Vertrauliches Dokument zum Flughafen: Das geheime Ja zu Sperenberg
Berlin und Brandenburg wollten gar keinen neuen Flughafen in Schönefeld. Ein Vermerk zeigt: Die Länderchefs einigten sich schon 1995 auf eine ganz andere Lösung. Doch als die Fusion scheiterte, platzte der Deal.
Es ist eins der am besten gehüteten Geheimnisse aus der Vorzeit des unvollendeten Hauptstadt-Flughafens in Schönefeld. Eines Airports, bei dem sich mittlerweile fast alle einig sind, dass er am falschen Standort errichtet wird; einig auch darüber, dass dies eine Ursache ist, weshalb die Kosten explodieren und im dichtbesiedelten Gebiet die Konflikte um Nachtruhe und Schallschutz eskalieren. Aber wie es wirklich dazu kam, darüber haben zwei Männer, die am Ende gemeinsam mit einem Bundesminister am 28. Mai 1996 den „Konsensbeschluss“ für den stadtnahen Standort in Schönefeld fällten, bislang eisern geschwiegen: Eberhard Diepgen (CDU), damals Regierender Bürgermeister in Berlin, und Manfred Stolpe (SPD), einst Brandenburgs Ministerpräsident. Wir schreiben den Mai 1995: Es ist die Zeit, als sich Berlin und Brandenburg gerade aufmachen, ein gemeinsames Land zu werden. Ein Jahr später sollte das Volk abstimmen.
In jenen Tagen, exakt am 27. Mai 1995, hatten sich Diepgen und Stolpe auf den Standort des geplanten neuen Flughafens geeinigt – und zwar auf das von Brandenburg favorisierte Sperenberg, gut 40 Kilometer südlich von Berlin. Stolpe hatte es tatsächlich geschafft, Diepgen für Sperenberg zu gewinnen. Das belegt ein dem Tagesspiegel vorliegender Vermerk des Regierenden Bürgermeisters, den dieser am 29. Mai 1995, zwei Tage danach, anfertigen ließ: „Streng vertraulich“.
Das Schreiben, unter dem „Diepgen“ steht, hat die Betreffzeile „Flughafenplanung.“ Es leitet damit ein, dass er im „Gespräch mit dem Kollegen Dr. Stolpe am 27.5.1995 vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ausgangspositionen Einigungsmöglichkeiten in der Frage der Standortentscheidung für den künftigen internationalen Flughafen Berlin erörtert“ habe. Dann gab Diepgen eine Einigung zu Protokoll, von der bis heute nur wenige wissen: „Verabredet wurde eine Ausformulierung einer Vereinbarung mit folgendem Kerninhalt:“ Es folgt ein detaillierter Fünfpunkteplan, wie der Sperenberg-Flughafen realisiert werden sollte – in einem Stufenprogramm. Ziffer eins: „Es soll ein internationaler Flughafen im Raum Sperenberg errichtet werden. Er soll im Jahr 2015 den Betrieb aufnehmen.“ In jenem Jahr also, in dem, Ironie der Geschichte, nun wahrscheinlich der BER in Schönefeld startet.
Für die Übergangszeit bis zur Fertigstellung wollten Stolpe und Diepgen noch den alten DDR-Flughafen in Schönefeld sanieren, nachlesbar unter Ziffer zwei: „Der Flughafen Schönefeld wird umgehend weiter durch Ausbaumaßnahmen der Terminals ertüchtigt, so dass die benötigten Flugkapazitäten des Raumes Berlin-Brandenburg bis zum Jahr 2015 bereitgestellt werden können.“ Dabei werde „davon ausgegangen, dass der Flughafen Tempelhof bei entsprechender Ausbaustufe Schönefeld den Betrieb einstellen kann.“ Ein Hinweis auf den Flughafen Tegel findet sich nicht. Einig waren sich Stolpe und Diepgen darin, dass der Airport in Sperenberg von privaten Investoren gebaut wird. Zeit wollten beide nicht verlieren, Ziffer drei: „Der Aufsichtsrat der Berliner Flughafengesellschaft soll den Vorstand beauftragen, konkrete Verhandlungen über eine private Finanzierung eines Flughafens aufzunehmen.“
"Die Angelegenheit ist streng vertraulich zu behandeln"
Im Sperenberg-Geheimplan hielten beide Länderchefs fest, welchen Standard der Flughafen haben muss, besonders in Bezug auf die Erreichbarkeit. „Der Flughafen Sperenberg soll auf der Schiene und der Straße angemessen angebunden werden. Dazu gehören die Anbindung an den nationalen und regionalen Schienenverkehr sowie angemessene Straßenanbindungen. Die Straßenanbindungen müssen auch unmittelbar in die Stadt Berlin hineinführen.“ Beiden war bewusst, dass dies im ferneren Sperenberg teurer wird. Stolpe machte aber eine Zusage: „Die Finanzierung der Verkehrsanbindung soll durch die entsprechenden Kostenträger übernommen werden. Sollten Dritte zu dieser Verpflichtung innerhalb des Zeitrahmens nicht in der Lage sein, so wird eine Vorfinanzierung durch das Land Brandenburg ausdrücklich mit verabredet.“ Zugleich war ein Szenario ausgeschlossen: „Die Finanzierung des Verkehrs eines Flughafens Sperenberg bis 2015 darf nicht zulasten des öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin entsprechend den Zusagen der Bundesregierung, den notwendigen Lückenschlüssen sowie auch nicht zulasten des notwendigen Regionalverkehrs im Land Brandenburg erfolgen. Es muss eine gesonderte und zusätzliche Finanzierung gegeben sein.“
Dass das alles keine unverbindliche Absichtserklärung war, sondern eine detaillierte Agenda, belegt auch Ziffer vier: „Die Länder Berlin und Brandenburg verpflichten sich in einer rechtlich verbindlichen Weise – d. h. durch Staatsvertrag – zu den notwendigen Maßnahmen, um die oben genannten Ziele insgesamt zu erreichen.“ Klar war, was jeder zu leisten hatte. Für das Land Brandenburg ergäben sich, so heißt es, „insbesondere Verpflichtungen zur Durchführung des Planungsrechtes“ sowie „der Finanzierung und der Absicherung der genannten Prioritäten.“ Vorsorglich wurde erklärt, dass alles auch im künftig gemeinsamen Land gilt, das ein Jahr später geschmiedet werden sollte. Den Zeitplan regelte schließlich Ziffer fünf: „Das Planfeststellungsverfahren für den Standort Sperenberg soll eingeleitet werden, sobald die vorgenannten Bedingungen erfüllt sind. (Vereinbarung über private Finanzierung mit konkreten Trägern, staatsvertragliche Regelungen zwischen den beteiligten Länder.)“
Das Protokoll vom 29. Mai 1995 endet mit einer Order Diepgens: „Ich bitte um entsprechende Ausformulierung einer Vereinbarung, die am kommenden Freitag Ergebnis der Besprechungen zwischen den Gesellschaftern und dem Aufsichtsratsvorsitzenden sein könnte. Gleichfalls sollte der Entwurf eines Beschlusses für den Aufsichtsrat erarbeitet werden.“ Er gab noch einen Hinweis: „Hier ist es aus meiner Sicht einzukalkulieren, dass eine solche staatsvertragliche Regelung erst im Laufe der ersten Monate des Jahres 1996 verabschiedet werden kann.“ Also vor der Fusions-Volksabstimmung.
Wie brisant das alles war, belegt eine weitere Anweisung: „Die Angelegenheit ist streng vertraulich zu behandeln. Abstimmungen erfolgen ausschließlich über die Staatskanzleien.“ Absolute Vertraulichkeit hatten auch Diepgen und Stolpe vereinbart. Der informierte darüber nicht einmal Jürgen Linde, damals Chef der Staatskanzlei. Fortan hielt sich Stolpe achtzehn Jahre daran.
Mit dem Diepgen-Vermerk konfrontiert, bestätigte Brandenburgs frühere Regierungschef jetzt erstmals die damalige Einigung. „Ja, genauso war es. Das ist alles korrekt“, sagte Stolpe dem Tagesspiegel. Es sei die Zeit gewesen, als für die geplante Fusion beider Länder „alles unter Dach und Fach“ war. Allerdings habe es in der Berliner CDU Vorbehalte gegen Sperenberg gegeben; dies sei das Problem Diepgens gewesen. Dass trotz Diepgens Ja schließlich alles anders kam, Berlin wieder umschwenkte und der Vermerk in die Panzerschänke wanderte, liegt indirekt an den Märkern. „Geplatzt ist es letztlich an der gescheiterten Länderfusion“, erinnert sich Stolpe.
Am 5. Mai 1996, knapp ein Jahr nach der Vereinbarung, lehnte bei der Volksabstimmung die Mehrheit der Brandenburger eine Fusion ab. In Berlins CDU war Brandenburgs Wunsch-Standort Sperenberg nun nicht mehr durchsetzbar. Nur drei Wochen später, am 28. Mai 1996, fassten Stolpe, Diepgen und Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) den „Konsensbeschluss“ für den neuen Airport – nun in Schönefeld. Heute sagt Manfred Stolpe dazu: „Als die Fusion platzte, haben wir die Kapitulationsurkunde unterschrieben.“ Er sagt Wir.
Thorsten Metzner