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Einsatz für Toleranz. Kenan Yilmaz lehrt die Kampfkunst Wing Tsun. Der Freimaurerei hat er gelernt, mit Menschen auszukommen – auch über soziale, politische und religiöse Gegensätze hinweg.
©  Kitty Kleist-Heinrich

Freimaurer: Das geheime Wirken der Logenbrüder

Die Freimaurer erscheinen mysteriös, sie pflegen uralte Rituale. Doch ganz im Stillen sind sie sozial aktiv.

Die Tür ist mit einem Zahlenschloss gesichert. Hier kommen nur Eingeweihte rein. Kenan Yilmaz zum Beispiel. Er ist 38, Sohn türkischer Eltern, Muslim – und Freimaurer. Im Casino im Logenhaus in Wilmersdorf ist nicht viel los an diesem frühen Abend. Männer schauen ernst von Ölgemälden herab, in der Mitte erhebt sich eine Glasvitrine mit einer Skulptur von Friedrich dem Großen. Kenan Yilmaz und diese Männer verbinden jahrhundertealte Rituale und der Glaube an das Gute im Menschen, an Toleranz und Hilfsbereitschaft, an Humanitas und Caritas.

Yilmaz war Maurer, Pizzafahrer. Der Wing-Tsun-Meister wurde Freimaurer

Yilmaz ist aufgewachsen in Neukölln, hat Maurer gelernt, Pizza ausgefahren und die Kampfkunst Wing Tsun für sich entdeckt. Wing Tsun wurde von einer chinesischen Nonne erfunden, dient der Selbstverteidigung und hat mit herkömmlichem Boxen so viel zu tun wie Gummibärchen mit handgeschöpfter Schokolade. Yilmaz wurde Wing-Tsun-Meister, hatte 50 Schüler, und doch fehlte ihm etwas im Leben. Er wusste nicht so recht, wohin er gehört und las viel über die Türkei und Staatsgründer Kemal Atatürk. Er soll Freimaurer gewesen sein. Yilmaz fand heraus, dass es auch in Berlin Freimaurer gibt. Ein Jahr und viele Gespräche später wurde er Bruder der Loge „Victoria Nr. 492 im Orient Berlin“.

Vieles an den Freimaurern wirkt auf den ersten Blick skurril, die Rituale, die Geheimniskrämerei. Als sich im vorigen Sommer herausstellte, dass der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik Mitglied in einer Loge war, kam kurz der Verdacht auf, Freimaurer könnten auch gefährlich sein.

Die Freimaurerei geht auf mittelalterliche Maurerzünfte zurück, später kamen Männer mit anderen Berufen dazu; im 17. und 18. Jahrhundert konnten sich in den Logen Adlige und Bürger offen begegnen, oft trafen sich hier die fortschrittlichsten Denker. Wer ausgeplaudert hätte, was dort besprochen wurde, hätte schnell am Galgen enden können. Daher die Verschwiegenheit. Heute wirken geschlossene Gesellschaften, die keine Frauen zulassen, schnell antiquiert.

Weiße Schürze, weiße Handschuhe

Um halb acht wird es voll im Casino. Logenbrüder begrüßen sich mit Handschlag. Die meisten sind 60 und älter. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland über 80 000 Logenbrüder, heute sind es 15 000. Die Männer tragen Smoking und schwarze Schuhe – ihre „Arbeitskleidung“. Dazu eine weiße Schürze und weiße Handschuhe. Yilmaz steckt in Jeans und Pullover, er ist heute zum „profanen“ Gespräch hierhergekommen.

Freimaurer reden gerne von „Arbeit“. Die wöchentlichen Zusammenkünfte im „Tempel“, einem Raum mit Säulen und allerlei Gerätschaften mit symbolischer Bedeutung, heißen „Tempelarbeit“. Es gehe „um Selbsterkenntnis und dass man an sich arbeitet“, sagt Yilmaz. Eigene Schwächen bekämpfen, die „Ecken“ und „Kanten“ abschlagen, damit man sich einfügt in den „Tempel der Humanität“. Meditative Rituale sollen dabei helfen. Wie sehen die aus? „Das kann man nicht beschreiben, das muss man erleben“, sagt er. Er hat sich wie alle Freimaurer verpflichtet, über die Rituale zu schweigen.

In einer Schrift der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ist von Ritualen mit verbundenen Augen die Rede, von Gelöbnissen und Symbolen. Der Totenkopf steht für Vergänglichkeit, das Winkelmaß für Geradlinigkeit, der Zirkel erinnert ans eigene Umfeld und die eigene Begrenztheit. Die Rituale verweisen auf ewige Gesetze, auf das Prinzip der Polarität zum Beispiel. Dass auf den Tag die Nacht folgt, auf Hell Dunkel. Wie man das auslegt, ob man dabei an die Zehn Gebote denkt oder wie Yilmaz manchmal an Allah, an persönliche Krisen und Hoffnung, ist jedem selbst überlassen.

Die Logenbrüder üben sich in Toleranz

An anderen Abenden treffen sich die Brüder zu „Kamingesprächen“, bei denen sie ihr Herz ausschütten können. Aber niemand zwingt einen dazu. So konnte Anders Breivik Morde planen, offenbar ohne dass es die Logenbrüder mitbekamen, sagt Yilmaz. „Wir waren erschüttert, dass so einer in unseren Reihen saß, so einer, der so gar nichts von den Werten der Nächstenliebe und Toleranz der Freimaurerei verstanden hat.“

Die Rituale, die Gespräche und dass man sich darauf verlassen kann, dass nichts nach außen dringt – „das verbindet sehr“, sagt Yilmaz, auch über politische, religiöse und soziale Gegensätze hinweg. Da lerne man Toleranz. „Das ist nicht immer einfach“, gibt er zu. Es helfe, dass Gespräche über Politik und Religion tabu sind. In seiner Loge gebe es einen 80-Jährigen, der im Krieg war. „Am Anfang dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein, wie der denkt“, sagt Yilmaz. Er versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen und ist froh, dass er dessen Perspektive kennengelernt hat. „Toleranz heißt, den anderen zu akzeptieren, wie er ist“, sagt Yilmaz. Früher hatte er wenig Selbstbewusstsein und viel Wut. „Durch die Maurerei habe ich gemerkt: Es gibt so viele Menschen mit einem guten Kern. Ich muss nicht durch die Welt laufen und alles hassen.“ Diese Haltung hat aus ihm einen respektierten Unternehmer gemacht und aus seinen Kampfkunst-Studios kleine Toleranz-Labore.

Seine Schulen liegen in Treptow und in Schöneweide. Um die Ecke in Schöneweide treffen sich Neonazis aus ganz Berlin in der Gaststätte „Zum Henker“. Trotzdem wollte er hierher. Er will Menschen zeigen, dass sie miteinander auskommen können und sich vielleicht sogar mögen, wenn sie die Klischees überwinden. Beim Wing-Tsun-Training treffen manche Ostdeutsche zum ersten Mal in ihrem Leben auf Türken. Ein Tunesier kommt aus Charlottenburg hierher, andere kommen aus Spandau und schwärmen von der offenen und familiären Atmosphäre bei Kenan Yilmaz. Die Männer in Springerstiefeln in der Nachbarschaft lassen ihn in Ruhe. Mehr als 700 Männer und Frauen trainieren bei ihm, Schulen laden ihn zum Anti-Gewalt-Training ein.

Er will sich selbst verändern - und dann die Welt

Andere Brüder sammeln für Bedürftige in Katastrophengebieten, Logen unterstützen lokale karitative Projekte. Das „Freimaurerische Hilfswerk“ bündelt viele Initiativen. Das Engagement geschieht meist diskret. Denn die Welt besser zu machen ist nicht das vordergründige Anliegen der Freimaurer. Es geht darum, sich selbst zu verändern – und im zweiten Schritt die Welt.

Mozart
Mozart
© picture-alliance/ dpa

Es ist spät geworden, die meisten Logenbrüder sind in den Tempel verschwunden. Da kommt Tobias Kretzschmar, 34, und setzt sich zu Yilmaz. Kretzschmar führte die Freimaurerei zu den „Shriners“. Amerikanische Freimaurer haben die Organisation gegründet, um Kindern mit angeborenen Missbildungen zu helfen. In den USA unterhalten die Shriners 22 Kinderkliniken, in denen kostenlos behandelt wird. Kretzschmar ist Arzt und sammelt Geld, damit Kinder mit ihren Eltern aus ärmeren europäischen Ländern wie Rumänien in ein Shriners-Hospital in die USA ausgeflogen werden können. Das sei billiger als die Behandlung in einer deutschen Klinik.

Hier ein Shriners-Hospital aufzubauen sei zu teuer und dank des Wohlfahrtstaates nicht nötig, sagt Kretzschmar und holt einen weinroten Fes aus der Tasche. Mit breitem Grinsen setzt er sich die orientalische Kopfbedeckung auf. Am Fes erkennt man die Shriners, die sich auch „Ancient Arabic Order of the Nobles of the Mystic Shrine“ nennen. „Da bin ich richtig neidisch“, sagt Yilmaz. Eine tiefere Bedeutung steckt nicht dahinter, erklärt Kretzschmar und schüttelt den Kopf, dass die schwarzen Quasten baumeln. Als die Shriners 1871 gegründet wurden, war der Orient in Mode. Heute macht ihm die Verkleidung einfach nur Spaß.

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