Rezension: Heiko Wernings Wedding: Chronist des wahren Lebens
37 Lach- und Sachgeschichten hat Heiko Werning in seinem zweiten Buch über den Wedding zusammengetragen, bei manchen steigert sich das Schmunzeln zum Lachkrampf. Aber das Buch ist nicht gut, weil es witzig ist, es ist genial, weil es Klischees entlarvt und wahre Helden feiert.
Der Wert dieses Buches liegt im Dokumentarischen, was die schriftstellerische Begabung des Autors keineswegs schmälern soll. Aber es ist wichtig, dies gleich zu Beginn zu sagen, damit niemand glaubt, es gehe hier nur um Schmunzetten. Schön ablachen über den armen, doofen, migrationshintergründigen Wedding? Nichts da!
Heiko Werning ist ein moderner Stadtschreiber, ein Chronist, dem wahren Leben verpflichtet, ein Mann mit Leidenschaft und Herz für den stinknormalen Alltagstrott eines Großstadtkiezes.
Verschrobene Gutmütigkeit
Und dann sind es mindestens zwei Frauen, für die es sich lohnt, dieses Buch zu lesen, weil sie exemplarisch stehen für den wahren Charakter der Berliner, der leider längst zur Phrase verkommen ist, so dass man sich kaum traut, diese Eigenschaften zu benennen. Ja doch!: Herz und Schnauze. So ist es nämlich, meist eher fern der hippen Bezirke und der Touristenpfade, aber genau dort, in Wedding beispielsweise, ist diese Berliner Spezies noch häufiger anzutreffen.
Die Sachbearbeiterin des Bürgeramts Wedding treibt dem Autor beim Versuch, einen Internationalen Führerschein ausgestellt zu bekommen, die Zeit drängt, natürlich Schweißperlen auf die Stirn, aber dann ist da eben doch noch was versteckt in dieser Frau, nun gut, tief versteckt, das vermutlich nicht besonders viele Menschen bemerken würden: verschrobene Gutmütigkeit und ein - Mensch!
Dann ist da Frau Bernstein, Lehrerin an einer Weddinger Grundschule. Hier gehts nicht um Schnauze, hier gehts dann um die Leidenschaft und Demut, die Menschen aufbringen, um einfach ihren Job mit Spaß, Freude und sehr viel Liebe zu den Kindern zu machen, auch wenn alle Welt um sie herum, um den Wedding herum, sie für verrückt halten oder Mitleid hat, wie man denn in so einem Stadtteil überhaupt unterrichten könne. Denn dort seien ja sowieso nur Ausländer!
Wunderbar, wie Werning dazu die FAS zitiert, die sich, just zum Zeitpunkt der Einschulung des Sohnes, mit dem Wedding beschäftigt. Die Autorin läuft durch den Stadtteil wie durch eine völlig fremde, entartete Welt. Und man versteht dann sehr schnell, was Vorurteile sind und wie sie entstehen.
Heiko Wernings Beschreibungen sind immer dann besonders stark, wenn er es schafft, die angebliche Parallelwelt des Wedding zu kontrastieren mit unseren eigenen Vorurteilen und Urteilen, der Autor nimmt sich da nicht aus und ist selbst überrascht, dass er eine Schule vorfindet, in denen Menschen mit Herz und gesundem Menschenverstand arbeiten.
Fick dich, schwul, pervers...
Herrlich die Szene, wie sein Sohn eine besondere Hausaufgabe zu bewältigen hat. Werning, der Vater, glaubt, sein Sohn müsse die Ausdrücke "Fick dich", "schwul" und "pervers" mehrfach abschreiben, weil er sie gesagt hat, eine Strafarbeit quasi. Bevor die Auflösung kommt, schafft es Werning, die ganze verlogene Bildungsdebatte auf eineinhalb Seiten humorvoll auf den Kopf und in Frage zu stellen. Und dann sagt der Sohn: "Das mussten wir nur einmal abschreiben. Von der Tafel! Damit wir euch fragen, was das heißt. Das müssen wir dann aufschreiben und morgen im Unterricht erklären."
Der folgende Dialog: "Du meinst, alle Kinder aus eurer Klassen müssen ihre Eltern fragen..." "Ja...., weil einige Kinder das immer sagen. Und da hat Frau Bernstein eben gefragt, ob wir überhaupt wissen, was das heißt. Und das konnten wir dann nicht erklären..." Der Autor resümiert: "Die Vorstellung, wie 26 Erst-, Zweit- und Drittklässler sich jetzt von ihren Eltern erklären lassen, was dieses 'Fick dich' eigentlich heißt, das sie da dauernd sagen, erwärmt mein Herz..."
Man muss wissen, dass Heiko Werning keinen Erstling vorgelegt hat, im Gegenteil, vermutlich wird mindestens eine Trilogie daraus. Der erste Werning-Wedding hieß noch "Mein wunderbarer Wedding. Geschichten aus dem Prekariat." Nun hat Werning quasi einen zweiten Teil geschrieben. Es geht, wie im ersten Buch, um den Alltag, um das, was der Autor sieht und erlebt. 37 Lach- und Sachgeschichten, in denen den Leser ein permanentes Schmunzeln befällt, das sich manchmal bis zu Lachkrämpfen steigert (Der Klassiker aus Buch 1: "Entfesselte Leidenschaft"). Manchmal übertreibt es der Autor auch mit der literarischen Ausschmückung, und natürlich ist das Buch, 192 Seiten lang, nicht durchweg komisch und unterhaltsam. Aber das muss es auch nicht, denn wertvoll an diesem Buch ist, dass es überhaupt geschrieben wurde.
Heiko Werning: Im wilden Wedding. Zwischen Ghetto und Gentrifizierung, Verlag Klaus Bittermann, 192 Seiten, 14 Euro. Natürlich gibt es auch eine Wedding-Hymne ("Für immer Wedding") von Heiko Werning, auf seinem Album "Was die Leute sagen".
Der Autor dieser Rezension ist in Wedding geboren und Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Er hat die lokalen Blogs der Zeitung (Zehlendorf, Wedding, Kreuzberg) mit konzipiert.
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