhaft ist wie dieser überraschende Fund in der Brunnenstraße 50 in Mitte. Vor einigen Wochen sind Arbeiter, die ein Bauprojekt vorbereiten, bei einer Grabung auf den historischen Tresor gestoßen. Aus dem Schutt der Geschichte geholt an der Stelle, wo die Brunnenstraße auf die Bernauer Straße stößt, liegt der Stahlkoloss nun auf dem Brachgelände herum. Und hat viel zu erzählen.

Eine fast zehn Zentimeter dicke Stahltür hat den Gewalten der Zeitläufte nicht standhalten können. Die massive Riegelung ist geborsten, die Fächer leer, die starken Messingbeschläge sind von der Kupferpatina grünlich überzogen. Erkennbar ist dennoch der Hersteller des Geldschranks. Die längst untergegangene Firma A. Klose war vor hundert Jahren eine renommierte Berliner Tresorfabrik, die ihre Fertigungsstätte am Ufer der Spree hatte, am Schiffbauerdamm 19 in Mitte.

Woher der Geldschrank stammt, wem er einst gehörte, weiß niemand zu sagen. Einst stand an dieser Ecke ein repräsentatives vierstöckiges Wohnhaus mit Gewerbe im Erdgeschoss, eine gute Adresse. Schließlich war die Brunnenstraße bis zum Zweiten Weltkrieg eine beliebte und belebte Einkaufstraße mit vielen Geschäften, Kinos und Lokalen. Von dieser Vergangenheit zeugt noch das ehemalige Kaufhaus Jandorf an der Ecke der Brunnen- zur Veteranenstraße. Die Brunnenstraße sei damals als der „Ku’damm des Nordens“ bezeichnet worden, sagt der Historiker Günter Schlusche von der Gedenkstätte Berliner Mauer. Doch den Bombensturm des Weltkriegs überstand das Haus Brunnenstraße 50 nicht. Fotos aus der Nachkriegszeit zeigen nur noch einen Trümmerberg, aus dem einzelne Mauerstümpfe und ein Torbogen ragen; zur Straßenfront begrenzt vom schulterhohen Erdgeschosssockel.

Belebt blieb die Gegend dennoch; vor allem die auf der Westseite liegenden sogenannten Grenzkinos und die billigen Geschäfte, wo die DDR-Mark genommen wurde, waren Anziehungspunkte für die Ost-Berliner. Damals markierte vor dem Trümmerberg auf dem Straßenpflaster nur eine weiße Linie die Grenze des SED-Herrschaftsbereichs. Die Kriegsruine an der Kreuzung war in der Nachkriegszeit ein beliebter Standplatz für ambulante Händler. Am 17. Juni 1953 beteiligten sich an der Kreuzung Hunderte von Ost- und West-Berlinern am Aufstand gegen die SED-Führung. Dabei wurde der 14-jährige Rudi Schwander von einem Volkspolizisten erschossen.

Die Zeit bewahrt das Geheimnis des Tresors.

Der Mauerbau trennte die beiden Teile Berlins endgültig. Der U-Bahnhof Bernauer Straße wurde zum Geisterbahnhof, durch den die BVG-Züge der U 8 bei der Fahrt von West-Berlin nach West-Berlin, vom Kreuzberger Moritzplatz bis zur Voltastraße in Wedding ohne Halt rollten. Der Bahnhof wurde zugemauert, der nördliche Ausgang wurde vollends abgetragen, weil die Mauer direkt über der Eingangstreppe verlief. Abgetragen wurde damals auch der Trümmerberg des früheren Eckhauses. Das mit Mauerschutt gefüllte Kellergeschoss wurde vom Bagger nur planiert. Den DDR-Grenzeinheiten war dabei offenbar der Untergrund egal; Bodenuntersuchungen haben offenbar nicht stattgefunden. Denn der nun aufgefundene Tresor lag exakt unter jener Mauer, die Berlin 28 Jahre lang trennte. Auch als die DDR-Führung 1963 die zunächst provisorische Mauer aus Blockhohlsteinen beseitigte und eine massive Grenzbefestigung aus geschichteten Betonplatten entstand, blieb der Geldschrank unentdeckt.

Nach dem Mauerfall wurde das Eckgrundstück an die ursprüngliche Besitzerfamilie restituiert. Doch während die wiedervereinte Brunnenstraße langsam neu erwachte, blieb das verwahrloste Grundstück nahezu 25 Jahre lang eine verkrautete Auslauffläche für Hunde. Erst nach dem kürzlichen Verkauf der Erben an den Berliner Architekten Ralf Pfeiffer gibt es nun Pläne für ein Wohn- und Geschäftshaus an dieser exponierten Stelle.

Auch Pfeifer ist ratlos, woher der Panzerschrank stammt. Historischen Quellen ist zu entnehmen, dass es im Erdgeschoss vor 80 Jahren eine Hutmacherei gegeben haben soll sowie eine kleine Zigarrenfabrikation. Ob der Geldschrank im Erdgeschoss stand oder in einer der bürgerlichen Wohnungen darüber und erst bei der Zerstörung in den Keller stürzte, kann nur gemutmaßt werden. Gleiches gilt für die Frage, wann der Schrank aufgebrochen wurde. Architekt Pfeiffer hat jedenfalls wenig Hoffnung, noch Hinweise auf seine Ursprünge zu finden. Und viele Messingteile sind in den vergangenen Tagen von Passanten geklaut worden?

So wie die Mauer jahrzehntelang den Tresor begraben hat, bewahrt nun die Zeit dessen Geheimnis.

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