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Ganz normal. Evelyn Bawolski aus Reinickendorf ist Katholikin, Nächstenliebe bedeutet ihr viel. Foto: Georg Moritz
© Georg Moritz

Neujahrsempfang Schloss Bellevue: Bundespräsident ehrt engagierte Berlinerin

Evelyn Bawolski ist die einzige Berlinerin, die am Freitag von Joachim Gauck geehrt wurde – für besonderes ehrenamtliches Engagement. So richtig versteht sie das selbst nicht.

Als in Evelyn Bawolskis Briefkasten ein Schreiben mit einem offiziell aussehenden Stempel lag, dachte sie zuerst, sie sei zu schnell gefahren. Stattdessen verbarg sich in dem Umschlag eine Einladung zum Neujahrsempfang bei Bundespräsident Joachim Gauck. Jedes Jahr wird so im Schloss Bellevue ehrenamtlicher Einsatz besonders gewürdigt, 60 engagierte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland werden geehrt, Evelyn Bawolski aus Reinickendorf ist die einzige Berlinerin, die in diesem Jahr ausgezeichnet wurde. Warum? Das versteht sie selbst nicht so richtig. Doch bei den jährlichen Ehrungen des Bundespräsidenten geht es gerade darum, keine glamourösen Initiativen, sondern Menschen von nebenan für ihren Einsatz im Alltag zu würdigen.

Trotz ihrer eigenen Erkrankung an Kehlkopfkrebs kümmert sich die 60-Jährige Bawolski seit Jahren nicht nur um ihre 86-jährige Mutter, sondern unternimmt auch kleine Ausflüge mit einer behinderten Frau im Rollstuhl, die kaum noch sprechen kann. Mit ihr geht sie zu Konzerten oder ins Restaurant. Und die Mutter ihrer Freundin besucht sie jeden Tag im Hospiz.

Freundin schlug sie für die Ehrung vor

Dabei bleibt ihr kaum Zeit, sich um ihre eigenen Interessen zu kümmern. Die Journalisten, die sie in den vergangenen Tagen zum Gespräch besuchten, empfing sie in ihrer kleinen Einzimmerwohnung. Ein neues Auto hat sie sich nur gekauft um Rollstuhl und Rollator darin transportieren zu können. Dabei wollte sie auf keinen Fall so eine „Rentnerkutsche“ wie sie selbst über ihren neuen VW Touran sagt. Eine langjährige Freundin aus Kindertagen hatte Evelyn Bawolski heimlich für die Ehrung vorgeschlagen. Der war gar nicht bewusst, was an ihrem Einsatz so besonders sein soll. „Ich bin schon immer so, ich kann gar nicht anders“, sagt sie.

Ganz so unerklärlich ist ihr Engagement dann aber doch nicht. Evelyn Bawolski ist auch gläubige Katholikin, Nächstenliebe spielt daher eine große Rolle für das, was sie tut. Früher hat sie beim Berliner Landesverband für Vertriebene in Marienfelde gearbeitet. Dann kam 2012 die Diagnose Kehlkopfkrebs. „Ich bin gerade noch einmal von der Schippe gehopst“, sagt sie heute darüber.

Eine Reise in die Sonne ist ihr größter Wunsch

Die Krankheit hielt sie aber nicht davon ab, sich weiter für die Menschen in ihrer Umgebung einzusetzen, auch wenn es sie große Kraft kostet. „Wenn ich einen Sechs-Stunden-Tag hinter mir habe, dann bin ich völlig fertig“, sagt sie. Doch sie ist dankbar, dass sie den „Weg durch die Hölle“, wie sie die Zeit der Erkrankung nennt, geschafft hat und das ganz ohne fremde Hilfe. Generell macht sie Dinge lieber alleine. Auch zum Neujahrsempfang nahm sie niemanden mit.

Wenn sie sich etwas für sich selbst wünschen könnte, dann wäre es eine Reise, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Freundin. Dabei muss es nicht gleich Amerika sein. „Es reicht auch Teneriffa“, sagt sie bescheiden und nippt an ihrem ungesüßten Tee. Durch ihre Verpflichtungen und ihre Krankheit ist aus dem Urlaub aber bisher nichts geworden. Sie könnte ihre Mutter auch einmal in Kurzzeitpflege geben, sagen ihr Bekannte. Aber das kommt für sie nicht in Frage.„Ich möchte das niemand anderem antun“, sagt sie.

Wie lange sie das alles noch machen kann, weiß Evelyn Bawolski nicht. „Wenn man so was wie ich hinter sich hat, dann schaut man nicht mehr so weit in die Zukunft“, sagt sie. Am Tag vor dem Empfang noch musste sie zur Lymphdrainage.

Im Schloss Bellevue werde sie sich sicher ein wenig deplatziert fühlen, sagt Evelyn Bawolski vor der Ehrung durch den Bundespräsidenten. „Es ist schon was Besonderes, aber ich bin ja nichts Besonderes.“ Deshalb war sie am Tag vor dem Empfang ziemlich nervös. Gut, dass die Kleiderwahl da schon geklärt war. Gemäß Protokoll musste Abendgarderobe getragen werden. Evelyn Bawolski hat sich extra einen dunklen Hosenanzug besorgt. Es gab auch die Möglichkeit dem Bundespräsidenten etwas zu schenken. „Ich werde ihm meinen Händedruck schenken“, sagt sie vor dem Treffen. „Nur dass meine Hand nass sein wird und seine trocken.“

Nach der Ehrung durch Joachim Gauck fand für alle geladenen Gäste ein gemeinsames Mittagessen im Großen Saal von Schloss Bellevue statt. Doch Evelyn Bawolski hofft kurz davor noch, dass sie bei all ihrer Aufregung nicht den Appetit verliert. Sie sagte: „Bei dem Gedanken, dass ich da geehrt werde, wird mir ganz schlecht.“

Pascale Müller

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