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Früher wurde in  Britz auf Kurz- und Mittelwelle gesendet. Einer der Masten ist mittlerweile demontiert. :
© Kai-Uwe Heinrich

Rundfunkgeschichte: Britz macht keine Welle mehr

Ende einer Rundfunk-Ära nach 67 Jahren: Der früherer Rias-Sender in Britz wurde abgeschaltet. Letzter Nutzer war das Deutschlandradio.

Kurz nach seinem Amtsantritt 1994 als Chefredakteur des Deutschlandradios erreichte Willi Steul die Beschwerde einer älteren Berlinerin: Auch bei ausgeschaltetem Radio empfange sie in ihrer Küche das Programm des Senders. Mit einem Techniker besuchte Steul die alte Dame und tatsächlich: Auch ohne Radio war das Programm deutlich zu hören. Das lag am dünnen Blech der Spüle, das durch den nahen Mittelwellen-Sender Britz zu schwingen und zu tönen begann. Stellte man eine Tasse hinein, blieb die Spüle stumm. Ein Doppelpräsent, neues Küchenmöbel plus Radio, behob das Problem.

Seit Mittwoch muss Steul, seit 2009 Intendant des Deutschlandradios, mit ähnlichen Klagen nicht mehr rechnen: Gegen 11.45 Uhr wurde der Mittelwellensender und damit der gesamte Standort am Britzer Damm 176 abgeschaltet. Gesendet wird jetzt nur noch vom Fernsehturm, aber eben nicht mehr auf Mittelwelle. Das hat für den normalen Hörer wenig Folgen. Zwar ist jetzt nicht mehr bei besonders günstigen Sendebedingungen das aus Britz gesendete Programm selbst jenseits der Alpen zu hören, aber ansonsten bleibt die Versorgung über UKW und Digitalhörfunk gewährleistet.

Rundfunkhistorisch bedeutete der Knopfdruck, der die Britzer Anlage für immer abschaltete, aber das Ende einer Ära, in zweifacher Hinsicht: Gestern auf den Tag genau vor 67 Jahren begann aus Britz der „Rundfunk im amerikanischen Sektor“, kurz Rias, zu senden, Nachfolger des Dias („Drahtfunk im amerikanischen Sektor“). Bis gestern nutzte das Deutschlandradio die traditionsreiche Mittelwellenfrequenz 990 kHz des in den neunziger Jahren teils privatisierten, teils ins Deutschlandradio überführten Rias.

Die Geschichte des Mittelwellenradios aus Berlin reicht aber weiter zurück. Sie begann am 29. Oktober 1923 im Vox-Haus in der Potsdamer Straße, als mit der Ansage „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter“ das erste regelmäßige Hörfunkprogramm in Deutschland startete. Das Ende der Ära verlief sehr viel unpathetischer, während einer Rezension des Romans „Die Akimuden“ von Viktor Jerofejew wurde es im Programm nicht registriert und nur im Kontrollraum ertönte lautes Klingeln. Der Sender wusste ja nicht, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte und gab Alarm, dass er nicht mehr on air sei.

Das Aus für Britz hatte sich seit einiger Zeit angedeutet. Ende 2012 wurde einer der beiden Sendemasten, der sanierungsbedürftig war, demontiert. Der 61 Jahre alte Kurzwellensender war schon im April 2012 nach einem irreparablen Schaden abgeschaltet worden. Die Anlagen, die angesichts voranschreitender Digitalisierung grundsolide, aber auch recht museal wirken, sind noch alle da, auch an den Abbau der Mittelwellentechnik ist vorerst nicht gedacht. Der Sendemast, 160 Meter hoch, bleibt auch erst mal stehen. Wenngleich er nicht mehr gebraucht wird, ist er doch standfest.

Die Geschichte des Rias-Mittelwellensenders hatte nicht nur eine technikhistorische, sondern ebenso eine politische Ebene. Entstanden waren Dias und dann Rias vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges. Da die Sowjets das Haus des Rundfunks in Charlottenburg besetzt hielten und für ihre Propaganda nutzten, suchten die Amerikaner eine Möglichkeit, ihrerseits Zugriff auf den Äther und damit Sendemöglichkeiten zu bekommen, nicht nur für West-Berlin. So wuchs der Rias im Rahmen eines Wettrüstens, wurde sendetechnisch immer mehr aufgestockt, um den zunehmenden Störversuchen durch die Ost-Seite zu begegnen und zugleich immer größere Teile des DDR-Gebiets beschallen zu können.

Mit einem 800-Watt-Sender und einer zwischen zwei Holzmasten gespannten Antenne hatte es begonnen. „Hier ist Rias Berlin, der Rundfunk im amerikanischen Sektor. Sie hören uns auf der Mittelwelle 611 kHz.“ – so hatte die erste Sendung am 4. September 1946 begonnen. Mitte Juni 1947 konnte man bereits mit 20 kW senden, dank eines fahrbaren Senders der Wehrmacht, der den Namen „Lili Marleen“ erhielt. Mit einem 300-kW-Sender, in Betrieb genommen von Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter, erhielt der Rias im Jahr 1953 den stärksten in Europa.

Dass es mit dieser Tradition nun zu Ende ist, hat neben technischen vor allem finanzielle Gründe. Mittelwellen- und Langwellen-Sender seien im Betrieb schon durch die Stromkosten zwanzigmal teurer als digitales Radio, sagte Intendant Steul. Durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs seien die öffentlich-rechtlichen Sender aufgefordert worden, die kostenintensive Mittelwelle zu beenden. Er sieht die Zukunft statt dessen im Digitalradio des Standards DAB+, das weit mehr Möglichkeiten biete als nur traditionelle Radiosendungen. Beispielsweise können man Nachrichtensendungen jederzeit auf Knopfdruck hören, nicht nur zur ursprünglichen Sendezeit. Und Warnungen vor Geisterfahrern könnten binnen Sekunden erfolgen. Eines aber kann die neue Technik sicher nicht: eine Küchenspüle zum Klingen bringen.

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