Ersatz-Amerika und "Esquire": Bitte keine Modetipps für Birkenstocks!
"Esquire" stellt Modetipps zum Tragen von Birkenstocks auf. Um in Berlin richtig anzukommen, sollten Ex-Pats das US-Magazin ignorieren, hat unser Autor Kevin Cote festgestellt
Um als Amerikaner in Berlin zurechtzukommen, braucht man ein paar Dinge, die beim Reality Check helfen. Etwas, das einen daran erinnert, wo man herkommt, um besser verstehen zu können, wo man ist. Mein Reality Check war immer das herausragende amerikanische "Esquire"-Magazin. Bis vor kurzem.
Als ich in einem Vorort von Philadelphia aufwuchs, hatte mein Vater noch ein Abo. Wie hunderttausende anderer Männer war er während seines Kriegsdienstes von den atemberaubenden kolorierten Pin-Ups des "Esquire"-Illustrators Alberto Vargas dazu verlockt worden. Die Varga-Mädchen und ihre der Schwerkraft trotzenden Brüste waren schon lange Legende, als ich in den 1970ern begann, im "Esquire" zu blättern.
In der Zwischenzeit war das Magazin aber zu einem Forum für den so genannten "New Journalism" geworden. Und die Artdirektoren arrangierten Fotografien, Illustrationen und Typographie, um überwältigende Cover und neue Formen des Erzählens zu kreieren. Es gab großartige Geschichten. Mode und Körperpflege gehörten auch zu jenem Mix, den "Esquire" schlicht "A Man's Life" nannte und damit an die Spitze einer ganzen Welle von Lifestylepublikationen setzte.
Ich hatte nie Ambitionen, "A Man's Life" zu leben. Aber die Ideen, Wertungen und Haltungen, die ich im "Esquire" entdeckte, begleiteten mich auf meinen Wegen durch Europa. Von Zeit zu Zeit las ich in einer Ausgabe, überflog die Geschichten, Bilder und Anzeigen, und dachte immer: Das ist die Welt, aus der du kommst, also ist es auch die Welt, in der du leben würdest… wenn du noch in Amerika wärst.
"Esquire" folgte mir um den Globus
Obwohl ich schon lange kein regelmäßiger Leser mehr bin, blieb die Verbindung doch lange bestehen, immer wieder neu beflügelt, etwa, als der "Esquire" eine UK- und später eine deutsche Version launchte. Indem es mir um den Globus folgte, schien das Magazin, in einen anderen Kontext verpflanzt und dort umarmt und prosperierend, meine eigene Expat-Erfahrung aufzuwerten.
Gerade deshalb fällt es so schwer, das Gefühl von Verlorenheit und Desorientierung zu beschreiben, dass ich kürzlich verspürte, als ich bei "esquire.com" vorbeisurfte und dort einen Beitrag des hauseigenen Fashionbloggers vorfand: "Four Steps to Getting Birkenstocks Right."
Hä? Ein Servicebeitrag, um Leuten die richtige Art, Birkenstock-Sandalen zu tragen, beizubringen? Gibt es auch eine falsche? Ich dachte immer, alle Arten wären falsch. Außer der Tatsache, dass sie wirklich bequem sind, war doch der große Vorzug von Birkenstocks, in meinem "Man's Life" zumindest, ihre "Fuck-you-fashionista"-Attitüde.
Aber nein, der "Esquire" behauptet, um sie richtig zu tragen, müsse man dazu einen langen, taillierten Mantel mit aufgedrucktem Muster anziehen. Und man solle auf keinen Fall eine knallige Krawatte vergessen, damit es witzig bleibt. Zudem solle man über eine leichte, am Bund gekordelte Freizeithose, mit einem "Hauch von Bagginess". Und schließlich ermutigt "Esky" seine Leser noch, Selbstvertrauen zu tanken, indem sie die Schuhe an ihren Füßen fühlen, und in ihren Herzen.
Es muss etwas gewaltig schieflaufen bei einem so gefeierten, anspruchsvollen und amerikanischen Magazin wie "Esquire", dass es Modetipps zum Tragen ikonischer deutscher Schuhe gibt. Das ist nicht das Amerika, mit dem ich mich identifizieren kann, nicht das Leben, dass ich leben würde, wäre ich da. Tiefsitzend gekordelte Freizeithosen, knallige Krawatten. Mit Birkenstocks?
Deutsche Version des "Esquirer" 1990 eingestellt
Ich habe eben vergessen zu erwähnen, dass die deutsche Version des "Esquirer" 1990 eingestellt wurde, nach nur ein paar Jahren am Zeitungskiosk. Letztes Jahr wollten der Burda-Verlag und die US-amerikanische Hearst-Gruppe das Blatt eigentlich neu auflegen. Der Plan wurde offenkundig verworfen. Und vielleicht wissen wir jetzt auch, warum.
"Four Steps to Getting Birkenstocks Right" zeigt mir nicht nur, dass der "Esquirer" mir nicht länger eine seltsame Art von "Ersatzleben", dass ich vielleicht grad zuhause in den USA führen würde, bieten kann. Es legt auch nahe, dass die Formel der heutigen Macher vor der deutschen Grenze über Bord geworfen werden müsste, um hier Zutritt zu erhalten.
Einmal besuchte mich ein alter Kumpel aus den USA in Berlin. Er wollte in einige Clubs gehen. Weil das alles ist, was sie über Berlin dieser Tage zu lesen bekommen, fühlte ich mich irgendwie verpflichtet. Ich redete mit meinem Sohn, der den Türsteher des Cookies kennt, um sicherzustellen, dass wir nicht abgewiesen würden, weil wir älter waren oder wie Touristen aussahen oder was auch immer.
Wir kreuzten gegen Mitternacht dort auf, der Typ an der Tür musterte uns von oben bis unten. Dann blickte er meinen Sohn an, schüttelte den Kopf, ließ uns nicht hinein, mochte offenbar den Look meines Gastes nicht. Mein Freund war außer sich, er protestierte. Diese Art von Sache widerfahre ihm nie daheim in Boston. Noch im Gehen artikulierte er sein Unverständnis. Kleidung? Nein, daran könne es nicht liegen. Er habe ja sogar seine brandneuen weißen Trainers an.
Es stellte sich dann noch heraus, dass man meinem Freund keinen Vorwurf machen kann. "Esquire" führt weiße Trainers in einer Liste "Acht Schuhe, die jeder Mann besitzen sollte". Vielleicht in Amerika. Vielleicht in Großbritannien. Aber nicht, wenn man Berlin richtig hinbekommen möchte.
Kevin Cote ist Producer bei Deutsche-Welle-TV in Berlin und früherer Chefredakteur der "Zitty". Der Text wurde von Johannes Schneider übersetzt. Das englische Original lesen Sie hier.
Kevin Cote
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