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Lastenräder wie das „Loadster“ vom Hersteller Citkar sollen die Mobilitätswende voranbringen.
© promo

Mobilität auf Berlins Straßen: Das Fahrrad soll zum Lastwagen werden

Zwei Berliner Start-ups entwickeln Fahrradtransporter, die besser durch den Berliner Verkehr kommen als Laster. Ein Besuch.

Ein Dienstagvormittag, 10.30 Uhr: Mitten auf der Oranienstraße in Kreuzberg parkt ein Lieferwagen. Radfahrer versuchen sich zwischen den wartenden Autos vorbeizuschlängeln. Der BVG-Bus muss lange warten, bis er vorbeikommt. Es fehlt nicht mehr viel, bis der zähfließende Verkehr völlig zum Erliegen kommt.

Aber es braucht nun einmal Busse, um Menschen zur Arbeit zu bringen. Und es braucht auch Transporter, um die wachsende Stadt zu beliefern. Was also tun, um den begrenzten Straßenraum besser zu nutzen? Zwei Berliner Start-ups haben sich diese Frage auch gestellt. Und auch erste Antworten auf die Frage gefunden, wie Lieferungen mit weniger Lärm und Gestank an ihr Ziel gelangen könnten.

Beide Firmen haben ihre Werkstatt im Makerspace MotionLab eingerichtet, einem 2500 Quadratmeter großen Co-Working-Space am Görlitzer Park. Das Start-up Citkar schraubt dort an einem Gefährt, dass man auf den ersten Blick für ein überdimensioniertes Kettcar halten könnte. „Loadster“ hat Unternehmensgründer Jonas Kremer sein Fahrzeug getauft: Ein Fahrrad mit vier Rädern, Elektrounterstützung, einer halboffenen Kabine mit Dach und Windschutzscheibe, und der Möglichkeit, hinten eine Transportbox aufzusetzen.

Ein Kettcar mit Dach und Ladefläche

Die Idee zum Loadster kam Kremer, als er einmal seinen Wocheneinkauf im Regen trocken nach Hause bringen wollte. In diesem Moment erinnerte er sich an ein Kettcar aus Kindertagen und dachte: eigentlich fehlen nur ein Dach und Ladefläche, um den Einkauf genauso bequem wie mit einem Auto zu transportieren. So entstand eine ganz neue Fahrzeugkategorie für Lastenräder, deren Fahrer trocken durch den Regenschauer kommen.

Fünf Jahre reichen Kremers erste Versuche zurück, ein solches Gefährt zusammenzuschrauben. 2017 wurden die ersten Mitarbeiter eingestellt und Prototypen entwickelt. Zunächst hatte Kremer Privatkunden als Zielgruppe im Blick. „In der Marktanalyse hat sich jedoch gezeigt, dass diese sehr zögerlich sind, sich ein weiteres Fahrzeug anzuschaffen.“ Da es im Logistikbereich jedoch schon jetzt einen großen Bedarf gibt, hat das Start-up sein Produkt dann für den professionellen Bereich weiterentwickelt.

Eine gute Entscheidung, denn in der Kurier-, Paket- und Expressbranche wachsen seit Jahren die Sendungsvolumen stark. Ein Auslieferungsfahrzeug, das über einen Radweg die Wohnhäuser schneller erreicht, entspricht den geänderten Rahmenbedingungen besser. So wandelte sich der Loadster von einem Gocart mit Kofferraum für den Privateinkauf, zu einem Pedelec-Lastenrad mit 200 Kilogramm und 663 Litern Ladekapazität. Die Zielgruppe sind nun Essens- und Kurier-Lieferdienste, die noch am Tag der Bestellung die Ware auf direktem Weg zustellen. In den nächsten Jahren sollen aber auch Modelle für Paketlieferdienste und später auch wieder für Privatkunden entwickelt werden.

Mehr als ein konventionelles Lastenfahrrad

Bis die erste Pizza mit einem Loadster kommt, wird es aber noch dauern: „Zur Nutzfahrzeugmesse IAA im September 2018 haben wir das erste Vorserienmodell vorgestellt, ab Juni 2019 wollen wir die ersten fertigen Fahrzeuge ausliefern“, sagt Kremer. Bestellt werden kann bereits jetzt. Der Preis steht schon fest: der Loadster schlägt in seiner Basisversion mit rund 6000 Euro zu Buche. Das wäre mehr als ein konventionelles Lastenfahrrad, aber deutlich weniger als ein klassischer Pkw oder Lkw.

Einen Schritt weiter ist da bereits der Logistiker DHL, dessen selbstkonzipierte Lastenräder bereits auf Berlins Straßen im Einsatz sind. „Die Zuverlässigkeit, mit der das Ziel pünktlich und unabhängig von Staus erreicht wird, ist neben der Emissionsfreiheit der Hauptgrund für den Einsatz“, erklärt DHL-Pressesprecher Mattias Persson. „Die Entwicklung von neuen Fahrzeugen auch auf Lastenradbasis beobachten wir genau. Sie gewinnen an Bedeutung, aber im Mix der eingesetzten Transportmittel wird unser elektrisch angetriebener Streetscooter weiterhin eine wichtige Rolle spielen."

Auf elektrische Unterstützung beim Pedaleneinsatz setzt auch das Start-up Onomotion mit seinem Lastenrad „Ono“. Und auch wenn das Ladevolumen mit 2000 Litern ein Vielfaches über dem des Loadster liegt, ist es rechtlich gesehen immer noch ein Fahrrad. Denn selbst mit Elektrounterstützung erreicht das Gefährt lediglich eine Maximalgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Und doch zeigen die Designentwürfe mit geschlossener Fahrerkabine, dass das Erscheinungsbild einem klassischen Auslieferungstransporter näher ist, als einem Drahtesel.

Das Lastenrad "Ono" von Onomotion sollen die Mobilitätswende voranbringen.
Das Lastenrad "Ono" von Onomotion sollen die Mobilitätswende voranbringen.
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Vom Lastenrad zum integrierten Logistikkonzept

Doch Geschäftsführer Beres Seelbach geht es um mehr als nur die Konstruktion eines neuen Auslieferungsfahrzeug für die Logistikbranche. „Wir wollen nicht nur die Fahrzeuge neu denken, sondern auch die Prozesskette“, sagt er.

Für sein Unternehmen stellen sich deshalb viele Fragen: Wie etwa müssen die Umschlagplätze aussehen, damit die Ono ihren Vorteil der hohen Flexibilität voll ausspielen kann? Welche Prozesse müssen verändert werden, damit die Sendungen möglichst direkt und zuverlässig ihr Ziel erreichen, und nicht wie bisher nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Haustür doch wieder mitgenommen werden müssen?

Antworten darauf haben Seelbach und sein Team schon einige gefunden: In Kombination mit Umlade-Hubs in der Stadt sollen Nutzfahrzeuge mit einer Größe bis hin zum Mercedes Sprinter in den Städten durch ein integriertes Logistikkonzept mit Umschlagflächen in Parkhäusern und auf Supermarktparkplätzen ersetzt werden, hofft Seelbach. Die Box hinten auf der Ono ist als Wechselbehälter konzipiert. Der Austausch ist innerhalb von Sekunden möglich. Damit verringert sich die Standzeit beim Beladen deutlich, da die Pakete nicht einzeln in das Fahrzeug gepackt werden müssen.

Doch dabei soll es nicht bleiben: „Wir wollen, dass Städte europa- ja sogar weltweit, ihren Verkehr auf Elektroleichtfahrzeuge umstellen können“, hofft der Onomotion-Chef. Aber auch die Onos sind noch nicht ganz ausgewachsen. Ende 2019 sollen die ersten auf den Straßen unterwegs sein. Angeboten ausschließlich als Leasingmodell, muss monatlich mit einem mittleren dreistelligen Betrag gerechnet werden – inklusive Service.

Zurück auf der Oranienstraße lässt sich bislang nur erahnen, was es für den Verkehr hier bedeuten würde, wenn die großen Lieferfahrzeuge durch kleinere ersetzt würden: ein wesentlich entspannteres Vorankommen für alle. Ob dies Realität wird oder eine Vision bleibt, wird sich auch durch den Erfolg der Logistik-Start-ups aus Berlin mit entscheiden.

Andreas Baum

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