Hinterm Finanzamt am Mehringdamm: Wohnungen und Galerien geplant auf Kreuzberg-Brache
Hier gibt es noch geziegelte Pferdeställe und Reithallen aus dem 19. Jahrhundert, vieles ist heruntergekommen. Ein Investor möchte das „Dragoner Areal“ kaufen und hat Großes vor. Doch Kreuzbergs Bezirkspolitik winkt ab.
Wuchtig steht es da wie eine Trutzburg, das Finanzamt Kreuzberg am Mehringdamm. Schlägt man den Berliner Abriss-Atlas auf, ein Buch, das kürzlich im Verlag Designpress erschien, dann reiht sich das Gebäude mit Blick auf seine Attraktivität gleich neben dem Einkaufspalast Alexa und dem Aufbau-Haus am Moritzplatz ein. Aber natürlich ist dieser Vorschlag nicht ganz ernst gemeint. Um tatsächlichen Abriss geht es aber zurzeit hinter dem Finanzamt, wo eine bizarre Budenlandschaft über Jahrzehnte ein kaum beobachtetes Dasein fristete. Das sogenannte Dragoner-Areal, eine immerhin fast fünf Hektar große Innenstadtbrache, steht vor einer durchgreifenden Veränderung.
Um dieses Gelände wird derzeit erbittert gestritten. Die einen wollen dort 700 Mietwohnungen errichten lassen „selbstverwaltet und kommunal“, wie das gentrifizierungskritische „Bündnis Stadt von unten“ fordert. Der Projektentwickler Arne Piepgras will dagegen aus den verlotterten Höfen ein schickes Quartier mit Kunst, Gewerbe und Wohnungen zaubern. Er hat mit dem Eigentümer, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), einen Vorvertrag für einen Kauf zum Preis von 36 Millionen Euro abgeschlossen. Aber der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gefallen seine Pläne überhaupt nicht.
Das „Dragoner Areal“ ist zu einem Zankapfel geworden. Verwertungsinteressen stehen dem Verlangen nach „bezahlbaren“ Mietwohnungen entgegen. Die bundeseigene BImA will Höchstpreisrendite erzielen, die Kreuzberger Szene dagegen setzt auf Selbstverwaltung und „soziale Kooperation“. Dieser Streit kocht hoch in einer Zeit, da der Wohnungsneubau ganz weit vorn auf der politischen Agenda im Land Berlin steht.
Nur wenige Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt ist das Dragoner-Gelände ein innerstädtisches Filetgrundstück der Extraklasse. Wo heute unter den Zinnen am Mehringdamm Steuern eingetrieben werden, war einmal berittene Infanterie einquartiert, das 1. Garde-Dragoner-Regiment „Königin Victoria von Großbritannien“. Auf den Höfen stehen noch die gelb geziegelten Pferdeställe und Reithallen aus dem 19. Jahrhundert, die – keine Frage – denkmalgeschützt sind.
Zwischen den historischen Gemäuern hat sich ein Sammelsurium von Kreuzberger Hinterhofgewerbe ausgebreitet. Uralte Garagen stehen neben einem für seine große Auswahl bekannten Marmorwerk, Autowracks neben einer Taxischule, Reifenbuden und Karosserieschleifer neben verlassenen Lagerschuppen. So stellt man sich das New York City von Jerry Cotton vor. An der Obentrautstraße hat sich eine angesagte Disko einquartiert. Ein früherer Tapetenladen beherbergt einen boomenden Biomarkt, daneben werden alte Couchgarnituren umgepolstert.
Der gesamte Komplex um das Finanzamt, das die Abriss-Atlas-Autoren „an Kulissen aus Pappmaché erinnert“, ist ein Anachronismus, Veränderungen scheinen unaufhaltsam. Doch in welche Richtung soll es gehen? Das Bezirksparlament hat mit dem Beschluss für ein Bebauungsplanverfahren Pflöcke eingeschlagen. Es will in dem Block am Kreuzberger Rathaus zwischen Yorckstraße, Mehringdamm, Obentraut- und Großbeerenstraße „Gemeinbedarfsflächen“ festlegen lassen. Damit sind eine Kita, Grünflächen und Kultur gemeint, von den Wohnungen soll mindestens die Hälfte öffentlich gefördert werden.
Auch für die soziale Infrastruktur, wie etwa künftige Bibliotheksbauten, soll das Terrain gesichert werden. Keinen Zweifel lassen die Kommunalpolitiker daran, wer das womöglich stark bodenverunreinigte Areal in geordnete Verhältnisse überführen soll. „Das Bezirksamt wird beauftragt, mit einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft eine Entwicklungspartnerschaft für das Dragoner-Areal zu organisieren“, heißt es in dem Beschluss.
Arne Piepgras und den hinter ihm stehenden Investoren bläst also der Wind ins Gesicht. Ob sie bei dem nun neu in Gang gesetzten Planungsverfahren mit vielen Unwägbarkeiten noch an ihrem Projekt festhalten, ist fraglich. BImA-Direktionsleiter Stephan Regeler bestätigt lediglich, man stehe „in Verhandlungen“, was den Verkauf des sogenannten Dragoner-Areals betreffe. „Wir sind optimistisch, dass der Kaufpreis bezahlt wird“, fügt er vielsagend hinzu.
Aus dem Büro von Arne Piepgras wird derweil über „intensive Verhandlungen“ in der Angelegenheit berichtet. Übrigens: Schon einmal war der Versuch einer Hamburger Investorengruppe, das Dragoner- Areal „im Sturm zu nehmen“ gescheitert. Vor einem Jahr zog sich die ABR German Real Estate – der avisierte Kaufpreis lag damals bei 22 Millionen Euro – angesichts der Kreuzberger Widerspenstigkeit entnervt von ihrem Vorhaben zurück.
Stephan Becker, Stephan Burkoff, Jeanette Kunsmann: Abriss-Atlas Berlin, Verlag Designpress, Berlin 2014, 24,90 Euro
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