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Weitlingstraße
© Kleist-Heinrich

Gefahr von Rechts: Damit der Kiez nicht kippt

In Teilen Lichtenbergs fühlen sich Neonazis zu Hause. Das soll anders werden. Immer mehr Anwohner engagieren sich gegen rechts.

Das Pfeffergas hat er immer dabei. „Aber wenn die Nazis besoffen sind, nutzt es wenig“, sagt Max, 18 Jahre, Kapuzenpulli, Schultasche in der Hand. Max will sich auf den Straßen im Lichtenberger Weitlingkiez vor rechten Schlägern schützen. Ein Jahr ist es her, dass junge Neonazis hier fast täglich Jagd auf Linke und vermeintliche Ausländer machten: Angegriffen wurden vietnamesische Blumenhändler, türkische Gastronomen, Punks und linke Politiker wie der Linkspartei-Abgeordnete Giyasettin Sayan.

Regelmäßig nehmen Polizisten rund um die Weitlingstraße prügelnde Rechte fest, 65 Neonazis aus dem Viertel sind den Behörden bekannt. Seit einem Jahr sitzt die NPD in der Bezirksverordnetenversammlung. In einigen Wahllokalen hat jeder zehnte Anwohner die Rechten gewählt. Bekannt wurde der Kiez bereits 1990: In der Weitlingstraße 122 besetzten Rechtsradikale ein Wohnhaus. Seitdem fühlen sich Neonazis hier zu Hause.

„Die Bevölkerung ist endlich sensibler geworden“, sagt Andreas Wächter. Der Sozialwissenschaftler berät den Bezirk im Kampf gegen Rechtsextreme. Inzwischen trauten sich mehr Menschen, rassistische Schläger anzuzeigen. Mehr als 20 000 Euro hat allein der Bezirk in diesem Jahr für Projekte gegen rechts ausgegeben, 100 000 Euro gab der Bund für Opferberatungen, Weiterbildungen und Nachbarschaftstreffs aus. Derzeit wird darüber nachgedacht, für 2008 mehr Geld zu bewilligen. Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linke) glaubt, dass sich das Engagement bemerkbar macht. Sie selbst wurde im Weitlingkiez auch schon von Neonazis bedroht.

In die neuen Häuser an der Rummelsburger Bucht, nur einen knappen Kilometer südlich, sind Familien eingezogen, die von Neonazis nicht belästigt werden wollen. Rund um den nahen Nöldnerplatz haben die günstigen Mieten Künstler angelockt. Und regelmäßig treffen sich Anwohner und Händler im „Forum Weitlingkiez“, um den Stadtteil attraktiver zu machen. „Aber alles braucht seine Zeit“, sagt ein Gewerbetreibender. Und so schlimm wie die Umgebung in den Medien dargestellt werde, sei es sowieso nicht. Die vietnamesischen Imbisse im Viertel liefen jedenfalls ganz gut.

Mehr als 3000 Vietnamesen wohnen in Lichtenberg, die meisten von ihnen waren in der DDR Vertragsarbeiter. In einigen Grundschulen ist jeder dritte Schüler nichtdeutscher Herkunft. Zum vietnamesischen Straßenfest am heutigen Sonnabend werden tausend Besucher am Münsterlandplatz erwartet. Dietrich Lederer, ein nachdenklicher Mann Mitte 50, hat die Veranstaltung mit dem Lichtenberger Kulturverein organisiert. Er glaubt, dass die Kinder der Vietnamesen dem Bezirk ein neues Gesicht geben könnten. „Aber sie brauchen unsere Hilfe, um das nötige Selbstbewusstsein zu bekommen“, sagt Lederer.

Wer sich gegen Neonazis engagiere, meint Zwölftklässler Max, sei entweder auf dem Gymnasium, in einem Verein oder Mitglied einer Partei. Die „ganz normalen Leute“ seien nicht dabei. „Die Prolls in den Kneipen interessiert das Gerede von Toleranz nicht“, sagt Max. Berufsschüler und junge Männer ohne Abschluss erreiche man kaum durch die üblichen Kulturangebote. Vielleicht seien Konzerte, Diskussionsrunden und Fotoausstellungen der falsche Weg, um Übergriffe zu verhindern. Jedenfalls dann, wenn junge Muskelprotze mit schlechten Jobs ihren Frust rauslassen wollten.

Erst vor zwei Wochen haben polizeibekannte Neonazis einige Besucher der Ausstellung „Bilder gegen rechts“ bedroht. Der Betreiber eines Dönerladens in der Weitlingstraße hat seinen Imbiss im August geschlossen, nachdem ihn immer wieder Rechtsextreme überfallen haben. Manchmal, glaubt Max, helfe nur noch die harte Hand des Staates: „Als Linker fühle ich mich in der Nähe von Polizisten unwohl, aber hier könnten sie ruhig härter durchgreifen.“

Es war schon dunkel, als Max vergangene Woche vor einer Gruppe junger Männer wegrannte: Er hätte sie fast zu spät erkannt, denn Neonazis würden nur noch selten Glatze und Springerstiefel tragen. „Die sahen eher wie Sprüher aus.“ Ein paar Tage später wurden die Wände des Lichtenberger Kulturvereins in der nahen Sewanstraße beschmiert: mit Hakenkreuzen.

Veranstaltungen gegen rechts am heutigen Sonnabend:

Vietnamesisches Straßenfest „Wir im Kiez“ mit Musik, Tanz, Kulinarischem und Kampfsport ab 14.30 Uhr auf dem Lichtenberger Münsterlandplatz.

„Rock gegen Rechts“ ab 15.30 Uhr in der Nöldnerstraße 43 in Lichtenberg.

Direkt am Bahnhof Schöneweide feiert Treptow-Köpenick das „Fest für Demokratie“. Neben Diskussionsrunden werden zahlreiche Künstler wie die bekannte Swing- und Jazzgröße Andrej Hermlin auftreten.

Weitere Informationen im Internet:www.lichtenberger-kulturverein.de

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