Kommentar zur Zentral- und Landesbibliothek: Bücher zu Schmiermitteln!
Wer braucht noch Bibliotheken? Das fragen sich nicht nur eingefleischte Internetnutzer. Derweil plant Berlin weiter. Die ZLB wird ein teurer Prachtbau. Der Zweck, den Büchereien heute haben können, gerät dabei aus dem Blick.
270 Millionen Euro sollte der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ursprünglich kosten, so haben es die Koalitionäre des Berliner Senats beschlossen, wenn auch unter hörbarem Zähneknirschen des Juniorpartners CDU. Schließlich wusste jeder, dass die ZLB am Rande des Flughafens Tempelhof das Denkmal der Ära Wowereit und dessen Geschenk an seinen politischen Heimatbezirk werden sollte. Inzwischen aber räumte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher eine Steigerung der Baukosten auf über 300 Millionen Euro ein. Die üblichen Indexsteigerungen eingerechnet, könnte die Summe bis zum avisierten Fertigstellungstermin 2021 noch deutlich ansteigen, und sollte Klaus Wowereit unterwegs noch ein paar Änderungswünsche äußern, liegt auch eine Summe von über 400 Millionen Euro im Bereich des Möglichen.
Da fragen sich denn nicht nur eingefleischte Internetuser, ob das noch eine angemessene Investition für physische Informationsträger wie Bücher, CDs und Ähnliches sei. Die Öffentliche Bibliothek Amsterdam, stets als Vorbild für modernes Büchereiwesen angeführt, kam mit 90 Millionen Euro für ein achtgeschossiges Gebäude nahe beim Hauptbahnhof aus, die neue Stadtbücherei Stuttgart, ausgezeichnet als „Bibliothek des Jahres 2013“, für ihren ebenso spektakulären Neubau mit 80 Millionen Euro.
Natürlich kann eine Zentralbibliothek auch in Tempelhof funktionieren, mag auch die Verteidigung dieses eher dezentralen und wenig kostengünstigen Standorts etwas von „Augen zu und durch“ haben. Die Alternative, am bewährten Ort der Amerika-Gedenkbibliothek beim U-Bahnhof Hallesches Tor Erweiterungen zu schaffen, wie vor 1989 bereits zu einem Architekturwettbewerb gediehen, ist leidlich aus dem Blick geraten. Und über einen Bau auf der tristen Grünanlage gegenüber dem künftigen Humboldt-Forum ist noch gar nicht recht diskutiert worden. Ein Standort, der der touristischen Übernutzung der historischen Stadtmitte ein lokales Berliner Gegengewicht an die Seite stellen würde.
Besser: ein Monument von Lernen, Wissen, Erfahren
Das eigentliche Ärgernis der Berliner Fantastilliarden-Planung besteht aber eh darin, dass sie die angesichts von Bibliotheksschließungen in den Bezirken ohnehin umstrittene Idee einer zentralen Stadtbücherei von vornherein zu desavouieren droht. Längst macht die Berliner Bibliothek nicht mehr als zukünftiger Ort des Lesens und Lernens Schlagzeilen, sondern in einer Reihe mit anderen, aus dem Ruder laufenden Großprojekten, an der Spitze der BER, aber auch die nicht zu stemmende Sanierung des ICC.
Das ist fatal, zumal es immer mehr Menschen gibt, die ein Haus für Bücher und Begegnungen für entbehrlich halten. Wenn die Politik auch sie „mitnehmen“ will, muss sie mehr bieten als die Aussicht auf dauernde Kostensteigerungen. Sie muss den „Mehrwert“ in den Blick rücken, den eine Bibliothek bietet. Den sie bieten kann, wenn sie mehr ist als ein Lesesaal mit Ruhegebot. Den Mehrwert, der sich nicht in der bloßen Aushändigung von Büchern oder Datenträgern erschöpft. Sondern der in der baulichen Nähe mit Veranstaltungsräumen besteht, mit Musik und Vorführung, und wo Hilfe beim Suchen und Finden geboten wird, ja letztlich beim Sich-selber-Finden . Und ja, auch das kostet.
Die Bibliothek ist ein Ort vielleicht nicht einmal der „Begegnung“, sondern – und das genügt vollauf – einfach nur des sozialen Nebeneinanders in einer Gesellschaft, die sich immer weiter vereinzelt und Beziehungen zunehmend als jederzeit kündbare Partialkontakte kennt. Menschen müssen sich überhaupt als soziale Wesen wahrnehmen können und nicht lediglich als Adressen im uferlosen Netz. Das Buch – oder sonst ein Informationsträger – ist in dieser Hinsicht nur das Schmiermittel für das Getriebe an diesem Ort, der nun einmal Bibliothek genannt wird.
Berlin braucht eine Bibliothek wie Amsterdam oder Stuttgart. Aber nicht als Monument der Geldverausgabung, sondern als Monument des Abenteuers von Lernen, Wissen, Erfahren. Als zentrale Zierde einer Stadt, die sich auf Kultur, aber grundsätzlicher noch auf ihre Zivilität etwas zugutehält. Der derzeitige Planungsfortgang am Standort Tempelhof droht, genau das aus dem Auge zu verlieren.