Kein Hollywood mehr im Broadway: Charlottenburger Off-Kino schließt nach 32 Jahren
Eine Million Schüler saßen schon in den Sesseln des Broadway-Kinos. Nun schließt das legendäre Filmhaus in der City West - und verabschiedet sich mit dem passenden Hollywood-Streifen.
Irgendwann in den Achtzigern muss es gewesen sein. Eine gut besuchte Nachmittagsvorstellung im Broadway an der Tauentzienstraße 8, Kinderprogramm, „Lisa und die Riesen“. Überraschend hatten sich auch drei ältere Herren eingefunden, Tickets erworben, sich in den Saal begeben – und waren irritiert wieder herausgekommen: „Was machen denn die vielen Kinder da drin?“ Für die sei der Film nun mal gedacht, erklärte man ihnen, wies auf Plakat und Szenenfotos, womit den dreien ihr Irrtum rasch klar wurde. Sie kannten das Kino eben noch aus der Zeit, als es „Barbarella“ hieß – und ein Pornoschuppen war. Auf „Lisa und die Riesen“ haben sie dann verzichtet.
In der Geschichte des Traditionskinos, die in diesen Tagen für immer endet, war die schlüpfrige Phase ohnehin nur kurz gewesen. 1973 war es im ersten Stock einer neuen Einkaufspassage als „Princess-Royal“ eröffnet worden – als kleinstes 70-mm-Kino der Welt, gleichwohl ein zunächst wenig lukratives Unternehmen. Vorübergehend versuchte man es mit Sex, zeitweise stand das Kino auch leer, bis es am 16. März 1979 unter der Regie von Georg Klosters Yorck-Kinogruppe als „Broadway“ wiedereröffnet wurde. Kurz danach stieß auch Theaterleiterin Ingrid Wühle dazu, ebenso Günter Hohl, der das seit jeher mit dem Broadway verbundene „Kino für Schulen“ betreut. Fast eine Million Berliner Schüler seien es in den Jahrzehnten gewesen, erzählt Hohl. Viele Kinder seien hier zum ersten Mal im Kino gewesen. Und eine Lehrerin habe ihm kürzlich erzählt, dass auch sie erst als Schülerin im Broadway gewesen sei, dann als Mutter, nun als Lehrerin.
Das „Kino für Schulen“ hat dem Kino regelmäßig Preise für sein Programm beschert, das Hohl selbst nach seinen Vorstellungen, dabei aber durchaus offen für Lehrerwünsche, zusammenstellt. Nach den ersten Vorführungen von „Hitlerjunge Salomon“ hatte sogar CNN darüber berichtet, noch heute zeigt er den Film mit Erfolg, lädt dazu gerne Sally Perel, Autor der zugrundeliegenden Autobiografie, ein, wie es ohnehin zu den Filmvorführungen zusätzliche Informationen gibt, Unterrichtsmaterialien, die die Verleihfirmen anbieten oder auch mal einen am Film beteiligten Gast. Neuester Renner: „Almanya – Willkommen in Deutschland“.
Begonnen hatte es mit einem einzigen Saal, ein flacher Raum mit rund 185 Sitzen, von je zwei Betonpfeilern flankiert, die den freien Blick zwar nicht behindern, aber dem Raum auch nicht gerade Heimeligkeit vermitteln. 1983 kamen nach der Schließung einer benachbarten Disko drei kleinere Säle dazu. Wirklich befriedigend war die verschachtelte Kinoarchitektur des Broadway aber noch nie, da stimmen Wühle und Hohl ohne Weiteres zu. Nachzubessern hätte in den vergangenen Jahren aber auch keinen Sinn gehabt, da der Pachtvertrag immer nur noch kurzfristig verlängert wurde.
Zum Monatsende ist nun endgültig Schluss. Am Donnerstag gibt es noch drei Abschiedvorstellungen, passenderweise mit Woody Allens „Manhattan“. Danach wird der gesamte Gebäudekomplex vom Eigentümer saniert und für die Bedürfnisse des Einzelhandels umgebaut. Dieses Ende eines altvertrauten Kinoortes, den seit 1979 fast sieben Millionen Zuschauer besuchten, wird trotz der fragwürdigen Raumgestaltung von vielen bedauert, wie Wühle und Hohl immer wieder zu hören bekommen. Der Anteil des Stammpublikums liege bei 70 bis 80 Prozent, schätzt Hohl, und verweist auf die älteren Zuschauer, darunter besonders viele Frauen, die gerade am Nachmittag gerne vorbeischauten und die freundliche Atmosphäre schätzten.
Geboten wird ihnen neben einem hübsch gestalteten Cafébereich ein abwechslungsreiches Arthouse-Programm – ein Angebot für den Nachmittag, das im Kant-Kino fortgesetzt werden soll. Dessen Programmgestaltung und Marketing werden künftig von der Yorck-Kinogruppe gesteuert. Und auch das „Kino der Schulen“ soll mit dem Aus fürs Broadway nicht beendet sein, sondern ins Kreuzberger Yorck verlagert werden.
Das Aus fürs Broadway, dessen Mitarbeiter in anderen Häusern der Yorck-Gruppe unterkommen, setzt den vorläufigen, doch hoffentlich endgültigen Schlusspunkt unter das Siechtum der früheren Kinomeile Kurfürstendamm, zu der auch die sich anschließende Tauentzienstraße gehörte. Noch zur Wende reihten sich die Lichtspieltheater hier dicht an dicht, Häuser mit gutem Namen wie Marmorhaus und Filmbühne Wien, Gloria und Gloriette, Royal, Hollywood, Lupe 1 und 2, aber auch Randexistenzen wie das Blue Movie (noch so ein Pornoladen) und das Smokie im ehemaligen Ku’damm-Eck. Nach und nach, durch Verlagerung der Zuschauerströme in die neuen Kinogroßkomplexe und die höhere Finanzkraft des Einzelhandels mit seinem gerade auf dem West-Berliner Boulevard steigenden Raumbedarf, sind sie alle verschwunden. Auch das Astor an der Ecke Fasanenstraße ging diesen Weg, dessen Name immerhin auf die Astor Film Lounge, den ehemaligen Filmpalast, übertragen wurde. Neben dem Cinema Paris – es gehört ebenfalls zum Yorck-Reich und gilt schon wegen der Nähe zum Maison de France als sicher – ist sie das einzige direkt am Kurfürstendamm gelegene Kino, das überlebt hat. Und solange das Publikum dem neuen Astor die Treue hält, ist auch kein Grund erkennbar, warum sich das ändern sollte. Im hinteren Bereich eines Gebäudes gelegen, ist es für eine umsatzstarke Einzelhandelskette völlig unbrauchbar.
Das Broadway an der Tauentzienstraße 8 schließt mit Woody Allens „Manhattan“ am 23. Juni, 15 Uhr, 17.30 Uhr und 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.