Von TISCH zu TISCH: Coda
Dessert plus dazu passender Cocktail - und das in fünf Gängen? Funktioniert und schmeckt fabelhaft. Patissier René Frank macht es in Neukölln vor
Der Beruf des Patissiers bringt ein paar gewichtige Nachteile mit sich. Denn wer in guten Restaurants für die Desserts zuständig ist, der steht nachts immer als Letzter am Herd. Und wer dankt es ihm? Niemand, denn die Gäste sind meist schon erschöpft vom Hauptteil des Menüs und merken oft gar nicht mehr, was sie da essen. Und in mancher Restaurantkritik fällt das Thema auch hinten runter nach dem Motto: „Wir haben uns dann doch lieber noch ein bisschen Käse geteilt.“
Natürlich Neukölln
Kein Wunder also, dass viele der besten Könner irgendwann ein Café eröffnen oder einen Pralinenladen – das gibt es ja auch in Berlin. In Barcelona hatte der Spezialist Jordi Butron eine noch bessere Idee, er gründete das „Espai Sucre“, ein Restaurant nur mit Desserts. Was in Barcelona funktioniert, könnte möglicherweise auch was für Berlin sein, dachte René Frank, lange Chefpatissier bei Thomas Bühner in Osnabrück. Und schon haben wir das schick-karge Neuköllner „Coda“, in dem genau das passiert. Die Lage im trendigen Norden Neukölln dürfte passen, denn das ist eher was für Spezialisten als für die Boulevards. Nur Desserts? Ist das nicht...? Nein, ist es nicht. Wir brauchten nur einen kurzen Moment des Innehaltens, um den ersten Vorteil abzunicken: Es ist schön, sich mal auf Süßigkeiten konzentrieren zu können, ohne schon an einem langen Menü zu leiden. Und im Grunde ähneln modische Desserts heute ohnehin längst guten vegetarischen Vorspeisen, weil sie ohne aufdringliche Süße auskommen.
Fünf Gänge Dessert? Aber klar!
Frank kommt aus der Drei-Sterne-Ecke, deshalb sollte hier niemand Kaiserschmarrn und Crème brulée erwarten. Er ist aber auch schlau genug, auf die überladen bunten Pünktchenteller dieser Stilrichtung zu verzichten – und das Ergebnis gefällt mir wegen dieses puristischen Ansatzes sogar noch besser. Auch wichtig: Hier sind eigens komponierte Cocktails ein wesentlicher Teil des Gesamtbildes, aber es schmeckt natürlich auch so wunderbar. Ein Fünf-Gang-Menü: Büffelmilchschaum, der ein paar marinierte weiße Pfirsichstücke verbirgt und mit einem süßen roten Paprikasud umgossen wird – ein Rumcocktail mit Vanille, Orange und Ingwer beleuchtet die Komposition gewissermaßen von außen, ohne zu sehr zu drängeln. Aprikosenschaum mit Brombeeren, Mandelscheiben und Röstbrot, darunter ein erstaunliches Eis von Kalamat-Oliven – hier reinigt der betont kräuterige „Merwut“-Wermut eher die Zunge. Dann ein Käsegang, fabelhaft: Unter einer runden, dünnen Schafskäse-Hülle warten Trauben, knusprige Brioche-Scheibchen; das Getränk ist ein Cremant mit Salzkaramell, kaum süß. Wie eine Schlange windet sich beim nächsten Gang Eis aus Kiwi und Dinkelgras auf dem Teller, darunter liegt eine Art Salat aus Kiwi, herrlich aromaprallen Himbeeren und Knuspernüssen, daneben zwei Mandelmilch-Sphären; der Drink aus Trauben, Nuss, Cognac, Maraschino, Aprikosenkernöl und Algen stellt den exaltierten Aromen auf dem Teller einen überraschend sanften, kaum alkoholischen Mischgeschmack entgegen.
Zum Schluss die Praline
Der Hammer zum Schluss: bitterer Schokoschaum als große Praline, dazu eingelegte Pflaumen, Zichoriensauce, Pflaumensorbet, allerhand Geknusper – an den Tisch gebracht unter einer Haube mit Holzkohlenrauch, den wiederum der Drink aufnimmt: lieblicher Lambrusco mit einem Schuss Malzwhisky. (Drei Gänge 24, fünf 39 Euro, begl. Getränke 16/28 Euro, alles auch einzeln). Fabelhaft? Fabelhaft. Wenn jetzt der Service noch ohne aufgesetzte Coolness auskäme und zum Beispiel verbal ohne Gestikulieren erklären würde, dass hier das Besteck mehrfach verwendet werden soll, warum auch immer, dann wäre die Sache perfekt.
- Coda. Friedelstr.47, Neukölln, Tel. 91 49 63 96. Dienstag bis Sonnabend ab 19 Uhr geöffnet.