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Nach dem Hungerstreik der Flüchtlinge: „Da ist man als Mensch gefordert“

Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit, der die Einigung mit den Hunger- und Durststreikenden initiiert hatte, spricht im Interview über seine Gespräche mit den Protestlern und die Berliner Politik. Er sieht einen massiven "Regelungsbedarf in Sachen Flüchtlingspolitik".

Am Wochenende haben die Flüchtlinge am Brandenburger Tor ihren Hunger- und Durststreik ausgesetzt, nachdem ihnen unter anderem zugesichert wurde, dass die SPD ihre Forderungen in die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU einbringen wird. Initiiert hatten die Einigung Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und vor allem der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit. Mit ihm sprach Sandra Dassler.

Herr Veit, warum haben Sie mit den hungerstreikenden Flüchtlingen am Brandenburger Tor überhaupt verhandelt?
Ich fühlte mich zuständig, weil ich in der Bundestagsfraktion meiner Partei der Berichterstatter für Flüchtlingsfragen bin. Ich war eine Zeitlang nicht in Berlin, bin erst am Freitag wiedergekommen und gleich zum Brandenburger Tor gegangen.

Zuständig wäre aber eigentlich die Bundesregierung gewesen, oder?

Das ist richtig.

Also warum Sie?

Rüdiger Veit, 64, ist Bundestagsabgeordneter der SPD aus Gießen. In seiner Fraktion ist er zuständig für Flüchtlingsfragen. Veit initiierte den Dialog mit den streikenden Flüchtlingen in Berlin.
Rüdiger Veit, 64, ist Bundestagsabgeordneter der SPD aus Gießen. In seiner Fraktion ist er zuständig für Flüchtlingsfragen. Veit initiierte den Dialog mit den streikenden Flüchtlingen in Berlin.
© promo

Ich finde, da ist man als Mensch gefordert. Weil vor meiner Haustür Leute in einer Notlage waren. Manche haben mich gewarnt, dass ich nichts erreichen würde. Aber ich hätte mir immer vorgeworfen, es nicht versucht zu haben.

Also haben Sie Frau Kolat angerufen?

Ja, ich kenne und schätze sie sehr – und sie war ja auch im Vorjahr schon bei den Protesten am Brandenburger Tor.

Sie wollen die politischen Forderungen der Flüchtlinge in die Koalitionsverhandlungen einbringen. Ist das mit der Führung Ihrer Partei denn abgesprochen?

Das muss es nicht. Es entspricht meiner politischen Überzeugung, dass es einen Regelungsbedarf in Sachen Flüchtlingspolitik gibt. Das sieht auch die Mehrheit in der SPD so. Und das steht auch so in unserem Regierungsprogramm.

Was ist mit Ihrer Forderung, wenn die Koalitionsverhandlungen mit der CDU doch noch platzen?

Das halte ich für kaum realistisch. Aber dann gibt es ja – auch wenn es mein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel kürzlich wieder ausgeschlossen hat – immer noch die Möglichkeit einer rot-grün-roten Koalition. Da wäre es Konsens, Änderungen in der Flüchtlingspolitik voranzutreiben. Ansonsten könnte ich die Forderungen nur aus der Opposition heraus stellen.

Wissen die Flüchtlinge überhaupt, was Koalitionsvereinbarungen sind?

Ja, ich hatte schon den Eindruck.

Wie war die Gesprächsatmosphäre?

Sehr ruhig, konstruktiv und sachlich. Wir hatten ja auch Wert darauf gelegt, mit den Flüchtlingen direkt zu sprechen.

Warum?

Um ihnen die rechtlichen Rahmenbedingungen zu erklären. So hatten sie die irrige Vorstellung, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, nur weil sie als Gruppe mit politischen Forderungen auftreten.

Das hatte ihnen jemand eingeredet?

Das weiß ich nicht. Aber ich habe ihnen gesagt, dass jemand, der das behauptet, lügt – und sie möglicherweise missbraucht.

Sie haben den Flüchtlingen also kein dauerhaftes Bleiberecht garantiert?

Um Himmels willen – nein. Das sage ich auch in Richtung CDU und CSU. Der stellvertretende Leiter des Bundesamts für Migration, Michael Griesbeck, hat ihnen lediglich versichert, ihre zum Teil recht lange laufenden Verfahren so schnell und sorgfältig wie möglich zu behandeln. Aber das ist keine Zusage für einen positiven Bescheid. Deshalb wurde auch kein Präzedenzfall geschaffen.

Hätten sich Berliner Politiker früher einschalten müssen?

Rein formal sind sie nicht zuständig. Die Durchführung von Asylverfahren ist ausschließlich Bundesangelegenheit. Aber unabhängig davon war es sicher ein Signal der Achtung und des Respekts, dass Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat bei den Gesprächen dabei war.

Warum hat die eigentlich zuständige Bundesregierung nichts unternommen?

Kein Kommentar.

Warum nicht?

Ich brauche die Unionsparteien, wenn wir in einer großen Koalition die Asylgesetze verbessern wollen. Außerdem war am Sonnabend der Vizepräsident des Bundesamts dabei. Der ist nicht einfach so aus Nürnberg angereist. Da muss es schon ein Signal gegeben haben. Und da war dann auch ein Vertreter der CDU-geführten Berliner Innenverwaltung anwesend.

Vielleicht konnte Berlins Innensenator Frank Henkel wegen der ablehnenden Meinung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nicht vorher agieren?

Ich bitte Sie, wir leben doch nicht in einer militärischen Einheit. Wenn ich Innensenator wäre und eine gewisse Überzeugung hätte, würde mich kein Bundespolitiker davon abhalten, sie zu vertreten.

Friedrich argumentiert damit, dass sich der Staat nicht erpressen lasse.

Das darf der Staat auch nicht. Auch wir haben uns nicht erpressen lassen – nur weil wir mit den Flüchtlingen geredet haben. Wissen Sie, als wir am Freitagabend in der Akademie der Künste in den ersten Gesprächen saßen, war draußen das große Feuerwerk am Brandenburger Tor: Tausende Touristen, Glamour und Freude. Und dazwischen lagen die verzweifelten Flüchtlinge. Das war schon eine grotesk-bittere Situation.

Sandra Dassler

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