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Eine Frage der Herkunft. Alice Hasters lebt in Kreuzberg.
© Sven Darmer

Was Alice Hasters antreibt: Das Desinteresse der anderen und die Wut in ihr

Von Müdigkeit keine Spur: Alice Hasters ist eine der bekanntesten deutschen Stimmen im Kampf gegen Rassismus. Ein Treffen in Kreuzberg.

Seit über einem Jahr ist an ihr kaum ein Vorbeikommen in den deutschen Medien – ob im Fernsehen, Radio, als Podcastmoderatorin oder Buchautorin, Alice Hasters spricht und schreibt über die Themen, die ihr wichtig sind. Mittlerweile lebt die Kölnerin in Kreuzberg.

Noch sind die Straßen feucht von dem Herbstschauer, der sich kurz zuvor ergossen hat. Da fährt Hasters auf ihrem roten Rennrad auf das Café um die Ecke vom Kottbusser Tor zu. „Ein Interview liegt schon hinter mir“, erzählt die 31-jährige Journalistin, während sie ihren Mantel aufmacht, den Schal lockert und sich an den Außentisch setzt.

Seitdem ihr autobiografisch angelegtes Sachbuch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ im Herbst 2019 bei Hanserblau erschien, quillt ihr Terminkalender über. Als Schwarze Deutsche mit afroamerikanischen Wurzeln setzt sie sich gegen strukturellen Rassismus in der deutschen Gesellschaft ein.

„Ein großes Problem ist, dass Leute Rassismus so behandeln wie ein Thema, das man abhaken kann. Nach dem Motto, jetzt haben wir darüber geredet und anerkannt, dass das ganz schlimm ist, und damit sind wir jetzt durch mit dem Thema“, erzählt sie. „Ich wünschte mir, dass man Rassismus und Rassismuskritik als festen Bestandteil eines öffentlichen Diskurses anerkennt und verschiedene Fragen diskutiert werden und nicht nur, gibt es das oder gibt es das nicht?“

Rassismus? Das war eher etwas vom Dorf

Im Buch beschreibt Hasters viele Alltagsszenen – wie Menschen sie fragen, ob sie sich überhaupt einen Sonnenbrand holen könne, dass ihre Haare ungefragt angefasst werden oder manche wissen wollen, wo sie „eigentlich“ herkäme.

Sie ist in Köln geboren als Tochter zweier Künstler, hat zwei ältere Schwestern, ihre Mutter ist Afroamerikanerin, ihr Vater weißer Deutscher. „Über Gesellschafts- und Politikthemen wurde bei uns zu Hause diskutiert, Rassismus habe ich dennoch lange Zeit nicht als Teil meines Lebens wahrgenommen, eher etwas, das auf dem Dorf stattfindet, aber nicht in Köln, dabei stimmte das natürlich gar nicht.“

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Die im Buch beschriebenen Episoden zeigen, wie wenig Bewusstsein für Rassismus vorhanden ist: Da ist zum Beispiel eine Kölner Kioskverkäuferin, die als Trinkgelddose eine Schwarze als Figur hat, die die Münzen im Mund verschwinden lässt, den weißen Menschen buchstäblich das Geld aus der Hand frisst. So eine Spardose, schreibt Hasters, hat ihre Mutter mal in einem Antiquitätenladen gekauft, weil sie nicht wollte, dass „jemand so etwas Rassistisches besitzt“.

Das Desinteresse der anderen und die Wut in ihr

Nach dem Abitur studierte Alice Hasters zunächst Sport an der Sporthochschule Köln. Nach ihrem Bachelor dort bewarb sie sich an der Deutschen Journalistenschule in München und wurde angenommen. Von 2014 bis 2016 lernte sie dort, „spannende Jahre“, wie sie sagt. „Am Anfang der Geflüchtetenbewegung, Pegida kam auf, und die AfD wurde immer stärker.“ Die anderen Studierenden habe das weniger interessiert. „Da habe ich so eine Wut in mir gespürt und wusste, so kann das nicht weitergehen.“

Nach der Ausbildung ging sie nach Hamburg, um in der Social-Media-Redaktion der „Tagesschau“ zu arbeiten. Dort erlebte sie quasi live, wie sich rechtes Gedankengut über die sozialen Plattformen ausbreitete, und entschloss sich, zu handeln.

Sie setzte einen ersten Facebook-Post ab, in dem sie beschrieb, wie sie sich angesichts des steigenden Rechtsrucks innerhalb der Gesellschaft fühlt. „Ich habe dann angefangen ganz viel zum Thema Rassismus zu lesen und mich aktiv damit auseinanderzusetzen. So entstand die Idee zum Buch“, erzählt sie.

„Black Lives Matter“ - und eine ungewollte Rolle

Mittlerweile ist sie ein beliebter Gast in deutschen Medien, im vergangenen Sommer saß sie im Studio bei Anne Will, sprach dort über die „Black Lives Matter“-Bewegung und die Proteste in den USA nach der Ermordung von George Floyd, kommentierte in anderen Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen. Zuletzt - und erst nach dem Treffen in Kreuzberg für dieses Porträt - zog der Kabarettist Dieter Nuhr im Fernsehen über ihr Buch her. Hasters erfuhr umgehend Unterstützung.

Die Aufmerksamkeit, die sie bekommt, sieht sie aber auch kritisch, es gäbe neben ihr andere, die sich äußern könnten und würden. „Nach Hanau drehten sich viele Köpfe nach mir um, da habe ich mich manchmal schon gefragt, ob ich die richtige Person bin. Wir reden hier über einen rechtsextremen Anschlag und ich rede darüber, warum es problematisch ist, mir in die Haare zu fahren. Das passt nicht so ganz.“

Hasters macht zwei erfolgreiche Podcasts

Seit September moderiert sie den Podcast „Einhundert – Storys mit Alice Hasters“ auf Deutschlandfunk Nova, in dem es um Geschichten von Menschen geht, die vor großen Herausforderungen stehen.

Bei vielen Anlässen gefragt: Alice Hasters auf einer Rechtsextremismus-Konferenz.
Bei vielen Anlässen gefragt: Alice Hasters auf einer Rechtsextremismus-Konferenz.
© imago images/photothek

Für einige ist sie allerdings schon lange keine Unbekannte: Über vier Jahre schon produziert sie zusammen mit ihrer Jugendfreundin Maximiliane Häcke den Podcast „Feuer & Brot“, in dem die beiden sich – auch gerne mal bei einem Glas Wein – über Gesellschaftliches und Popkulturelles unterhalten, mit konstant wachsender Fangemeinde. Ihrem Instagram-Account folgen mittlerweile mehr als 77.000 Menschen.

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Die Aufmerksamkeit für die „Black Lives Matter“-Bewegung im Sommer 2020 in Deutschland überraschte sie, „weil seit Jahren Schwarze Menschen in den USA vor laufender Kamera umgebracht werden und diese Solidarität sich vorher nicht gezeigt hat.“ Aber: „Ich sorge mich darum, dass hier in Deutschland lieber über den Rassismus in den USA diskutiert wird als über den Rassismus hierzulande und wie er sich äußert.“

Eine diverse Community - auch in den Sichtweisen

Unter den Schwarzen Medienschaffenden hätten sich Dinge verändert, man sei jetzt besser vernetzt, jedoch breite sich bei einigen auch eine Müdigkeit aus. Nicht alle möchten demnach immer nur über Rassismus sprechen, nicht alle hätten die gleichen Sichtweisen, natürlich gebe es verschiedene Schwerpunkte.

Sie selbst ist noch lange nicht müde. Für 2020 ist sie jetzt aber erst einmal durch mit ihren Terminen – ein bisschen Ruhe gegen Jahresende, um die letzten Monate sacken zu lassen.

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