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So ging es zu auf dem Tag der offenen Tür im Jahr 2016.
© Henning Onken

Berlin-Lichtenberg: Blo-Ateliers: Im Schatten des Rummels

Auf dem alten Gelände des Bahnbetriebswerks Lichtenberg Ost haben sich Künstler ein Kleinod geschaffen. Nun können sich Besucher das Gelände ansehen.

Vom Nöldnerplatz in Lichtenberg führt ein holpriger Weg zu einem vergessenen Ort: den BLO-Ateliers, Künstlerdorf auf einem alten Bahngelände, dessen einziger Zugang wenige Meter hinter den Treppen am nordwestlichen Ausgang des S-Bahnhofs liegt. Am Eingang arbeitet ein Mann mit Irokesenfrisur mit einem Trennschleifer. Er nickt freundlich, aus dem Backsteinbau hinter ihm schlagen Birken. Ihre Wurzeln haben die Rampe des alten Lagers angehoben und zu einem welligen Pfad verformt. Bäume und Gestrüpp dürfen wachsen, wohin der Same fällt. In ihrem Schatten steht ein Sofa, Arbeit und Gemütlichkeit liegen hier dicht beieinander.

Ein Dreieck, umfahren von Zügen

Die Szenerie aus Verfall und Wildwuchs erinnert an die alte Lungenheilstätte im Stadtwald von Beelitz. Eine Feuerleiter, um die sich eine Dornenhecke windet, führt hinauf aufs Dach eines wuchtigen Lokschuppens und gibt den Blick auf das Gelände und seine Umgebung frei. Das ehemalige Bahnbetriebswerk Lichtenberg Ost, kurz BLO und Namensgeber der Atelierstätte, ist ein Dreieck von 11 000 Quadratmetern – umfahren von Fern- und Regionalbahnen, von langen Güterzügen und S-Bahnen. Auf mehr als 20 Gleisen rumpeln ständig Züge in alle Himmelsrichtungen vorbei. Der Schuppen selbst ist verrammelt und leer, an ihm nagt der Verfall. Ein Schatz unter Denkmalschutz, der noch zu heben wäre. Im nächsten Gebäude schmiedet Alexander Dammeyer eiserne Skulpturen. Für eine Reihe Berliner Clubs wie das Berghain, erzählt der Metallgestalter in seiner vollgestellten Werkstatt. Er ist einer von etwa 100 Künstlern hier, doch an einem Mittwochvormittag sind nur wenige zu sehen.

Vor dem nördlichen Bahndamm probieren Workshop-Teilnehmer ihre selbst gebauten Holzbögen an einem Schießstand aus. Im renaturierten Waldstück dahinter stehen Bienenstöcke, die auch den Kindern einer nahegelegenen Kita mal gezeigt werden. An den Rändern werden Obst und Gemüse in wilden Hochbeeten gezogen, der Boden selbst ist mit giftigen Substanzen verseucht.

Am Tisch vor einer Werkstatt sitzt Olaf Friese. Er ist Gründungsmitglied des Vereins „Lockkunst e.V.“, der das Gelände 2004 von der Bahn mietete. Nach vier Jahren Leerstand war damals vieles kaputt, mit EU-Mitteln wurden die Dächer repariert. Bis 2024 dürfen die Kreativen bleiben, wenn sie alle anfallenden Schäden selbst reparieren. „Jeder, der hier ein Atelier gemietet hat, muss Arbeitsstunden ableisten“, sagt Friese. Der Subotnik stärke die Gemeinschaft. Das Gelände gefällt den Kreativen so sehr, dass sie es gern kaufen würden.

Die Schienen des Lokschuppens wurden demontiert. Unten gähnen die Gruben, aus denen heraus die Züge von unten gewartet und repariert wurden.
Die Schienen des Lokschuppens wurden demontiert. Unten gähnen die Gruben, aus denen heraus die Züge von unten gewartet und repariert wurden.
© Henning Onken

Residenzateliers für geflüchtete Künstler

Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) würde sich freuen, wenn die Künstler dauerhaft blieben. Ihm ist die Ansiedlung der „freien Szene“ in seinem Bezirk wichtig. Dafür will er den Kulturfonds aufstocken. Ein gemeinsames Projekt von Bezirksamt und den BLO-Künstlern ist ein Residenzatelier für Kreative im Exil. Für jeweils zweieinhalb Monate erhalten drei Geflüchtete einen Arbeitsraum, dürfen ihre Werke in Ausstellungen zeigen. Momentan residiert dort Wasim Ghrioui. Der Syrer kam vor dreieinhalb Jahren aus Damaskus nach Berlin. Natürlich verfolgt ihn der Krieg in der Heimat auch in seinen Werken. Der 36-Jährige erhofft sich mehr Informationen über den hiesigen Kunstmarkt, dessen Gesetze Flüchtlingen wie ihm unbekannt seien. Er freut sich über die Chance.

Der letzte Bahner verließ das Werk im Juli 1999. Manchmal, so erzählt Olaf Friese, kommen Ehemalige und erzählen aus alten Zeiten. Bis zu 1000 Menschen reparierten Fernzüge, aßen in einer 24-Stunden-Kantine mit einem kleinen Garten. Der Regierungszug der DDR wurde hier in ständiger Bereitschaft gehalten, obwohl Honecker und Genossen stets das Auto nahmen. Bei Festlandsreisen sei der Zug trotzdem zum Zielort gefahren wurden. Man wollte eine Alternative haben, falls der Klassenfeind angreift. In den achtziger Jahren standen die letzten Dampflokomotiven der DDR auf dem Betriebswerk.

Kein zweites RAW-Gelände

Letzte Frage an Vereinsmitbegründer Friese: Was seine Ateliers mit dem Kulturprojekt auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain gemein hätten? Auch dort haben Künstler ein altes Bahngelände zu neuem Leben erweckt, mittlerweile mehren sich aber Probleme mit Drogendealern und Gewalt. Friese sieht wenig Parallelen . „Auf gar keinen Fall“ wolle man den Rummel des Nachbarbezirks kopieren. Sein Verein suche die konzentrierte Arbeitsatmosphäre eines „klassischen Gewerbehofs“. Partys, Ausstellungen und Konzerte sollen die Ausnahme bleiben. Die Künstler achten darauf, wer das Gelände betritt. Im Zweifel wird gefragt, wohin jemand will.

Einen kleinen Menschenauflauf wird es am Sonnabend doch geben. Beim Kaskelkiezfest "Viva Victoria" dürfen sich Besucher diesen weithin unbekannten Ort näher ansehen.

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