Berlin: Caballé und Liebe
Ein sonniger Abschluss von Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt mit der Operndiva und dem Tenor José Cura
So kann es gehen, wenn man den Mund zu weit aufreißt: Eine Mücke zwingt José Cura am Dienstagabend, seine Arie aus Francesco Cileas Oper „Adriana Lecouvreur“ nach wenigen Takten abzubrechen. Der argentinische Tenor hustet kurz, macht eine lockere Bemerkung über „german moskitos“ und singt dann ganz locker weiter. Überhaupt geht es äußerst entspannt zu beim Abschlusskonzert des 13. Classic-Open-Air-Festivals.
Hatten die Besucher der fünf vorausgegangenen Konzerte auf dem Gendarmenmarkt immer wieder unter dem schauerlichen Wetter zu leiden gehabt, taucht die Abendsonne zum guten Schluss den Platz doch noch einmal in jenes liebliche Licht, das zu den populären Programmen des Freiluftfestivals eigentlich dazugehört.
Alle 7406 Plastikstühle waren besetzt, freundlicherweise hatte wiederum die Firma Hochtief die abendlichen Bauarbeiten am südwestlichen Ende des Platzes eingestellt, wo derzeit in der einstigen Staatsbank ein neues Luxushotel entsteht. Montserrat Caballé und José Cura konnten also ungestört ihr Arien- und Duett-Potpourri präsentieren. Die beiden Sänger kennen das Berliner Musikfestival gut: Die spanische Sopranistin war schon zweimal da – 1993 und 1999 –, Cura sorgte vor vier Jahren für Begeisterungsstürme.
Doch eigentlich hatte der Abend sogar drei Stars: Die Anhaltische Philharmonie Dessau leistete viel mehr, als man gemeinhin von einem Begleitorchester erwartet: Echte Italianità entlockte Chefdirigent Golo Berg seinen Musikern bei den Ouvertüren zu Rossinis „Barbier von Sevilla“ und Verdis „Macht des Schicksals“ sowie dem Intermezzo aus Puccinis „Manon Lescaut“ – und selbst verwöhnte Klassikfans durften mal wieder über die Lautsprecheranlage staunen: Nicht nur die Sängerstimmen kommen bestens auf dem Platz an – auch die Orchesterinstrumente sind klar zu unterscheiden.
Es ist wohl die alte Italien-Sehnsucht der Preußenkönige, die auch im Jahr 2004 die Berliner immer noch auf die einzige authentische Piazza der Stadt lockt. Und wenn sich der Himmel Rokoko-Blau färbt, wenn Watteau-Wattewolken über den Gendarmenmarkt segeln und auf der Treppe des Schauspielhauses Belcanto erklingt, kann man sich mit ein wenig Fantasie wirklich wie im Süden fühlen (vorausgesetzt, man ist warm genug angezogen).
José Cura passt bestens in diesen Traum: Es fällt schwer, das Wort sexy zu vermeiden, wenn von dem Tenor die Rede ist. Er rollt das „R“, so wie durchtrainierte Kerle ihre Muskeln spielen lassen, er stellt jeden Stummfilmdarsteller mit seiner Gestik in den Schatten, er seufzt und schluchzt wie ein Opernheld des 19. Jahrhunderts, kurz, er wendet alle Tenortricks an, um die Massen zu verführen.
Und Montserrat Caballé? Man sagt es nicht gerne als Fan dieser Sängerin: Doch mit der Pianissimo-Diva von einst, der Königin der hauchzarten Spitzentöne hat die Caballé von heute nichts mehr zu tun. Mit ihren Schallplattenaufnahmen der großen Koloratur-Rollen hat sie sich unsterblich gemacht. Das ist 30 Jahre her. Doch es zieht sie immer wieder hinaus auf die Bühne. Sie kann es einfach nicht lassen. Sicher, ihre Bühnenpräsenz ist immer noch enorm, und als Superprofi verhaucht sie heikle Töne so geschickt, dass die meisten Zuhörer es gar nicht merken. Aber wenn die Partitur leidenschaftliches Aufbrausen verlangt, werden die Töne unangenehm scharf.
Ihr größter Trumpf ist mittlerweile ihr Humor: „Er könnte mein Sohn sein“, sagt Montserrat Caballé über José Cura, der es ihr in den Duetten so leicht wie möglich macht. „Und wer würde sich nicht so einen Sohn wünschen!?“ Dann lacht sie ihr ansteckendes Lachen und singt mit spanischem Akzent „Das ist die Berlinerrr Luft“. Da springen alle 7406 Zuhörer von ihren Plätzen auf, feiern die Legende, und José Cura singt nur für sie „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“.
Weitere Mücken ließen sich an diesem Abend nicht blicken. Das wenigstens ist ein Vorteil des ausgefallenen Sommers.
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