Muss das Holocaustmahnmal besser geschützt werden?: Bitte kein Stacheldraht am Stelenfeld!
Seit kurzem kursiert ein Video, das zeigt, wie das Gelände des Holocaustmahnmals Silvester als Raketenrampe und Pissoir missbraucht wurde. Der Eklat zeigt, dass Megafete und Symbolmeile nicht zusammenpassen. Ein Debattenbeitrag.
Der berühmteste Streit um die Würde eines deutschen Monuments wurde 1936 vom „Feuerzangenbowle"-Autor Heinrich Spoerl erfunden: Da ist die Statue des Landesherrn in einer wilhelminischen Residenzstadt nächtens durch einen Maulkorb verunziert worden. Der Staatsanwalt ermittelt wegen Majestätsbeleidigung (die er selbst im Vollrausch begangen hat!). Schließlich wird ein Arbeitsloser mit Geld zu einem Geständnis motiviert und milde verurteilt, da er das Standbild für „’ne Art Joethe“ gehalten habe; weswegen die Tat kein Anschlag, nur „grober Unfug“ gewesen sei. Was also bedeutet Denkmalsschändung? Mit dem kürzlich bekannt gewordenen, gar nicht lustigen Fehlverhalten unflätiger Silvestergäste auf Berlins größtem Denkmalsterrain hat Spoerls Roman diese Frage gemeinsam.
Wo im Alltag von der Schändung eines Friedhofs, einer Kirche geredet wird, geht es für Gläubige um Überrationales, um Entheiligung – die nicht immer davon abhängt, ob die Tat entehrend gemeint war, und noch weniger davon, dass Fotos des Vorgangs existieren. Auch Vergewaltigung wird manchmal Schändung genannt; hier klingt, über die Grausamkeit hinaus, ebenfalls die Vorstellung von einer Entweihung, einer Entehrung an. In unsererer Gesellschaft wäre Entwürdigung die allgemein verständliche Bezeichnung für Folter und sexuelle Demütigung eines Menschen. Zumal das Grundgesetz die unantastbare Würde des Menschen als höchsten Wert proklamiert.
Ebenso wäre es bei der Verständigung über die Antastbarkeit von Denkmälern hilfreich, nicht im sakralisierenden Sinn von Schändung zu reden. Sondern von Entwürdigung: die den Menschen betrifft, dem das Denkmal gewidmet ist.
Das Denkmal für Europas ermordete Juden ist kein Gotteshaus, keine Grabanlage. Es hat nationale Bedeutung, erinnert an ein Menschheitsverbrechen, ist ein Ort, wo Nachgeborene und Überlebende der Opfer gedenken. Als Peter Eisenman 2003 gefragt wurde, wovor sein Stelenfeld zu schützen sei, wandte er sich gegen Wurstbuden, nicht gegen Graffiti. „Diese zerstörerischen Gefühle gibt es nun mal. Wir können nicht alles blütenrein halten“, sagte der Architekt. Keinesfalls sei scharfe Bewachung erlaubt, „es soll schließlich nicht aussehen wie ein Gefängnis oder ein Konzentrationslager“.
Die positive Akzeptanz der gewaltigen Betonskulptur durch Millionen von respektvollen Besuchern bestimmte bislang das öffentliche Bild des 2005 eröffneten Geländes. Doch seit ein Video kursiert, das zeigt, wie das Denkmalsgelände Silvester 2013 als Raketenrampe und Pissoir missbraucht wurde, gerät auch die zivile Rezeption vergangener Jahre unter Verdacht. Sicherheitsleute melden, früher sei schon Ähnliches vorgefallen. Ein Taxifahrer berichtet, wie sich Nachtschwärmer an den Stelen erleichtern, der Quickie eines Paares wurde bemerkt. Nur mit „guter Beleuchtung und ständiger Bewachung" könne man da Ordnung halten, sagt etwa der Chauffeur. Oder wären solche vereinzelten Entgleisungen hinzunehmen – als „grober Unfug"? Werden sie erst beim Anmarsch Tausender zum Desaster, per Youtube-Film zum Skandal? Durch die Interpretation, hier sei antisemitisch geschweinigelt worden?
Der Vorschlag des Silvesterparty-Veranstalters Willy Kausch, durch Streifen mit Hunden sei die Lage zu kontrollieren, ist naiv, trifft aber ins Zentrum des Problems. Berlin leistet sich seit einigen Jahren moderne, demokratische, „interaktiv“ begehbare Denkmäler: am Bebelplatz, mit dem Stelenfeld, dem Denkmal für Sinti und Roma am Reichstag (mit der Einheitsschaukel auf der Schlossfreiheit, genannt Müller-Wipperfürth, käme das nächste hinzu). Fürs Publikum auf Individual- und Gruppenebene funktionieren diese Werke, bei Masseneinmarsch nicht – was hieße, ihnen den konzeptionell beanspruchten Raum zu lassen, bestimmte Optionen der Bespielung und Vermarktung hier aufzugeben. Uniformen, Hunde (etwas Stacheldraht gefällig?) gefährden nicht nur die Pics vom Partytraum, sondern das offene Denkmalskonzept.
Berlin leistet sich auch mit seinem Tor, dem eigentlichen Einheitsdenkmal, und rund ums Tor eine grandiose, pathetische Symbolmeile, die durch exzessives Event-Marketing abgefuckt wird. Man will den Kuchen haben und essen zugleich: offene Denkmale und Symbolmeile einerseits, andererseits Millionen- Fete und Party-Einnahmen. Beides am selben Ort kollidiert. Zugegeben, Würde ist ein altmodisches, oftmals missbrauchtes Wort. Hat jedoch mit Strammstehen nichts zu tun, aber mit Schönheit.
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