Kabarettlegende Günter Neumann: Bloß keen Jetue
Was er nicht alles konnte: Kabarettist Günter Neumann verfasste Grotesken, schuf Filmdrehbücher und machte für Rias während der Zeit der Luftbrücke Deutschlands erfolgreichste Kabarettsendung. Vor 100 Jahren wurde er geboren.
Nacht für Nacht Motorengedröhn am Himmel, Starts und Landungen im Minutentakt – herrliche Vorstellung: „Der Insulaner verliert die Ruhe nich, / Der Insulaner liebt keen Jetue nich! / Und brumm’ des Nachts die viermotor’jen Schwärme, / det ist Musik für unser Ohr, wer red’t da vom Lärme?“ Erstaunlich, dass die Fraktion der BER-Nachtflugenthusiasten sich noch nicht auf den einstigen Titelsong der „Insulaner“ besonnen und für ihre Zwecke eingesetzt hat, als eingängigen Beweis, dass Berlin einst sogar 24 Stunden pro Tag Drehkreuz war.
Insulaner? Manch einer denkt da heute zunächst an den Schöneberger Trümmerberg, an Schwimmen oder Sternenguckerei, nicht an die Zeit der Luftbrücke und Berlins, ach was, Deutschlands damals erfolgreichste Kabarettsendung im Rias. Auch nicht an deren kreativen Kopf Günter Neumann, obwohl doch seit 1976 auf der Bergspitze ein Gedenkstein mit einer Tafel an ihn erinnert. Neumann, nach dem in der gestrigen Ausgabe im Tafelrätsel „Schauplatz Berlin“ gefragt wurde, war gewissermaßen der Namensstifter für den 1951 als Erholungsfläche eröffneten Trümmerberg: Bei einem Namenswettbewerb unter Schülern hatte sich die Mehrheit für „Insulaner“ eingesetzt. Es gibt weitere Spuren Neumanns in der Stadt: Im Landesarchiv lagert sein Nachlass, eine Stiftung hält die Erinnerung an ihn wach, auf dem Friedhof am Fürstenbrunner Weg in Westend liegt er seit seinem Tod 1972 begraben, an der Seite seiner (von ihm geschiedenen) Frau und Mit-Insulanerin Tatjana Sais, und auch an seinem Geburtshaus in der Charlottenburger Mommsenstraße 57 hängt eine Gedenktafel.
Günter Neumann hat Berlin lachen lassen
Am Dienstag vor 100 Jahren wurde Neumann, der Ober-Insulaner, dort geboren. Aber „er ist nicht nur in Berlin geboren, er ist auch der geborene Berliner (…) Mit seinen Insulaner-Sendungen hat er etwas fertiggebracht, wofür wir ihm Dank schulden. Er hat Berlin lachen lassen über Zustände, über die wir eigentlich hätten weinen müssen“ – so pries ihn der Berliner Autor Curth Flatow. Neumanns Bühnenkarriere startete aber schon in den späten Zwanzigern. Die Schule besuchte er „bis 2 Minuten vorm Abitur“, wie er schrieb. „Ich hätte eine Prüfung doch nicht bestanden, weil ich als Pianist des Kabaretts ,Katakombe’ schon allabendlich am Nachtleben Berlins teilnahm.“ Auch das „Kabarett der Komiker“ und der Rundfunk gehörten zu den frühen Wirkungsstätten, als Soldat ein Front- und als Kriegsgefangener ein Lagertheater.
Neumanns große Zeit begann mitten während der Blockade, am 25. Dezember 1948, mit der Ausstrahlung der ersten „Insulaner“-Sendung im Rias. Hervorgegangen war sie aus einer nicht sehr gut laufenden, bald danach eingestellten Satirezeitschrift Neumanns, und es waren zunächst nur zwei Folgesendungen geplant, doch hatte er mit seinen Texten den Zeitnerv so präzise getroffen, dass es bis in die sechziger Jahre rund 150 wurden. „Alle vier Wochen ein Insulanerprogramm“ – das bedeutete für Neumann und sein Team, dass sofort nach einer Sendung die Materialsammlung für die nächste begann: Schlagzeilen, Meldungen, Ereignisse, Veränderungen im Stadtbild wurden notiert, Grundstoff für satirische Kommentare, die Neumann erst in den letzten beiden Tagen und Nächten vor der neuen Sendung zu Texten umgoss. Bald hatte sich eine Struktur mit festem Figurenstamm herausgebildet, vorneweg das meist von Edith Schollwer vorgetragene Insulaner-Lied, mit Bruno Fritz als Herrn Kummer, der mit einem imaginären Pollowetzer telefoniert, mit Tatjana Sais und Agnes Windeck als die „Klatschdamen vom Kurfürstendamm“, Walter Gross als „Jenosse Funzionär“ und Joe Furtner als „Professor Quatschnie“.
Zwischen Film und Kabarett
Sein Arbeitsprinzip beschrieb Neumann so: „Ich finde es wichtig, die Menschen auf Fehler und Schwächen hinzuweisen. Aber ich finde es unfair, ihnen Eintrittsgeld abzunehmen, um ihnen hässliche Dinge von der Bühne herunterzuschimpfen. So kam ich auf die Mischung, das Publikum zunächst zu unterhalten und zum Lachen zu bringen und ihnen dabei in heimtückischen Dosen Dinge, die ich für richtig und nachdenkenswert halte, in den lustigen Cocktail zu träufeln.“ Sein Talent erstreckte sich nicht allein auf die Kabarettbühne. Er schrieb musikalische Grotesken wie „Ich war Hitlers Schnurrbart“ und Filmdrehbücher, etwa zu „Das Wirtshaus im Spessart“, „Herrliche Zeiten“ und „Wir Wunderkinder“ (mit Heinz Pauck), wandelte auch seine Kabarettrevue „Schwarzer Jahrmarkt“ zum Drehbuch der „Berliner Ballade“ um, mit Gert Fröbe als spindeldürrem Otto Normalverbraucher. Der begann schon bei den Dreharbeiten im Gewicht zuzulegen, problematischer erwiesen sich jedoch die politischen Ereignisse. In die Dreharbeiten platzte die Währungsreform, auf die Neumann mit einer Zusatzszene reagierte, ohne den von der Wirklichkeit überholten Schwarzmarktfilm retten zu können: Kabarettistenpech.
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