Berlin: „Das Bundesland Berlin ist eine Fehlkonstruktion“
Die gescheiterte Fusion mit Brandenburg kann nur eine Lehre haben: Berlin tritt dem Land bei. Die Hauptstadtfunktion ist wichtiger – sechs Thesen zur Reform.
Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Berlin als deutsche Hauptstadt allseits akzeptiert. Die Leidenschaft, mit der 1991 im Bundestag darüber gestritten wurde, ob Regierung und Parlament nach Berlin umziehen sollten, wirkt heute seltsam fern. Nicht nur die Parteien sind sich einig, dass Berlin die richtige Hauptstadt ist. Auch die Bundesländer haben Berlin akzeptiert. Im Schicksalsjahr 1990 war vielen als selbstverständlich erschienen, dass Berlin Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland sein würde. Aber erst seit 1999 liegt das Machtzentrum der deutschen Politik wieder an der Spree. Geografisch ist die Hauptstadtfrage damit endgültig beantwortet.
Aber inhaltlich ist sie nicht erledigt. Im Gegenteil: Wir beginnen erst, sie richtigzustellen. Sie lautet: Was ist die Rolle und die Aufgabe der Hauptstadt in einem föderalen Staat? Ist sie darauf beschränkt, Sitz von Bundesregierung und Parlament zu sein? Braucht ein Land, das aus Überzeugung föderal verfasst ist, eine Metropole als Hauptstadt? Falls es sie braucht – was ist die besondere Leistung, die diese Metropole für das Land erbringen muss? Und welchen verfassungsrechtlichen Status sollte die Hauptstadt im föderalen Gefüge haben? Das ist die neue Hauptstadtfrage.
Der Hauptstadtrolle verdankte Berlin seinen phänomenalen Aufstieg im späten 19. Jahrhundert. Weil Berlin aber später Hauptstadt des Nazi-Reiches, dann Ausgangspunkt des Zweiten Weltkriegs und schließlich Jahrzehnte geteilt war, ist es heute Hauptstadt der Sozialhilfeempfänger, der Obdachlosen, der Kinderarmut. Als der Krieg zu Ende war, lagen Deutschlands Städte in Schutt und Asche. Da ging es Berlin nicht anders als Köln, Hamburg, München, Frankfurt am Main. Aber Berlin hatte mehr verloren als andere Städte.
Verloren war die wirtschaftliche Basis. Die großen Industriekonzerne gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westen. Sie wollten vor den Russen sicher sein. West-Berlin verlor seine Industrie und mit ihr hunderttausende Arbeitsplätze. Auch die Banken zogen weg, fast alle großen ließen sich in Frankfurt am Main nieder. Am Ende ging auch die Forschung. Dass aus dem Agrarland Bayern binnen weniger Jahrzehnte eine Hochburg von Wissenschaft und Forschung geworden ist, hängt auch mit den Neugründungen aus Berliner Erbmasse zusammen.
Verloren war zweitens die jüdische Elite. Im alten Berlin hatten jüdische Unternehmer eine überragende Rolle gespielt. Berlins Wirtschaft ohne Juden – das ist auch als materieller Verlust gar nicht zu beziffern. Noch mehr gilt das für die jüdische Elite in Kultur und Wissenschaft. Bis die Nazis an die Macht kamen, war in den Theatern, den Opernhäusern und Orchestern, der jungen Filmindustrie oder in der vitalen Kunstszene der Hauptstadt eine überdurchschnittliche Zahl von jüdischen Musikern, Schauspielern, Regisseuren, Schriftstellern und Galeristen aktiv. An den Universitäten und in den Forschungsinstituten arbeiteten jüdische Gelehrte. Die Mehrzahl der in Berlin lebenden Nobelpreisträger waren Juden. Sie alle mussten fliehen oder wurden ermordet. Keiner dieser Verluste war je wieder gutzumachen.
Verloren war schließlich Preußen. Was das Ende Preußens für Berlin bedeutet, ist sonderbarerweise bis heute kaum ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Preußen war groß: Es reichte einst von Königsberg bis Trier und von Flensburg bis Breslau – das waren zwei Drittel der Fläche des Deutschen Reiches. Preußen war wohlhabend: Die Zechen an Rhein und Ruhr gehörten dazu ebenso wie die Bergwerke Oberschlesiens, die Industrie Berlins und die Kornkammern des Ostens. Viel Steuergeld floss in die Hauptstadt.
Für Berlin war Preußen, was Bayern für München war und Sachsen für Dresden: der große Zahlmeister. Die bedeutendsten kulturellen Einrichtungen Berlins wurden nicht von der Stadt Berlin, sondern von Preußen finanziert – bis 1918 vom Königreich, danach vom Freistaat: Staatsoper und Staatstheater, Universität und Staatsbibliothek, Museen und Forschungseinrichtungen. Der Stadtkämmerer von Berlin musste keinen Pfennig dafür ausgeben. Preußen zahlte für die Hauptstadt, so wie Sachsen für Dresden und Bayern für München.
Ein wichtiger Teil des preußischen Erbes, die Berliner Museen und die Staatsbibliothek, gehört heute zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie wird überwiegend vom Bund finanziert. Aber die Universitäten, die Staatsoper Unter den Linden und die ehemaligen Staatstheater fallen jetzt der Stadt zur Last, die dafür vorher nie zuständig gewesen war. München lässt sich seine Opernhäuser, seine Museen und seine Universitäten bis heute vom Freistaat Bayern bezahlen, Dresden vom Freistaat Sachsen. Für Berlin steht kein Preußen mehr ein.
Den meisten Deutschen sind diese Zusammenhänge nicht bewusst. Selbst das Bundesverfassungsgericht nahm von ihnen keine Notiz, als es im Jahre 2006 urteilte, dass Berlin sich nicht in einem Finanznotstand befinde. Die Richter machten es sich einfach: Sie verglichen Berlin mit Hamburg, Stadtstaat mit Stadtstaat. Hamburg hatte eine Universität – sollte das nicht auch für Berlin genug sein? Dass die deutsche Hauptstadt andere Ansprüche erfüllen muss als Hamburg, wollten die Verfassungsrichter nicht sehen. Für die historischen Gründe von Berlins Armut haben sie sich nicht interessiert.
Die Folgen dieser Armut sind bis heute zu besichtigen. Kein anderes Bundesland erzielt einen so geringen Anteil seiner Einnahmen aus eigener Wirtschaftskraft. In keinem anderen Bundesland beansprucht der Sozialetat einen so großen Anteil des Haushalts. Überfällige Investitionen in die Infrastruktur und in den Gebäudebestand werden seit Jahren aufgeschoben. „Das gesamte Berlin lebt längst von seiner Substanz“, urteilt der Tagesspiegel. Außerdem ist die Stadt mit mehr als 60 Milliarden extrem verschuldet.
Aber die Lage der Stadt ändert sich – zum Besseren, und diese Veränderung ist spürbar. Seit sechs Jahren wächst die Wirtschaft in Berlin schneller als im Bundesdurchschnitt. Die Arbeitslosigkeit ist zwar immer noch die höchste in Deutschland, sinkt aber schneller als in den meisten Bundesländern. Im Jahr 2012 musste Berlin keine Schulden machen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung je Einwohner erreichte die Stadt erstmals Bundesniveau. Reich ist Berlin damit noch lange nicht. Aber die Stadt kokettiert nicht länger mit ihrer Armut. Berlin will ihr entkommen.
Besonders schnell wächst die digitale Wirtschaft. Das Internet trägt zum Gesamtumsatz der Berliner Wirtschaft inzwischen fast so viel bei wie der Tourismus. Die digitale Wirtschaft profitiert von einer vitalen Gründerszene. In Berlin tummeln sich Hunderte von Gründerfirmen, die meisten im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnologie. Inzwischen gehört Berlin mit Silicon Valley, London und New York international zu den führenden Gründungszentren.
Berlin ist die einzige deutsche Stadt, die international als Weltstadt wahrgenommen wird. Das liegt nicht in erster Linie an ihrer Bevölkerungszahl, die im Vergleich mit Städten wie London oder Istanbul eher bescheiden ist. Es liegt an den dramatischen Veränderungen, die Berlin in den vergangenen Jahren erlebt hat. Der Fall der Mauer hatte einen gewaltigen Bauboom zur Folge. Neben viel Durchschnitt hat er auch einige international bemerkenswerte architektonische Leistungen hervorgebracht. Allein der Bund hat in der Hauptstadt für Neubauten und Umbauten mehr als vier Milliarden Euro ausgegeben.
Berlins Attraktivität liegt auch daran, dass es bis heute die Narben offen zeigt, die seine Geschichte der Stadt geschlagen hat: Baulücken, die noch aus der Zeit des Bombenkrieges stammen, trostlose Neubauten aus den Nachkriegsjahrzehnten, in denen es nicht nur an Geld fehlte, sondern auch an Geschmack, riesige Freiflächen, die noch nicht verplant sind, überall Brüche statt Kontinuität, Widersprüche statt saturierter Langeweile. Es ist dieses Unfertige, Vitale, Zukunftsoffene, das auf Menschen aus aller Welt einen unerhörten Reiz ausübt.
Aber was muss eine Hauptstadt über die Funktion des Regierungssitzes hinaus für ein Land leisten, das eine Konzentration aller Macht und allen kulturellen Glanzes an einem einzigen zentralen Ort ausdrücklich nicht will? Kurt Biedenkopf hat dazu schon vor zehn Jahren in einer Debatte der Deutschen National-Stiftung das Konzept der Metropole vorgetragen. Von einer Metropole verlangt er, dass sich die Menschen eines Landes von ihr repräsentiert fühlen und dass die Außenwelt in dieser Metropole die Geschichte und den Charakter eines Landes erkennt. Die Hauptstadt muss Deutschland als Kulturnation in einer Weise repräsentieren, in der sich die deutschen Länder ungeachtet ihrer historischen, ethnischen und kulturellen Unterschiede wiederfinden können. Sie muss deshalb beides sein: Kapitale und Metropole, Ort der politischen Entscheidung und Ort von kulturellen und wissenschaftlichen Spitzenleistungen. Das internationale Gewicht der Kultur- und Wissenschaftsnation Deutschland hängt zu einem großen Teil von der Ausstrahlung ihrer Hauptstadt ab. Deren Rang zu sichern, liegt deshalb im Interesse nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder.
Berlin ist der deutsche Geschichtsort par excellence – jedenfalls für die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das Ende der Monarchie, der erste, unglückliche Versuch einer parlamentarischen Demokratie und ihr Abgleiten in die nationalsozialistische Barbarei, der Mord an den europäischen Juden und der Zweite Weltkrieg, Teilung Deutschlands und Wiedervereinigung, Verankerung des wiedervereinten Deutschland in der zivilisierten Welt – für all das gibt es in Berlin Erinnerungsorte. Wichtiger noch als die Zahl dieser Erinnerungsorte ist, was sie über den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte aussagen. Am deutlichsten wird das beim Holocaust-Mahnmal. Dass eine Nation die Initiative einer ursprünglich kleinen Gruppe von Bürgern aufnimmt und auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses ein unübersehbares Denkmal ihrer Schuld in die Mitte ihrer Hauptstadt baut, das ist wohl ohne Beispiel – wie das Verbrechen, dem das Denkmal gilt. Was das Holocaust- Mahnmal im Großen ausdrückt, zeigt sich im Kleinen an den Erinnerungstafeln und an Tausenden von „Stolpersteinen“, eingelassen in den Bürgersteig vor Häusern, in denen Juden wohnten, die später ermordet wurden.
Berlin ist seit der Wiedervereinigung zugleich deutsche Hauptstadt und eines von 16 Bundesländern. Das ist eine sonderbare Kombination, ohne Beispiel in der deutschen Geschichte. Gemessen an diesen weltgeschichtlichen Veränderungen war der künftige Status Berlins im föderalen System des wiedervereinigten Deutschlands ein Randproblem. Dass Berlin die deutsche Hauptstadt sein würde, wenn Deutschland wieder vereint wäre, das hatten die Bonner Parteien während der Jahrzehnte der Teilung tausendfach beschworen. Aber wie viel waren die Schwüre wert? Im Artikel 2 des Einigungsvertrags hieß es knapp: „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin.“ Berlin war nun offiziell beides: Bundesland und Hauptstadt. Das vordringliche Interesse der Berliner Verfassung ist nicht die Hauptstadtrolle, sondern sein Status als Bundesland. Artikel 1, Ziffer 1 lautet: „Berlin ist ein Land und eine Stadt.“ Und damit es auch niemand missversteht, bekräftigt Artikel 1, Ziffer 2: „Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.“ Darauf kam es der Berliner Politik an: als eines der 16 Bundesländer an die Fleischtöpfe des Länderfinanzausgleichs zu gelangen.
In der alten Bundesrepublik war der Länderfinanzausgleich ein vom Grundgesetz bereitgestelltes Instrument zu einem maßvollen Ausgleich der Lebensverhältnisse zwischen mehreren finanzstarken und mehreren finanzschwachen Ländern, zwischen Geber- und Nehmerländern, im Detail immer umkämpft, im Grundsatz unbestritten. Im wiedervereinigten Deutschland hat er diese Rolle äußerlich beibehalten, in Wirklichkeit aber dramatisch verändert. Er dient jetzt überwiegend dazu, die wirtschaftlich darbende Hauptstadt mit Geldern der anderen Bundesländer finanziell über Wasser zu halten. Vom Gesamtvolumen des Länderfinanzausgleichs erhält Berlin knapp über 40 Prozent, mehr als Saarland, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zusammen. Eine Perversion der ursprünglichen Idee.
Erstens schafft sich Berlin im Verhältnis zu den anderen Bundesländern fortwährend Feinde: unter den nehmenden, weil es mit ihnen um die gleichen Fleischtöpfe konkurriert, unter den Geberländern, weil es ewiger Bittsteller ist.
Zweitens wird Berlin international den falschen Maßstäben unterworfen: Als nehmendes Bundesland wird es mit Sachsen-Anhalt, dem Saarland verglichen, als internationale Metropole muss es sich mit New York, London, Paris messen.
Drittens darf der Bund seine Hauptstadt ausgerechnet auf den beiden Feldern nicht nach eigenem Ermessen unterstützen, die Berlins internationalen Rang ausmachen: Kultur und Wissenschaft. Beide sind nach dem Grundgesetz Ländersache.
In den letzten 20 Jahren hat es zwei hochrangig besetzte Kommissionen zur Reform des Föderalismus gegeben. Sie befassten sich vordringlich mit der Verteilung der Zuständigkeiten und der Steuern zwischen Bund und Ländern. Das Hauptstadtthema kam in beiden nicht vor – ebenso wenig wie das andere große Strukturproblem des deutschen Föderalismus, nämlich der Zuschnitt der Bundesländer, also die Länderneugliederung. Das Hauptstadtthema war den Beteiligten entweder nicht geläufig oder lästig, an dem uralten Problem der Neugliederung wollte sich ohnehin niemand die Finger verbrennen. Mit der Aufnahme eines dekorativen, aber politisch nicht ernst gemeinten Hauptstadtparagrafen in das Grundgesetz waren alle Beteiligten offenbar zufrieden.
So bescheiden muss man nicht sein. Die Stiftung Zukunft Berlin schlägt eine anspruchsvolle Alternative vor. Sie macht den Hauptstadtartikel der Verfassung zum Ausgangspunkt für eine tief greifende Veränderung der bundesstaatlichen Architektur unter den gleichen zeitlichen Zwängen. Sie sind aber nicht Gegenstand dieses Papiers. Das Konzept der Stiftung Zukunft Berlin nimmt seinen Ausgang vom Hauptstadtartikel des Grundgesetzes und entwickelt daraus einen Reformvorschlag in sechs Thesen.
1. Der Status Berlins als Bundesland steht dem Hauptstadtauftrag im Wege. Solange Berlin ein Bundesland bleibt, kann es die Hauptstadtrolle nicht angemessen wahrnehmen.
2. Berlin gibt seinen Status als Bundesland auf und tritt als Großstadt dem Lande Brandenburg bei – mit Potsdam als Hauptstadt des Bundeslandes – und dem gemeinsamen Auftrag von Bund und Ländern, die deutsche Hauptstadt zu sein.
3. Die Verschuldung Berlins ist bisher ein unüberwindliches Hindernis für jede mögliche neue Lösung. Sie ist zu einem großen Teil eine Folgelast seiner Hauptstadtgeschichte. Dieser Teil muss vom Bund übernommen werden. Soweit Berlin diese Verschuldung selbst zu verantworten hat, muss es sie auch selbst abtragen.
4. Mit dem Beitritt zum Lande Brandenburg scheidet Berlin aus dem Länderfinanzausgleich aus.
5. Der Bund finanziert künftig die großen wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen der Hauptstadt.
6. Kosten, die Berlin aus seiner Funktion als Regierungssitz entstehen (Sicherheit, Polizei etc.), trägt der Bund. Für die Finanzierung seiner kommunalen Aufgaben ist Berlin allein verantwortlich.
Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es Zeit, die bundesstaatliche Architektur neu zu durchdenken. Eine derart grundlegende Reform politisch umzusetzen, fordert von allen Beteiligten mehr als nur die Bereitschaft, alte Denkgewohnheiten zu überprüfen. Es erfordert Mut, vielleicht sogar Kühnheit, Führungskraft und Gemeinsinn.
Brandenburg braucht Mut. Es muss die gegen Berlin gerichteten „Befindlichkeiten“ ablegen, die schon 1996 die Fusion verhinderten. Es muss alte Ängste überwinden – dass Berlin, weil es mehr Einwohner hat als Brandenburg, in einem Land die Brandenburger dominieren könnte. Ein von dem Schuldenproblem befreites Berlin als Teil eines geeinten Landes Brandenburg – dieser Zuwachs sollte auch in Potsdam nicht als Bedrohung, sondern als Chance verstanden werden. Wenn der neue Flughafen endlich in Betrieb ist und zum Motor des Wachstums in der Hauptstadtregion wird, dann hat das um Berlin vergrößerte Brandenburg sehr gute wirtschaftliche Chancen. Es wird gleichzeitig – mit dann mehr als doppelter Bevölkerung – in Deutschland an politischem Gewicht gewinnen.
Berlin braucht Mut. Der Verzicht auf den Status eines Bundeslandes kann zunächst als Bedeutungsverlust erscheinen. Aus dem Regierenden Bürgermeister würde – ob mit oder ohne den bisherigen Titel – faktisch ein Oberbürgermeister, aus dem Abgeordnetenhaus ein Stadtrat.
Der Bund braucht Mut. Bisher ist es für ihn finanziell günstiger, dass Berlin einen großen Teil seiner Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich bezieht. Das hier vorgeschlagene Modell käme für den Bund teurer. Auch die Lösung des Berliner Schuldenproblems würde, soweit sie eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, dem Bundesfinanzminister auf die Füße fallen. Ohne Eingriffe in das Grundgesetz ist eine so tief greifende Reform nicht zu haben.
Das vorliegende Konzept ist kein „linkes“ und kein „rechtes“ Konzept – es zielt auf einen parteiübergreifenden Konsens. Es spielt nicht Bund und Länder gegeneinander aus, sondern beschreibt ihre gemeinsame Verantwortung. Es will den Föderalismus nicht schwächen, sondern stärken. Der demokratische, freiheitliche Staat der Bundesrepublik ist der beste, den wir Deutschen in unserer Geschichte hatten. Er verdient zur Vervollkommnung seiner föderalen Struktur eine große Anstrengung, die nicht aus der Not geboren ist, sondern aus der Freiheit.
Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Potsdamer Rede zu Berlin-Brandenburg“ spricht am Montag, 28. Oktober, um 18 Uhr im Kutschstall am Potsdamer Neuen Markt Manfred Stolpe, Ministerpräsident a. D., über „Unser vergessenes Land“. Anschließend wird das Projekt des gemeinsamen Bundeslandes, dem dieser Text gewidmet ist, vorgestellt. Trägerin des Vorhabens ist die „Initiative Aktive Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg“. apz
Joachim Braun
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