Berlin: "Café Pssst!" darf bleiben: Ältestes Gewerbe auf dem Weg zum anerkannten Beruf
Das Verwaltungsgericht bringt die Rechtsprechung zur Prostitution ins Wanken. Gestern entschied die 35.
Das Verwaltungsgericht bringt die Rechtsprechung zur Prostitution ins Wanken. Gestern entschied die 35. Kammer im Prozess um die Gaststättenlizenz des Wilmersdorfer Cafés und Bordells "Pssst!", die Prostitution könne nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig gelten. Die Wertvorstellungen in der Gesellschaft hätten sich geändert. Bisher waren Lokale, die Kontakte zu Huren ermöglichen, von der Zwangsschließung bedroht.
"Wir haben gewonnen!", rief Bordell-Chefin Felicitas Weigmann nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude aus, schaltete einen mitgebrachten roten Scheinwerfer an und sang vor laufenden Kameras: "Weißt Du, wie viele Bordelle stehen in dem braven Wilmersdorf..." Die anwesende frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag, Irmingard Schewe-Gerigk, nannte das Urteil wegweisend: "Es macht Druck." Versöhnliche Töne schlug auch Wilmersdorfs Baustadtrat Alexander Straßmeir (CDU) an, der die verreiste SPD-Wirtschaftsstadträtin Monika Thiemen vertrat. Das Bezirksamt habe nicht speziell Weigmanns Betrieb schaden wollen, sondern nur seine Pflichten gemäß der bisherigen Rechtsprechung erfüllt.
Im "Café Pssst!" warten Huren auf Freier, mit denen sie gegebenenfalls Wohnungen im Hinterhaus aufsuchen. Diese werden von der Wirtin untervermietet. Ende 1999 entzog das Wirtschaftsamt der Bar die Ausschankerlaubnis, weil in Lokalen nach dem Gaststättengesetz nicht "der Unsittlichkeit Vorschub geleistet" werden dürfe. Dagegen legte Felicitas Weigmann Widerspruch ein. Im Frühjahr erklärte der Bezirk auf Druck des Gerichts, den Lizenzentzug vorerst auszusetzen. Jetzt hat die Wirtin auf ganzer Linie gesiegt. Denn ohne die "Sittenwidrigkeit" der Prostitution trifft der Passus im Gaststättengesetz nicht auf ihren Betrieb zu.
Eine wesentliche Rolle in dem Prozess spielte, dass die Frauen in dem Wilmersdorfer Bordell auf eigene Rechnung und ohne Zwang arbeiten. Schon im Frühjahr hatte ein Polizei-Experte erklärt, die Ermittler hätten "weniger Arbeit, wenn alle bordellartigen Betriebe so geführt würden". Begleitkriminalität werde auch künftig nirgends geduldet, stellte der Vorsitzende Richter Percy MacLean klar: Erst vor kurzem habe seine Kammer die Zwangsschließung eines anderen Bordells wegen illegaler Beschäftigung von Ausländern bestätigt.
Das Gericht hielt dem Bezirksamt vor, dass "auch in Wilmersdorf Edelbordelle mit Getränkeausschank ohne kriminelles Umfeld in den letzten 20 Jahren bewusst geduldet wurden". Gemeint war damit vor allem ein Etablissement in Grunewald. Auch die Behörden in anderen Bezirken duldeten viele "bordellartige" Lokale. Für einen generellen Meinungswandel in der Gesellschaft sprechen die meisten der 50 Stellungnahmen von Verbänden und Experten, die das Gericht eingeholt hatte (siehe nebenstehenden Bericht). Zum Vergleich erinnerte Richter MacLean an frühere Zeiten: In den 50er Jahren seien Beamte noch wegen Ehebruchs entlassen worden; als "Kuppelei" sei es schon gewertet worden, wenn eine Mutter ihre volljährige Tochter und deren Verlobten bei sich übernachten ließ; und Homosexualität zwischen erwachsenen Männern sei bis 1973 strafbar gewesen.
Auch nach dem Urteil wird sich das Gewerbe nicht überall in der Stadt ausbreiten können. So verwies Tiergartens Baustadtrat Horst Porath (SPD) auf die Möglichkeit, Sexlokale durch Bebauungspläne aus Wohngebieten fernzuhalten. Außerdem ließen sich auch andere Wege finden: Er habe "allein mit der Baufsicht zwei Betriebe schließen können", weil dort Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen festgestellt wurden.
Die Senatswirtschaftsverwaltung wollte das Urteil noch nicht kommentieren, bot dem Bezirksamt Wilmersdorf aber Gespräche an. Sprecher Michael Wehran bestätigte die Meinung der Richter, dass schon jetzt "viel auf Bezirksebene toleriert wird". Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus und ein Sprecher von SPD-Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler begrüßten den Gerichtsbeschluss: Dieser ebne den Weg zur sozialen Absicherung der Huren.
Unabhängig von dem Gerichtserfolg muss das "Café Pssst!" seinen bisherigen Standort bald verlassen, weil der Vermieter zum Jahresende gekündigt hat. Die Wirtin sucht schon "größere Räume mit Tanzfläche".
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