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Berlins Zentralrasen. Eine schöne neue Idee für die alte Mitte: Der Architekt Lars Krückeberg vom Büro Graft würde gerne Gras über Alt-Berlin wachsen lassen.
© Simulation: Graft

Historische Mitte Berlins: Bürgerdialog zur Zukunft der Altstadt hat begonnen

Spaziergänge, Theater, Workshops – möglichst viele Berliner sollen sich an der Debatte über das ehemalige Alt-Berlin beteiligen. Der Senat verspricht, nichts vorwegzunehmen. Denn die Gegend am Roten Rathaus bleibt ein Politikum.

Der Verein „Bürgerforum Berlin“ muss seinen Flyer eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn wieder von den Stehtischen räumen. Das Publikum könnte darin eine Verletzung der Neutralität erkennen. Das Bürgerforum setzt sich „für die Realisierung lebendiger und schöner Straßen und Plätze ein, wie sie bis 1933 bestanden haben“. Ein klares Votum für die Wiederherstellung der alten Stadtmitte, doch im jetzt beginnenden Dialogprozess „Alte Mitte - neue Liebe“ geht es darum, Meinungen und Vorfestlegungen erstmal aus den Köpfen herauszudebattieren.

Dazu soll es Stadtspaziergänge, Workshops, interaktives Theater, eine Ausstellung und Kolloquien geben, vor allem im Juni. Im September wird dann auf einem Forum die „Halbzeitbilanz“ gezogen. Die Diskussion im Internet, auf stadtdebatte.berlin.de, hat schon begonnen. Dort können zu verschiedenen Themen Beiträge gepostet und kommentiert werden. Die ersten Nutzer wünschten sich eine Straßenbahnverbindung über die Rathausstraße und die Aufwertung des Parks am Marx-Engels-Denkmal.

DDR-Moderne, Lutherdenkmal, Neptunbrunnen

„Erkenntnisgewinn“, das ist das Schlagwort von Bausenator Andreas Geisel (SPD). Er habe in den vergangenen Monaten schon einiges dazugelernt – über die DDR-Moderne, das Rathausforum, Lutherdenkmal, Neptunbrunnen und die städteplanerischen Zwänge und Zufälle, die den oft beklagten Ist-Zustand des Ortes prägen. Er verspricht erneut einen ergebnisoffenen Prozess.

Zum Auftakt des Bürgerdialogs, der bis in den Herbst dauern soll, kamen einige hundert Normalbürger, aber auch viele Fachleute ins Kongresszentrum am Alexanderplatz. Die Anhänger der historischen Stadtgestaltung sehen sich trotz der Neutralitätsvorgabe in der Defensive und beklagten ein „Bilderverbot“, verhängt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und ihrer Baudirektorin Regula Lüscher. Im Kongresszentrum waren zwar viele Übersichtskarten zu sehen, aber keine historischen Fotos, die oft magnetische Wirkung entfalten.

Der Neptunbrunnen soll ans Stadtschloss zurückkehren, wünscht sich der Schlossarchitekt Stella. Darüber wird auch beim Bürgerdialog gestritten werden.
Der Neptunbrunnen soll ans Stadtschloss zurückkehren, wünscht sich der Schlossarchitekt Stella. Darüber wird auch beim Bürgerdialog gestritten werden.
© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Der Ort braucht eine "Programmierung"

Lüscher sagte in ihrer kurzen Rede, es gehe in den nächsten Monaten darum, eine „Programmierung des Ortes zu überlegen“, bevor wieder Pläne und Simulationen entworfen werden. Damit kritisierte sie indirekt den von ihr selbst initiierten Ideenwettbewerb von 2009, der mit einem großen Wasserbecken und anderen Bildentwürfen starke Suggestivkraft entfaltet und heftige Proteste aus der Bürgerschaft ausgelöst hatte. Diesmal also „keine Vorgaben, keine Bilder“, sagte Lüscher. „Wir wollen herausfinden, wofür steht eigentlich diese Mitte.“

Das weite Feld der Mitte zwischen Spree und Alexanderplatz ist für die meisten Besucher enttäuschend. Auf stadtdebatte.berlin.de werden bereits seit vier Wochen Kommentare zur Historischen Mitte gesammelt. 3000 sind zusammengekommen. Von einer „Blamage“ für Berlin ist dort die Rede, „traurig und trist. Wie DDR“, schreibt ein anderer Kritiker. Einige machen sich gar nicht erst die Mühe, ihre Festlegung in Frage zu stellen: „Dem Schloss muss die Altstadt folgen. Da geht kein Weg dran vorbei. Das Schloss braucht die Stadt in seinem Rücken.“

Das "historische Herz" wurde weggesprengt

Eine andere Meinung: „Städtebau mit Dynamit sprengte das historische Herz aus der Stadt Berlin heraus. Davon hat sich die Kernstadt bis heute nicht erholt und sämtliche Quartiere Altberlins sind isoliert voneinander.“ Es gibt auch positive Stimmen: Berlin zeige hier sein „historisch vielschichtiges Gesicht, das sonst überall mit Einheitsarchitektur weggeputzt wurde“. Bei der Auftaktveranstaltung schrieb ein Bewohner auf eine Tafel, was ihm die Mitte bedeutet: „Heimat, Zuhause, meine Freunde.“ In den das Rathausforum flankierenden Plattenbauten wohnen eben auch einige tausend Berliner.

Geisel mahnte, nicht nur oberflächlich zu diskutieren. Wer sich Wohnhäuser wünsche, müsse sich auch Gedanken über die Bewohner machen, die sich das leisten könnten. Ein freier Platz müsse auch die Frage beantworten, was auf ihm geschehen soll. Immerhin sei der namenlose Ort die „Mitte einer Weltstadt“, sagte Geisel und wagte damit dann doch eine Vorwegnahme. Dass hier das Zentrum des modernen Berlins liegt, ist keine Selbstverständlichkeit.

Das Parlament entscheidet am Ende

Geisel wünscht sich einen internationalen Wettbewerb, der im Herbst beginnen soll. Nicht allein die Berliner dürften über die Mitte der Hauptstadt diskutieren. Unklar ist, ob dieser Wettbewerb auch Thema des Bürgerdialogs sein soll. Entscheiden müssen letztlich die Parlamentarier im Abgeordnetenhaus.

Die „Wächter des Verfahrens“ sind die 15 Mitglieder des Kuratoriums, sie sollen mitdiskutieren, aber vor allem Wissen liefern und für einen fairen Diskurs sorgen. Thomas Flierl, der ehemalige Kultursenator, ist dabei, Tilmann Heuser vom BUND, Friederike von Kirchbach, Pröpstin der Evangelischen Kirche, und Manfred Rettig von der Stiftung Berliner Schloss.

Das neue Stadtschloss wird die Diskussion mit zunehmemder Fertigstellung nachhaltig beeinflussen. Die vom Architekten Stella gewünschte Rückversetzung des Neptunbrunnens vor das Schloss ist schon lange ein Politikum.

Thomas Loy

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