Berlin: Bloß nicht gefallen
Das Magazin „Vice“ macht abwegige, geschmacklose Geschichten. In Kanada hat es Erfolg – nun ist die erste deutsche Ausgabe fertig
Nein, schön oder gar niedlich sieht sie nicht aus, die Katze, die das Cover der ersten deutschen Ausgabe des Lifestyle-Magazins „Vice“ ziert. Ihr Fell ist struppig und dreckig, ihre Augen blicken den Betrachter wirr und stechend an. Doch genau so ein Titelbild gibt die Marschroute für den Rest des Magazins vor. Das Hochglanzheft will sich nämlich weder optisch noch inhaltlich den schönen Dingen des Lebens widmen. Ganz im Gegenteil: Je abwegiger, je kaputter ein Thema, desto besser. Und so liefert das erste deutsche „Vice“ Beiträge über ausufernde Partys schwuler Neonazis, angebliche Phänomene wie Hippie-Faschisten, detaillierte Anweisungen zur oralen Befriedigung von Frauen oder Abstimmungen darüber, ob nun weiße oder farbige Babys niedlicher seien. Dazwischen finden sich Fotostrecken mit stiernackigen Fotomodellen, die in ihrem Kiez stolz mit Kampfhunden posieren.
Das alles hinterlässt beim Leser einen, vorsichtig ausgedrückt, verstörenden Eindruck. Aber genau auf diesen Effekt setzt Chefredakteur Hector Muelas, und deshalb kann er sich auch ein hämisches Grinsen nicht verkneifen, wenn er von den ersten Reaktionen entsetzter Leser erzählt. „Das Ganze ist Satire, eine andere Art von Journalismus“, sagt er und echauffiert sich über all diejenigen, die das offenbar nicht gleich durchschaut haben.
Wenn es um sein Heft geht, dann kann sich der 26-jährige Hector Muelas so lange in Rage reden, bis ihm die Luft knapp wird. Insbesondere dann, wenn man die oft erhobenen Vorwürfe anspricht, die Macher des Magazins seien rassistisch und würden nur provozieren wollen. Das weist Muelas mit dem energischen Hinweis zurück, „Vice“ würde der Gesellschaft lediglich den Spiegel vorhalten. Natürlich sind der Unmut und die Empörung über all diese Vorwürfe auch ein bisschen gespielt, denn gleich im nächsten Moment gibt der Spanier, der seit zwei Jahren in Berlin lebt, unumwunden zu: „Wir wollen nicht jedem gefallen. Wir wollen polarisieren.“
In Kanada, wo das Heft vor elf Jahren gegründet wurde, hat das mit dem Polarisieren bestens geklappt. Beiträge über Junkies, die sich in den neuesten Kreationen bekannter Designer Spritzen in ihre durchlöcherten Adern stechen, haben den Machern viel Aufmerksamkeit gesichert. Schon bald konnten sie das kostenlose, ausschließlich durch Anzeigen finanzierte Magazin zu einem großen Imperium ausbauen. Mittlerweile ist „Vice“ auch in den Bereichen Musik, Bekleidung, Film und Fernsehen tätig und hat Ableger in Großbritannien, Japan, Skandinavien oder Australien.
Nun haben Muelas und sein Team in einem Altbau in der Alten Schönhauser Straße in Mitte ihre Büroräume bezogen. Noch verbreiten unausgepackte Kisten und Kartons eine unruhige Atmosphäre. Dazwischen finden sich halbvolle Whiskey-Flaschen und ein Tischfußball. Dieses Chaos stört das junge Team aber nicht, denn scheinbar rockt hier die Arbeit fast von selbst. Gerade bereitet die Redaktion die kommende Ausgabe vor. Sie soll sich dem Thema Tiere widmen, und wenn Hector Muelas erste Fotos von Perücken tragenden Vögeln oder gehäuteten Katzen zeigt, wird schnell klar, dass Ornithologen und Tierfreunde kaum Spaß am Heft haben werden.
„Wir wollen keinen amerikanischen Lifestyle“, sagt Muelas, „Vice“ sei vielmehr eine Attitude, eine Art Grundsatzerklärung für eine Jugend mit Identitätsproblemen. Das Problem seiner Generation sei, dass sie keine Antworten auf all die Fragen und Widersprüche des Lebens findet. „Deshalb glauben wir auch nicht mehr an die Versprechungen der Politik, weder die linken noch die rechten."
Mit mehr als 3500 Menschen feierte das Magazin vor kurzem in der ehemaligen Zigarettenfabrik in Pankow seinen Berliner Einstand. Künftig sollen die Partys, zu denen „ Vice“ einmal monatlich anlässlich seines Erscheinens lädt, jedoch kleiner und intimer gehalten werden. Den dazugehörigen Soundtrack soll schon bald das derzeit im Auf- und Ausbau befindliche Label liefern. An die kurzfristigen Versprechungen von Party und Heiterkeit scheint die Jugend von heute dann wohl doch noch zu glauben.
„Vice“ erscheint einmal monatlich in einer Auflage von 100 000 Stück und wird in ausgesuchten Modeboutiquen, Bars und Clubs verteilt.
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