Unterwegs in Berliner Ortsteilen: Charlottenburg: Wo die Euros locker sitzen
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 14: Charlottenburg.
Ich kapitulierte, bevor ich loslief. Charlottenburg: ein derart weitläufiger, einwohnerreicher, geschichtsträchtiger und mit Touristenattraktionen vollgestopfter Ortsteil, dass es mir aussichtslos vorkam, ihm im engen Rahmen dieser Kolumne gerecht zu werden. Von vornherein ließ ich deshalb alle Sehenswürdigkeiten links liegen – und ging shoppen. Ich wollte mich auf das beschränken, was in dieser Stadt wirklich nur in Charlottenburg geht: sinnlos Geld verprassen.
Was kostet der Porsche?
Staunend zog ich also durch die Edelläden rund um den Ku’damm und stellte mir vor, wie es wäre, nur das Teuerste vom Teuersten einzukaufen. Im Showroom der Königlichen Porzellan-Manufaktur ließ ich mir für 3124 Euro ein sechsteiliges Bauhaus-Kaffeeservice zusammenstellen und lehnte beleidigt ab, als der Verkäufer mir das Zuckerdöschen gratis dazugeben wollte. Bei einem Innenausstatter in der Kantstraße erstand ich zwei Sofakissen für 255 Euro das Stück, bei einem Antiquar in der Fasanenstraße einen Russland-Baedeker von 1888 für 450 Euro, in der Havanna-Bar ein paar Häuserblöcke weiter eine Zehner-Box Cohibas für 410 Euro. Weil ich irgendwann nur noch auf die Preisschilder in den Auslagen achtete, fuhr mir am Savignyplatz fast ein Porsche Cayenne über die Füße. „Was kostet die Karre?“, brüllte ich durch das offene Seitenfenster. Die Fahrerin ignorierte mich.
Vergrößerte Brüste für 24 Stunden: Geht, ist aber nicht billig
Etwas Überwindung kostete es mich, den Schönheitssalon in der Grolmanstraße zu betreten, der im Schaufenster mit „Brustvergrößerungen für 24 Stunden“ wirbt. Ließen sich hier Charlottenburgerinnen für ihre Milliardär-Dates aufpimpen? Unter dem durchsichtigen Vorwand, eine interessierte Freundin zu vertreten, sprach ich klopfenden Herzens eine der märchenhaft hübschen Mitarbeiterinnen an. Die Behandlung, erfuhr ich, kostete 1000 Euro. „Kochsalzlösung“, sagte die Brustexpertin. „Ist nach 24 Stunden komplett verstoffwechselt, die pullern Sie einfach wieder aus.“ Obwohl ich so kompetent wie möglich nickte, schien die Dame zu ahnen, dass ich nichts begriff. Es gehe hier nicht darum, sich auf ein besonderes Abend-Event vorzubereiten, erklärte sie mir. „Das würde gar nicht funktionieren – die Lösung läuft aus den Einstichlöchern raus, damit machen Sie niemanden glücklich.“ Vielmehr sei die Behandlung als optischer und psychologischer Testlauf für eine dauerhafte Brustvergrößerung gedacht. „Wenn sich Ihre Freundin danach für eine Operation entscheidet, rechnen wir ihr die 1000 Euro natürlich auf den Preis an.“ Ich versprach, meiner Freundin gut zuzureden.
Ein Polo-Shirt für 598 Euro
Manche Preise wirkten rätselhaft. Bei einem Herrenausstatter in der Fasanenstraße kostete ein Polo-Hemd ohne besondere Merkmale schwindelerregende 598 Euro. Vergleichsweise billig kamen mir dagegen die Austern in einer Ku’damm-Brasserie vor: Drei Stück nur zwölf Euro? Charlottenburg, you can do better!
Dann sah ich ihn. Er lief die Knesebeckstraße entlang, ein Mann um die 60, gekleidet mit müheloser Eleganz, umweht von unaufdringlichem Wohlstand, ein besserer Charlottenburger, als ich es je sein würde. „Entschuldigung“, rief ich atemlos, „wo kaufen Sie Ihre Klamotten ein?“ Der Mann zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „So was kriegen Sie in dieser Gegend nicht“, sagte er. „Da müssen Sie schon nach Paris.“
Fläche: 10,6 km² (Platz 29 von 96)
Einwohner: 126 800 (Platz 5 von 96)
Durchschnittsalter: 43,8 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Sophie Charlotte (Namensgeberin, Schlossherrin, Gattin von Friedrich I.)
Gefühlte Mitte: Savignyplatz
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Diese Kolumne erschien am 10. Juni 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.
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