Missbrauchsskandal: Canisius-Kolleg: Der Täter wurde weitergereicht
Lehrer Wolfgang S. wechselte nach den Missbrauchsfällen am Berliner Canisius-Kolleg an andere Jesuitenschulen. In Hamburg meldeten sich ebenfalls Schüler, die er missbraucht haben soll. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob die Oberen des Ordens die Taten geduldet haben.
Über 1000 Mails habe er in den vergangenen Tagen bekommen, sagte Stefan Dartmann, der Provinzial des Jesuitenordens, darunter auch Schreiben von Opfern sexuellen Missbrauchs durch die beiden Jesuitenpater Wolfgang S. und Peter R.. „Selbst wenn wir uns damals an die Öffentlichkeit gewandt hätten, hätte uns keiner geglaubt“, habe ihm ein Mann geschrieben. Das habe ihn erschüttert, sagte der Ordenschef. Er sei auch deshalb am Montag nach Berlin gekommen, um den Opfern zu sagen: „Wir glauben Euch.“ Dartmann versicherte, dass er „nichts vertuschen“ wolle.
Dann legte der Ordensmann dar, was er bislang über die „Missbrauchsgeschichte“ der beiden Täter Wolfgang S. und Peter R. erfahren habe, die bis 1979 beziehungsweise 1981 am Canisius-Kolleg unterrichtet haben. Auch an den Orten, an denen sie nach dem Ausscheiden in Berlin tätig waren, seien die beiden „übergriffig“ geworden, sagte Dartmann.
So ging Peter R. 1982 von Berlin nach Göttingen, um Jugendarbeit für Pfarreien aufzubauen. Dort wurde er verdächtigt, Mädchen belästigt zu haben. 1986 ist ein Mordanschlag auf Peter R. verübt worden, der ihn leicht verletzte. Als er nach einer Ausbildungsstation in Mexiko nach Deutschland zurückgekehrt war, hat ihn die Ordensleitung beurlaubt und ihm den Austritt nahegelegt. 1995 ist er aus dem Orden ausgeschieden, dann aber vom Bischof in Hildesheim in Dienst genommen worden – obwohl sich auch in Hildesheim eine Mutter beschwert hatte, dass er gegenüber der 14-jährigen Tochter „übergriffig“ geworden sei. „Was der Bischof in Hildesheim von der Vorgeschichte des Paters wusste, müssen die Ermittlungen ergeben“, sagte Dartmann.
Laut Dartmann war der zweite Täter, Pater Wolfgang S., von 1975 bis 1979 als Lehrer für Deutsch, Religion und Sport am Canisius-Kolleg und danach bis 1982 an der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg tätig.
Auch dort meldeten sich jetzt drei ehemalige Schüler, an denen sich S. vergriffen haben soll, erklärte der Leiter des Gymnasiums. Einer soll zu verstehen gegeben haben, dass mit dem Bekanntwerden weiterer Opfer zu rechnen sei. Von 1982 bis 1984 war S. am Kolleg in St. Blasien im Schwarzwald tätig. Der Berliner Pater habe sich ihm gegenüber offenbart, sagte der Ex-Direktor dieser Schule. Er habe die Ordensleitung informiert, S. habe die Schule 1984 verlassen. 1985 ging er nach Chile und trat 1992 aus dem Orden aus. In Hamburg sowie in Baden-Württemberg war er in psychologischer Betreuung, wie Ordensprovinzial Stefan Dartmann mitteilte.
In einem Fragebogen zur Rückversetzung in den Laienstand habe S. 1991 seine sexuellen Übergriffe in St. Blasien und in Hamburg selbst gestanden, sagte Dartmann. Diese hätten in einem „exzessiven körperlichen Bestrafungsritual“ bestanden, nicht aber in Geschlechtsverkehr. Bei dem Fragebogen sei ihm Diskretion zugesagt worden, weshalb man ihn nicht angezeigt habe, sagte Dartmann. Das Papier sei nach Rom gesandt worden und liege mittlerweile unter Verschluss.
Der erste Hinweis auf Missbrauch ist ein Brief von 1981 an den Schulrektor, an den Ordensoberen und ans Erzbistum, in dem sich gerade ausgeschiedene Schüler des Kollegs über die Sexualpädagogik von Pater R. beschwert und um ein Gespräch gebeten hatten. Dartmann hat den Brief jetzt in den Ordensarchiven gefunden. Offenbar sei er unbeantwortet geblieben, sagte der Ordenschef. „Ich verstehe nicht, warum dieser Brief nichts bewirkt hat“, sagte Pater Klaus Mertes, der Rektor des Kollegs am Montag. „Da haben Schüler mit großem Mut Missstände angesprochen. Da muss man doch sofort nachfragen. Ich schäme mich dafür, dass nichts getan wurde.“
Pater Karl-Heinz Fischer, der das Canisius-Kolleg von 1981 bis 1989 leitete, sagte am Telefon, er habe während seiner Amtszeit weder von dem Brief noch von Missbrauchsvorwürfen erfahren. „Das Gesamtbild“ habe damals aber ergeben, dass Peter R. für die Jugendarbeit ungeeignet ist“, sagte Fischer. Er habe seinen damaligen Vorgesetzten, den Jesuitenchef für Norddeutschland und Ex-Rektor, Pater Rolf Dieter Pfahl, benachrichtigt. Dieser habe die Versetzung angeordnet.
Am gestrigen Montag meldete sich auch erstmals Kardinal Georg Sterzinsky ausführlich zu Wort. Um Missbrauchsfälle künftig zu verhindern, forderte er Eltern und Lehrer auf, Kinder frühzeitig über Sexualität aufzuklären. In einem Interview mit dem RBB wandte er sich direkt an die Kinder: „Wenn euch etwas Merkwürdiges passiert, dann müsst ihr damit rausrücken, dann müsst ihr euch den Eltern anvertrauen.“
Pater Mertes sagte, als er 1994 an die Schule kam, habe er Gerüchte über sexuellen Missbrauch von Schülern gehört. Seitdem habe er das Thema bei jedem Jahrgangstreffen angesprochen und den ehemaligen Schülern signalisiert, dass er ein offenes Ohr dafür habe. 2006 habe sich dann erstmals ein Opfer schriftlich erklärt, der für eine kleine Gruppe sprach. 2008 habe sich eine weitere ehemalige Schülerin gemeldet, die für ein anderes Opfer sprach. Erst durch die Aussagen von Opfern im vergangenen Dezember und Anfang Januar sei ihm der „systematische Charakter der Vergehen“ klar geworden. Ein wichtiger Beitrag zur Wiedergutmachung gegenüber den Opfern sei die rigorose Aufklärung, sagte Mertes.
„Wer im Orden und von den Schulrektoren was gewusst hat, soll jetzt Ursula Raue ermitteln“, sagte Ordenschef Dartmann. Vermutlich seien die Vergehen verjährt – „was vielleicht ein Skandal ist“. Vieles spreche dafür, dass die Taten verjährt sind, sagte auch Martin Steltner, der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat auch geprüft, ob sich die Kirchenleitung strafbar gemacht habe. Bisher sei allerdings nicht zu erkennen, dass die Ordensoberen den Missbrauch geduldet hätten.
Mehrere Ex-Schüler katholischer Elitegymnasien berichteten dem Tagesspiegel am Montag von gezielten Demütigungen und üblichen Prügelstrafen. Schläge als Erziehungsmittel sind in der Bundesrepublik seit 1973 verboten. Doch noch Mitte der 80er habe es, berichtete ein Berliner Jurist, an einem Kollegium am Niederrhein Ohrfeigen und Schläge gegeben. „Prügelnde Lehrer waren völlig normal“, sagte der Mann, der die Schule bis zur neunten Klasse besucht hatte.
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