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Wilmar König (1952-2018)
© privat

Nachruf auf Wilmar Koenig (Geb. 1952): Bin ich das wirklich?

Kein Selfie kann ersetzen, was das Auge des guten Fotografen sieht: Dass du dir selbst fremd bist von Zeit zu Zeit. Der Nachruf auf einen Porträtisten.

Was ein Porträt so schwierig macht: Es muss die richtige Spannung herrschen zwischen dem, der beobachtet, und dem, der beobachtet wird. Der Blick darf nicht zu kalt sein, sonst gefriert die Miene des Gegenübers; er darf nicht zu warm sein, sonst hellt sich die Miene selbstverliebt auf. Ein Porträtist muss die Menschen nicht mögen, aber er darf sie auch nicht hassen. „Im Unsympathischen muss noch was Sympathisches stecken. Manche kommen aus einer ganz anderen Welt, einer Welt, die ich versuche zu begreifen, aber in der ich nicht leben möchte“, so erläuterte Wilmar Koenig es im Gespräch mit dem Fotografen Gosbert Adler.

Die Wirklichkeit der anderen, sie ist nicht ohne weiteres zugänglich. Das lehrt jeder Blick in eine fremde Wohnung. Wilmar Koenig fotografierte die Menschen in ihrem Zuhause, er inszenierte sie nicht, aber er gab ihnen auch nicht die Chance, sich wohlig in gemütlicher Umgebung zu zeigen. Die Porträtbilder, von denen einige auf seiner Homepage zu sehen sind, wirken kühl und doch zugewandt. Selbst als er die Menschen aus ihrer Umgebung heraustreten ließ und nur noch ihre Gesichter fotografierte, bleibt der Blick der Porträtierten, ihre Physiognomie rätselhaft. Kein Selfie kann ersetzen, was das Auge des guten Fotografen sieht: Dass du dir selbst fremd bist von Zeit zu Zeit. Insbesondere in dem Moment, da ein anderer erwartet, dass du dich als Persönlichkeit zeigst. „Bin ich das wirklich?“

Diese Frage hat sich Wilmar Koenig einige Male stellen müssen. Sein Vater war Schornsteinfeger, ein Herrscher in seinem Reich, der missbilligend zur Kenntnis nahm, wie sein Sohn Semester um Semester zu vertrödeln schien. Wilmar wollte raus aus Neukölln, Prinz von eigenen Gnaden sein. Er studierte Mathematik, wechselte zur Architektur, aber seine Leidenschaft galt der Fotografie.

„There is nothing worse than a sharp image of a fuzzy concept“

In Kreuzberg hatte Michael Schmidt 1976 die „Werkstatt für Photographie“ gegründet, in der in den folgenden zehn Jahren all die Weisen der Wahrnehmung erprobt werden sollten, die weder den akademischen noch den kommerziellen Marktgesetzen gehorchten. Die Wirklichkeit, ungeschönt. Dazu musste zunächst das Handwerk gelernt werden. Von der Kameratechnik bis hin zu der Herstellung der Bilder gab es in Zeiten der analogen Fotografie viel zu bedenken. Wissen, was man tut, manuell wie auch konzeptuell. „There is nothing worse than a sharp image of a fuzzy concept“, spottete der Landschaftsfotograf Ansel Adams. „Nichts ist schlimmer als das scharfe Bild einer unscharfen Vorstellung.“

Wilmar Koenig war von Anfang an mit dabei auf dieser Suche nach dem anderen Blick auf die Welt. Eine vehement subjektive Befragung der Gegenwart, vorbehaltlos, ohne visuelles Chichi, wie es in der Werbefotografie oder in den Hochglanzjournalen üblich ist. Larry Clark galt als Vorbild. In dem Bildband „Tulsa“ hatte er die Drogenszene seiner Heimatstadt fotografiert, ungeschönt, aber mit der Sympathie des Süchtigen. Ihn luden sie nach Kreuzberg ein, ebenso wie viele weitere Amerikaner.

William Eggleston etwa, auch so einer aus dem Abseits. Als reicher Erbe hatte er es nicht nötig, mit seinen Bildern Geld zu verdienen. Eggleston und Koenig wurden Freunde und gingen in den folgenden Jahren immer wieder gemeinsam auf Reisen, was bei zwei so komplizierten Charakteren nur deswegen konfliktlos gelang, weil sie wenig redeten, aber viel Musik hörten, bevorzugt Bach. Fotografiert wurde meist mit einer kompakten Leica M, die leise und diskret auslöst. Beide begaben sich gern an Orte, wo andere sich nicht hingewagt hätten, und sie nahmen in den Blick, was anderen nie in den Sinn gekommen wäre: das vermeintlich Nebensächliche. „I hate the obvious“, dekretierte Eggleston, und Koenig bekräftigte das Gebot in seinen eigenen Bildern; es ging nicht ums Offensichtliche. „Wir fahren mit dem Auto an Orte, die wir interessant finden und flanieren dann eher ziellos herum. Unsere Motive finden wir intuitiv.“ In der Ausstellung „Double Exposure“ wurden die gemeinsamen Exkursionen dokumentiert, und zuweilen ist es schwer zu unterscheiden, welches Bild von Koenig stammt und welches von Eggleston. „Democratic Camera“, in Farbe wurde abgebildet, was andere nie eines Schwarz-Weiß-Fotos für wertgehalten hätten. Ein Protest gegen die bunte Bilderflut der Magazine, die so aufwendig das Nichtssagende feierten. Ein Protest, der sich damals nur für die wenigsten auszahlte, denn noch galt die Fotografie den wenigsten Galeristen als Kunstform.

Wilmar Koenig führte eine doppelte Existenz in jenen Jahren: Sein Geld verdiente er mit der Architekturfotografie, ein gutes Geschäft in West-Berlin, wo wenig Konkurrenz drohte, bis die Mauer fiel und die Digitaltechnik alles verbilligte. Aber da wollte er nicht mittun.

Künstler sind Egoisten. Sie glauben, alle Welt müsse ihnen zu Füßen liegen. Wilmar Koenig war kein Geschäftsmann, wenn es um den Verkauf seiner künstlerischen Bilder ging. Er verscherzte es sich mit Galeristen, brüskierte Sammler und weigerte sich beharrlich, Kapital aus seinen Freundschaften mit berühmteren Fotografen zu schlagen. Er verlor viele Auftraggeber aus der Architekturbranche, seine Kameraausrüstung wurde ihm gestohlen, er musste seine Wohnung aufgeben. Finanziell stand er im letzten Jahrzehnt immer auf der Kippe, menschlich auch. Er war ein schwieriger Ehemann, ein kapriziöser Freund, der mehr forderte als gab, und der doch immer wieder durch seine kindliche Neugier charmierte. Sein Charakter schreckte ab, sein Stil imponierte. Er trug Anzug, Krawatte, eine Brille mit Gläsern dick wie Flaschenböden, rauchte gern Zigarre, gab den Dandy, den souveränen Mann von Welt, der er nicht war.

Eine Hommage an das Gute in uns

„Double Exposure“, ein jeder ist den Blicken anderer ausgesetzt, ein jeder blickt auf andere. In diesem Hin und Her, in dieser Doppelbelichtung ist es schwer, das eigene Ich auszumachen. Wo stehe ich? In welchem Raum will ich sein, um mich wahrnehmen zu können? Wie kann ich das Glück der Geborgenheit und des Behaustseins erfahren und abbilden? Wilmar Koenig fotografierte Gotteshäuser in aller Welt, nicht weil er gläubig war, sondern weil er in den Moscheen das Licht sah, weil er in den schlichten romanischen wie den barock überladenen Kirchen die verlässliche Statik des Gottvertrauens abbilden konnte. Eine Huldigung an die Kunst des Bauens, die einem höheren Zweck folgt, eine Hommage an das Gute in uns.

Gleich nah sind wir den Göttern und den Bestien. Das zeigte er auf seiner „Fotosafari in der Großstadt“, betitelt „Krokodil und Schwein“. Tiere sind so süß, wenn wir sie fotografieren, so putzig, menschlich, lieb. So tot. Wie nah können wir einem Tier wirklich kommen, im Freien, im Zoo, im Naturkundemuseum, in den Dioramen, den Schaukästen, wo die Tiere ausgestellt werden, Präparate scheinbarer Lebendigkeit? Koenigs Aufnahmen dieser Naturszenen wirken unheimlich lebendig – weil wir uns gern täuschen lassen von Arrangements, die unsere Erwartungen einer anheimelnden Natur erfüllen. Aber alle Bilder, die wir von der Natur machen, sind trügerisch, solange wir die Wildnis mit der Kamera auf Abstand halten.

Fotografie als Selbstschutz gegen die Übermacht der Eindrücke, die uns umzingeln und erdrücken, wenn wir nicht mehr die Kraft haben, uns ihrer zu erwehren. Wir sehen so viel. Aber was davon ist es wert, angeschaut zu werden?

In den letzten Jahren wohnte er in einer ehemaligen Dorfschule, die viel Platz bot für all die Dinge, die er hortete, wichtige wie unwichtige. Er verlor sich in dem Haus, vermochte es nicht mehr, seinen Nachlass zu ordnen, weil das sein Ende bedeutet hätte. Er wollte die Kreuzberger „Schule der Photographie“ in neuen Räumen wieder erstehen lassen, den Enthusiasmus neu erwecken, die Liebe, die Leidenschaft. Aber er war zu müde.

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