Ramona Pop und Jan Stöß im Interview: Braucht Rot-Grün in Berlin eine Paartherapie?
SPD-Chef Jan Stöß und Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop streiten im Doppelinterview über Klaus Wowereit, Olympia, den BER und Rot-Grün in Berlin. Kann daraus eigentlich wieder eine Koalition werden? Diesem Streitgespräch nach zu urteilen, wäre es eine turbulente.
Frau Pop, Herr Stöß, brauchen Grüne und SPD eine Paartherapie? Sie können nicht ohneeinander, aber miteinander klappt’s auch nicht.
POP: Na ja, Koalitionen sind für mich keine Beziehungskiste, sondern Zweckbündnisse, in denen man einiges miteinander bewegen kann.
STÖSS: Ich sehe uns auch noch nicht beim Therapeuten. In Berlin sind SPD und Grüne nun mal festgelegt auf unterschiedliche Rollen. Wir regieren, die Grünen opponieren seit langem. Trotzdem gibt es in der rot-grün orientierten Wählerschaft die Erwartung, dass sich beide Parteien konstruktiv auseinandersetzen. Im Wahlkampf 2011 haben viele Wählerinnen und Wähler sicher nicht verstanden, dass sich SPD und Grüne als Hauptgegner aneinander abgearbeitet haben. Aus diesen Erfahrungen sollte man die richtigen Schlüsse ziehen.
Nach den Wahlen 2011 konnte man den Eindruck gewinnen, dass besonders der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ein Bündnis mit den Grünen nicht wollte.
POP: Bei den Sondierungsgesprächen habe ich mich damals gefragt: Muss die Stimmung denn so frostig sein? Ich hatte durchaus den Eindruck, dass Rot-Grün nicht gewollt war. Daher fand ich es auch nicht gut, wie sich meine Partei im Bundestagswahlkampf 2013 an die SPD gekettet hat. Das darf und wird es nicht mehr geben. Ein Wettbewerb um die besten Ideen zwischen SPD und Grünen, das wäre der richtige Weg.
STÖSS: Ich habe nach der Bundestagswahl ausdrücklich dafür geworben, dass es keine Ausschließeritis mehr gibt, wenn es um Regierungsbündnisse geht. Das muss natürlich auch für Berlin gelten.
Wollen Sie denn Rot-Grün in Berlin?
POP: Die Wahl 2016 ist viel zu lange hin, um sich jetzt schon auf irgendwas festzulegen. Wir setzen auf unsere Eigenständigkeit und werden als fast 20-Prozent-Partei selbstbewusst in den Wahlkampf ziehen. Koalitionen ergeben sich aus dem Wahlergebnis.
STÖSS: Die Berliner SPD hat ein klares Wahlziel: Wir wollen wieder stärkste Partei werden. Es ist nichts ausgeschlossen: weder Rot-Grün noch Rot-Rot und auch nicht eine Fortsetzung der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der CDU. Eine Dreierkonstellation ist schwierig, weil die kleineren Regierungspartner dazu neigen, sich aneinander abzuarbeiten.
Entschuldigung, Sie sprechen von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Union? Es herrscht Dauerstreit im Senat.
STÖSS: Die Koalition ist erfolgreich. Berlin hat das beste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer, der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut, der Landeshaushalt produziert Überschüsse und die Stadt wächst. Ich komme gerade aus Barcelona und Paris. Da sagen alle: Wow! In Berlin würde ich auch gern leben!
POP: Ich frage mich nur, was der rot-schwarze Senat dafür getan hat …
STÖSS: Nee, diese Arbeitsteilung mache ich nicht mit. Für alles Schlimme ist der Senat zuständig und jede positive Entwicklung findet trotz Rot-Schwarz statt. So geht das nicht.
POP: Ich habe Sorge, dass SPD und CDU wegen der vielen Koalitionskonflikte und ungelösten Probleme die positive Entwicklung Berlins verspielen. Die Stadt wächst, es müsste massiv in die Infrastruktur investiert werden. Der Investitionsstau von über zehn Milliarden Euro ist eine schwere Hypothek.
Rot-Schwarz will einen Wachstumsfonds, was halten die Grünen davon?
POP: Den habe ich bisher nicht live gesehen. Wenn das wieder so ein Gezerre gibt wie beim Fonds für die Wohnungsbauförderung, dann gute Nacht!
STÖSS: Es gibt jetzt eine politische Schubumkehr für eine wachsende Stadt. Wir wollen einen solchen Fonds, um Haushaltsüberschüsse in das Wachstum Berlins zu investieren.
Was will diese Koalition bis zur Abgeordnetenhauswahl 2016 überhaupt sonst noch auf die Beine stellen?
STÖSS: Die Herausforderung ist, dass die Bürger die rasche Entwicklung Berlins nicht als Bedrohung empfinden. Deshalb müssen wir das Wachstum sozial gestalten. Um das zu organisieren, brauchen wir auch wieder mehr Personal im öffentlichen Dienst.
Der Finanzsenator ist dagegen.
STÖSS: Zur Politik in einer Metropole, die im Umbruch ist, gehört zuweilen auch die Diskussion um den richtigen Weg.
POP: SPD und CDU blockieren sich doch gegenseitig. Ein aktuelles Beispiel ist die S-Bahn-Krise. Nun müssen die alten Wagen noch bis 2023 halten, obwohl der Senat versprochen hatte, dass es ab 2020 einen neuen Betreiber mit neuen Fahrzeugen gibt. Die Sanierung des ICC, die vernünftige Ausstattung der Krankenhäuser und der Charité und viele andere Probleme sind ungelöst. Stattdessen soll eine Milliarde Euro in ein kommunales Gasnetz versenkt werden.
STÖSS: Die Koalition legt den Schwerpunkt auf eine starke öffentliche Infrastruktur, dazu gehört auch die Versorgung mit Strom und Gas. Und wir haben die Wasserbetriebe zurückgekauft …
POP: … aber erst nach einem Volksentscheid. Und die Wasserpreise wurden erst gesenkt, nachdem das Bundeskartellamt den Senat dazu gezwungen hat.
STÖSS: Es ist ein großer Erfolg dieser Koalition, dass das Wasser wieder allen Berlinern gehört. Und die SPD hat den Ehrgeiz, auch die Gas- und Stromnetze in öffentliche Hände zu nehmen. Davon sind wir überzeugt, die Grünen nicht.
POP: Wofür wollen Sie denn die Netze? Also ich …
STÖSS: … Es ist unhöflich, aber jetzt unterbreche ich Sie. Die Berliner Grünen haben erst mit großer Verve den Volksentscheid für ein landeseigenes Stromnetz unterstützt. Jetzt sind Sie dagegen. Da fehlt die klare Linie.
POP: Die klare Linie der SPD ist: Wir kaufen alles zurück, um unsere Privatisierungsfehler der neunziger Jahre rückgängig zu machen. Die Grünen schauen sich dagegen sehr genau an, was für die Energiewende wirklich nötig ist. Wir brauchen ein starkes Stadtwerk, nicht so eine Bonsai-Firma, wie sie Rot-Schwarz gegründet hat. Wir brauchen ein öffentliches Stromnetz, aber beim Gas bin ich skeptisch, weil die Gasnetze in Zukunft zurückgebaut werden müssen. Alles wird auf Pump finanziert, auch die Wohnungsbaugesellschaften sollen auf Kredit neue Wohnungen bauen. Die Landesunternehmen verschulden sich immer mehr.
STÖSS: Liebe Frau Fraktionsvorsitzende, wenn Sie ein Haus bauen, wie finanzieren Sie das? Doch über ein Darlehen, oder? Wir brauchen wieder öffentlichen Wohnungsbau, und die Gesellschaften können sich dafür, neben der Mobilisierung eigener Mittel, Geld am Kapitalmarkt leihen. Zumal die Zinsen auf einem historisch niedrigen Tiefstand sind. Das ist die richtige Mischung.
Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch noch zum Paartherapeuten müssen?
Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch zum Paartherapeuten müssen? Wir erleben hier gerade eine sehr lebendige rot-grüne Diskussionskultur. Die gemeinsame Linie ist nicht so erkennbar.
STÖSS: Wir führen hier auch keine Koalitionsverhandlungen. Berlin hat derzeit mit Rot-Schwarz die richtige Koalition zur richtigen Zeit. Aber natürlich gibt es rot-grüne Gemeinsamkeiten, die im Lebensgefühl dieser Stadt verankert sind. Berlin heißt Freiheit. Das war nie so aktuell wie im 25. Jahr nach dem Mauerfall.
POP: Die Freiheit und Weltoffenheit der Stadt ist eine Idee, auf die wir uns natürlich einigen können. Für die Grünen steht aber ganz vorn: Will Berlin in Zeiten der Energiewende ökologischer Vorreiter sein? Wollen wir einen noch besseren öffentlichen Personennahverkehr, eine abgasfreie Mobilität? Dies anzugehen, da fehlt nicht nur der CDU der Ehrgeiz. Auch die SPD ist ziemlich ungrün.
STÖSS: Ich sehe das nicht so schwarz. Berlin hat beispielsweise ein Radwegenetz, das sich sehen lassen kann, und um den öffentlichen Personennahverkehr beneiden uns viele andere Großstädte.
Bevor sich SPD und Grüne einig werden könnten, müssen beide Parteien erst einmal die eigenen Reihen schließen, um regierungsfähig zu sein. Redet der SPD-Landeschef Stöß wieder mit dem Fraktionschef Raed Saleh? Und lassen sich die Kreuzberger Grünen in die Landespartei integrieren?
STÖSS: Dass die Berliner SPD nicht regierungsfähig wäre, kann niemand ernsthaft behaupten. Wir regieren seit 25 Jahren.
POP: Deshalb ist Ihre Partei ja so verbraucht.
STÖSS: Keineswegs. Und dass sich in einer lebendigen Metropolenpartei auch unterschiedliche Positionen finden, ist nur natürlich.
Herr Stöß, Sie reden auch wieder mit Herrn Saleh?
STÖSS: Aber selbstverständlich.
POP: Man hat schon den Eindruck, dass die Berliner SPD nach 25 Jahren in der Regierung machtverwöhnt und ausgelaugt ist. Auch der Regierende Bürgermeister Wowereit versprüht nicht mehr die Lust, täglich neu für die Stadt arbeiten zu wollen.
STÖSS: Wir sind nicht ausgelaugt und verwöhnt erst recht nicht. Wir kümmern uns um die Fragen, die die Berliner betreffen: Bildung, Arbeiten und Wohnen in der wachsenden Stadt, und da geht es vor allem um bezahlbare Mieten.
POP: Der Volksentscheid zu Tempelhof hat deutlich gezeigt, dass die Berliner SPD nicht mehr das Ohr an der Stadt hat. Sie müssen lernen, den Bürgern zuzuhören.
STÖSS: Ich verstehe die Versuchung einer Oppositionspartei, sich überall in der Stadt zum Anwalt von Bürgerinitiativen zu machen. Gerade wenn es gegen den Wohnungsbau geht. Ich hätte mir aber gewünscht, dass es für das Tempelhofer Feld mit den Grünen eine gemeinsame Linie gegeben hätte. Wir sollten künftig bei solchen zentralen Fragen an einem Strang ziehen.
Frau Pop, Sie sind vorhin der Frage ausgewichen, wie geschlossen und regierungsfähig die Berliner Grünen sind. Der Umgang mit den Flüchtlingen in Kreuzberg ist jedenfalls kein Beweis dafür.
POP: Da ist einiges unglücklich gelaufen …
STÖSS: … bei den Grünen.
POP: Bezirk und Landesbehörden haben sich zu lange um die Verantwortung gestritten.
Es gibt keine Selbstkritik, Frau Pop?
POP: Allen ist klar, dass es ein einzelner Bezirk nicht leisten kann, die Flüchtlingsprobleme Europas vor seiner Haustür allein zu lösen. Davon abgesehen kratzen die Berliner Grünen bei Wahlen zunehmend an der 20-Prozent-Marke und stehen für ein breites politisches Spektrum. Die Vielfalt einer mittelgroßen Volkspartei müssen wir aushalten. Regierungsfähig sind die Grünen allemal, das beweisen wir in vielen Berliner Bezirken.
Gilt das auch für Ihre Partei in Kreuzberg?
POP: Die Berliner Grünen sind vielfältig, von Kreuzberg über Mitte bis Steglitz-Zehlendorf.
Herr Stöß, Sie kommen gerade sicher ganz tatendurstig aus Ihrem Urlaub zurück. Wäre es da nicht mal an der Zeit, sich als SPD-Spitzenkandidat für 2016 zu outen?
STÖSS: Den schönen Urlaub bestätige ich gern. Ansonsten gibt es keinen neuen Sachstand. Die Frage wird in der Berliner SPD zu gegebener Zeit geklärt und es ist gut, dass sich die zeitweise Nervosität etwas gelegt hat.
Sie warten jetzt ab, wann und wie Klaus Wowereit sich zu seinen Zukunftsplänen äußert? Müssen Sie als möglicher Kandidat nicht selbst aktiver sein?
STÖSS: Die veränderte Fragestellung ändert nichts an meiner Antwort.
Wird der Regierende Bürgermeister wie angekündigt erst Ende 2015 sagen, ob er noch einmal antritt oder aufhört?
STÖSS (lacht): Auch wenn Sie hartnäckig sind: Wir werden zu gegebener Zeit unseren Spitzenkandidaten nominieren.
POP: Zu Personalangelegenheiten anderer Parteien soll man sich ja nicht äußern, aber …
STÖSS: Also doch!
POP: … wenn man auf den Politikrentner Wowereit schaut …
STÖSS: … ich verzichte darauf, das Personal der Grünen einer Einzelbewertung zu unterziehen. Aber es ist völlig indiskutabel, den Regierenden Bürgermeister als Politrentner zu bezeichnen.
POP: In jedem Fall ist Klaus Wowereit, solange in der SPD nichts anderes entschieden ist, der Kontrahent für mich.
Für mich?
POP: Für die Grünen und auch für mich. Wenn nichts Besonderes mehr passiert, findet die Wahl in zwei Jahren statt, und Anfang 2016 werden die Grünen ihr Programm und Kandidaten präsentieren.
Frau Pop, würden Sie denn wollen?
POP: Das ist eine Frage, die sich heute nicht entscheidet.
Aber eine Fraktionsvorsitzende käme als Spitzenkandidatin per se infrage, oder?
POP: Das ist unbestritten.
Umstritten ist, ob sich Berlin um Olympische Spiele bewerben soll. Wie sollen die Berliner bei einer Bewerbung eigentlich einbezogen werden?
STÖSS: Der Deutsche Olympische Sportbund hat die Hauptstadt gefragt, ob sie sich bewerben könnte, also wird der Senat den Fragenkatalog bis Ende August beantworten. Aber eigentlich müsste sich das Internationale Olympische Komitee bei uns bewerben. Berlin ist eine hochattraktive Stadt und könnte natürlich Olympische Spiele ausrichten. Solange aber im IOC Persönlichkeiten sitzen, die nach preußischer Tradition nicht in verantwortungsvolle Positionen gehören, bin ich äußerst skeptisch, ob wir uns von diesem Gremium Vorgaben machen lassen sollten.
POP: Bei Olympia gibt es ein berechtigtes Misstrauen in der Stadt gegenüber diesem Senat und einem Regierenden Bürgermeister, der nicht einmal sein Lieblingsprojekt BER fertigbekommt. Deshalb ist die Frage erlaubt, ob diese Regierung eine ernsthafte Bewerbung hinbekommen wird. Ich wünsche mir jedenfalls eine breite Beteiligung der Berliner an der Debatte. Und ich bin mir mit Herrn Stöß einig, dass Berlin selbstbewusst in ein Bewerbungsverfahren gehen sollte. Das Komitee kann nicht die Regeln in Berlin diktieren. Es wäre undenkbar, dass Berlin möglicherweise Schmiergelder zahlen müsste, um Olympia zu bekommen.
STÖSS: Da sind wir uns einig. Berlin hat gute Sportanlagen, wir müssen nicht alles neu bauen. Und wir werden uns sicher keine Auflagen gefallen lassen, etwa nur mit IOC-Sponsoren zusammenzuarbeiten. Das kann es mit Berlin nicht geben.
POP: Wenn sich der Senat für 2024 bewerben will, brauchen wir aber einen funktionierenden Flughafen. Sonst wird das eine lachhafte Bewerbung.
Schätzen Sie beide doch mal, wann der BER eröffnet wird.
STÖSS: Mir ist der Humor bei dieser Frage vergangen. Ich stelle auch keine zeitlichen Mutmaßungen an. Wir erwarten für Ende 2014 vom Flughafenchef Mehdorn eine realistische Zeitplanung.
POP: Es ist mutig, sich auf Herrn Mehdorn zu verlassen. Ich wage da auch keine zeitliche Prognose.
Würden Sie es denn Klaus Wowereit gönnen, den BER doch noch zu eröffnen?
STÖSS: Niemand hat sich so dafür ins Zeug gelegt, dass der Flughafen …
POP: … da würde ich gern widersprechen …
STÖSS: ... dass der BER zum Erfolg kommt. Und niemand hat für die Probleme des Flughafenbaus einen so hohen politischen Preis bezahlt wie Klaus Wowereit.
POP: Klaus Wowereit hat unbestritten seine Verdienste um Berlin. Ich würde mir für ihn wünschen, dass von seiner Amtszeit ein bisschen mehr im Gedächtnis der Stadt hängen bleibt als ein nicht vollendeter Flughafen.