Soziale Stadtentwicklung: Brisante Lage: Berlins Problemquartiere
Berlin hat fünf Quartiere mit großem sozialen Sprengstoff identifiziert. Welche sind das und was wird nun getan?
Arm aber sexy sei Berlin, hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) einmal gesagt. Und besonders groß ist die Armut in fünf Gebieten, wo sie außerdem noch wächst. Dort lebt ein Viertel der Berliner Gesamtbevölkerung. Das zählt zu den Ergebnissen der Studie „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“. Vorgestellt hat sie am Mittwoch die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung
Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Demnach zählt Neukölln-Nord zu den Problemgebieten sowie Kreuzberg-Nordost. Ein weiteres prekäres Gebiet, ebenfalls in der Innenstadt, ist Moabit, nördlich vom Tiergarten gelegen, zusammen mit dem an Mitte angrenzenden Wedding. Auf der Armutslandkarte Berlins rot schraffiert sind außerdem am Stadtrand Spandau-Mitte sowie Marzahn-Nord/Hellersdorf-Nord.
Was haben diese Gebiete gemeinsam?
Drei Merkmale sind dort identisch. Viele Menschen haben keine Arbeit und beziehen ihr Einkommen vom Sozialamt oder von der Arbeitsagentur, es gibt besonders viele bedürftige Kinder und viele junge Migranten unter 18 Jahren leben in diesen Gebieten. Für Marzahn/Hellersdorf gilt das zuletzt Genannte allerdings nicht. Dort ist die Zahl der „Ausländer“ gering, trotzdem ist es ein Brennpunkt. Und natürlich gibt es in sozial stabilen, bürgerlichen Bezirken ebenfalls viele Migranten. „Es ist eben ein Unterschied, ob ein Migrant aus Paris kommt oder aus dem Jemen“, sagt Hartmut Häußermann, Verfasser der Studie. Kurzum, in Problemgebieten leben besonders viele Menschen mit geringen Einkommen und schlechter Bildung, die oft ohne Arbeit auf die Unterstützung des Staates angewiesen sind.
Hat sich die Lage verschärft?
Ja. „Dort, wo die Probleme groß sind, da wachsen sie weiter“, sagt Soziologe Häußermann. Zwar gab es im Jahr 2008, aus dem die Daten der aktuellen Studie stammen, einen wirtschaftlichen Aufschwung in Berlin, die Betriebe stellten neue Mitarbeiter ein und das auch in diesen prekären Gebieten. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist dort dennoch geringer als in den Stadtteilen, wo die besser gestellten Berliner leben. Berlinweit ist der Trend also: Gute Lagen werden besser, schlechte Gebiete schlechter, arm gesellt sich zu arm, reich zu reich. Segregation nennen Soziologen diese Entwicklung auch.
Wie konnte es dazu kommen?
Seit der Wende haben alle Regierenden Bürgermeister die Probleme der Stadt auf die Teilung Berlins während des Kalten Krieges und auf die Deindustrialisierung geschoben. Zwanzig Jahre nach der Wende verfängt dieses Argument aus Sicht der Opposition allerdings nicht mehr. Und Tatsache ist auch, dass sogar die renommierte Bertelsmann-Stiftung in ihrem Ländervergleich Anfang dieser Woche der Integrationspolitik Berlins eine schlechte Note erteilte. Kritisiert wird etwa, dass nicht einmal jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt. Lehre und Ausbildung sind aber besonders für Jugendliche in den Brennpunkten wichtig, damit sie nicht ihr Glück auf der Straße suchen. Und es gibt außerdem keine erfolgreichen Strategien gegen die fortschreitende Segregation in der Stadt – jeder, der es sich leisten kann, zieht weg aus den Brennpunkten. Zurück bleiben dann Menschen ohne Job und Perspektiven, die oft viele Kinder haben. Für die Jugendlichen ohne Beschäftigung werden die chancenlosen Eltern zum Leitbild. „Hier werden die Verlierer und die Unterschicht von morgen produziert“, sagt Häußermann.
Welche neuen Konzepte hat die Politik?
„Wir nehmen eine neue Stufe in der Bearbeitung dieser Probleme“, sagte Ingeborg Junge-Reyer. Sie nennt die Brennpunkte nun „Aktionsräume plus“. Auch innerhalb der Verwaltung hat sie deshalb das Referat für „Stadtumbau“ mit den Bereichen „Soziale Stadt“ sowie dem neu gegründeten Bereich „Aktionsräume plus“ zusammengelegt. Junge-Reyer verspricht „Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche“, sie spricht von „Bildungschancen“ und von „übergreifenden Aufgaben“. Für jeden der nun identifizierten Brennpunkte soll ein „Gebietsbeauftragter“ eingesetzt werden. Dieser soll dann die konkreten Ursachen für die Probleme in den Kiezen analysieren und aus den verschiedenen Förderprogrammen des Bundes, des Landes und der EU Mittel abrufen – und auch bezirksübergreifend arbeiten. Doch die Antwort auf die Frage nach konkreten Beispielen, wie die Probleme gelöst werden könnten, fiel der Senatorin schwer. Sie nannte die Rütli- Schule, die sich von einer Brennpunkt-Einrichtung zu einer Musterschule gewandelt hatte. In den Brennpunkten müssten die „besten Schulen“ der Stadt entstehen, damit junge, besorgte Eltern, die es sich leisten können, nicht auch noch wegziehen. Es müsse „über Ressortgrenzen hinweg gedacht und gearbeitet werden“, sagte Junge-Reyer.
Reicht das aus?
Solange zwei Ressorts am selben Tag zum selben Thema zwei verschiedene Pressekonferenzen veranstalten, kann kaum von ressortübergreifender Arbeit gesprochen werden. Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) skizzierte am Mittwoch ihre eigene Sozialpolitik für die Stadt. Auch sie fordert Chancengleichheit für Kinder von Migranten und will dazu ein Gesetz auf den Weg bringen. Der Verfasser der Studie, Soziologe Häußermann, glaubt, dass die Probleme nur durch eine ressortübergreifende Runde auf Leitungsebene in den Griff zu bekommen seien, unter Beteiligung der Senatsverwaltungen für Bildung, Soziales, Stadtentwicklung sowie Arbeit.
In Hamburg ist man bereits so weit. Dort leitet sogar der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) persönlich eine entsprechende Arbeitsgruppe.
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