Musikschule Steglitz-Zehlendorf: „Wer wagt, Einwände zu äußern, wird gekündigt“
Halbiert sich das Honorar einer freiberuflichen Musikschullehrerin, nur weil die Software Probleme macht? Die Situation an der Leo-Borchardt-Musikschule bleibt angespannt und heikel. Hier erzählen wir, was eine der Lehrerinnen erlebt hat und was die Stadträtin sagt.
Die Situation der freiberuflichen Musikschullehrer an der Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf bleibt offenbar angespannt. Einige wirken eingeschüchtert, wollen sich öffentlich nicht äußern, vermutlich aus Angst, dass sie keine Aufträge mehr erhalten. Das erfuhr der Tagesspiegel Zehlendorf jetzt aus gut informierten Kreisen. Kati Albert, Musikschullehrerin für Gesang in Pop, Rock und Jazz, hat jedoch nichts mehr zu verlieren, wie sie sagt und spricht offen. Nach 20-jähriger Zusammenarbeit hält sie nun die Kündigung ihres Honorarvertrages in den Händen.
Warum? Sie weiß es nicht, vermutet aber, weil sie sich gegen die fortwährenden Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung der Musikschule zur Wehr setzte. Sie habe beispielsweise nicht hinnehmen wollen, ohne Absprache weniger oder bisweilen gar kein Honorar im Monat zu bekommen.
Seit 2013 gibt es neue Honorarverträge für Freie
„Ich habe Probleme, meine Miete zu bezahlen, denn im Moment fehlen mir etwa 2000 Euro Honorar“, sagt sie und sieht die Ursache in dem geänderten Abrechnungssystem, bedingt durch die 2012 eingeführte Ausführungsvorschrift über Honorare an Berliner Musikschulen. Seit Sommer 2013 gibt es neue Honorarverträge für die freien Mitarbeitern, die an neue Bedingungen geknüpft sind. Hinzu kam die Einführung einer neuen Software, die die Verwaltung der Musikschule offenbar an ihre Grenzen brachte.
Zuvor wurden die Musikschullehrer pauschal bezahlt, seit der Umstellung erfolgt eine detaillierte Einzelabrechnung nach Stunden. Die Musikschullehrer bekommen jeweils am Monatsanfang eine verbindliche Liste mit den gemeldeten Schülern und Unterrichtsstunden. Der Musikschullehrer dokumentiert dann jede Stunde mit Datum, Anzahl der unterrichteten Minuten pro Schüler in einer Tabelle. Diese Auflistung reicht er am Monatsende bei der Musikschule ein.
Zwischen der Honorar-Abrechnung und der eingereichten Liste gebe es aber häufig Unregelmäßigkeiten, schildert Kati Albert. Mit dem Ergebnis, dass sich ihr Honorar nahezu halbiert habe. Im Moment verdiene sie monatlich unter 500 Euro. Eine Einzelabrechnung seitens der Musikschule sei nicht vorgesehen. „So kann ich nicht nachvollziehen, welche Stunden wirklich abgerechnet werden“, erklärt die gebürtige Ungarin, die seit 1994 in Berlin lebt. Und von August bis Oktober 2014 habe sie gar kein Honorar erhalten.
Es gibt große Unregelmäßigkeiten bei der Honorarauszahlung
Dass es große Unregelmäßigkeiten bei der Einhaltung der Zahlungstermine seitens der Musikschule gibt, bestätigt auch Dirk Strakhof. Der Musiker unterrichtet in den Fächern Kontrabass, E-Bass und Jazzensembles, ist sehr engagiert für die Musikschule und die Lehrkräfte und gehört zu den wenigen, die sich öffentlich äußern. „Das Geld kommt oft bis zu zwei Wochen zu spät, was einen Vertragsbruch bedeutet“, konstatiert er. Dass es keine detaillierten, transparenten Abrechnungen von der Musikschule gebe, findet Strakhof ebenfalls befremdlich. „Denn wenn sich die Abrechnung der Musikschule von unserer abgegebenen Tabelle unterscheidet, müsste genau aufgelistet sein in welchen Punkten, aber das ist nicht der Fall.“
Die Hoffnung, dass die neue Software eine Erleichterung für alle Beteiligten darstelle, habe sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: „Jetzt kommen noch Anwesenheitslisten hinzu“, erzählt er. Mit dem neuen Schuljahr müssten die Lehrkräfte ein weiteres Formular ausfüllen. Ein Kollege von Strakhof, der seinen Namen nicht nennen möchte, empfindet das als „Erniedrigung und fehlende Wertschätzung“.
Zurück zu Kati Albert: Sämtliche Interventionen ihrerseits mit der bezirklichen Musikschule – ob per E-Mail, Brief, mit Einschreiben oder telefonisch – seien ins Leere gegangen. Deshalb habe die diplomierte Gesangslehrerin den Kontakt zur zuständigen Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) gesucht. Ohne Erfolg, wie sie sagt.
Es soll kein Fehlverhalten seitens der Schule vorliegen
Kati Albert war frustriert. Jahrelang habe sie gut mit der Leo-Borchard-Musikschule zusammengearbeitet, sei zudem in ihrem besonderen Unterrichtskonzept unterstützt worden. Sie veranstaltete Workshops, Konzerte und Improvisations-Projekte, um ihre einzelnen Gesangsschüler zu vernetzen und zu kleinen Gruppen zusammenzuführen. „So konnten sie erste Bühnenerfahrung sammeln“, erklärt Albert.
Um ihre Situation darzustellen, schrieb sie eine Petition an den bezirklichen Ausschuss für Eingaben und Beschwerden. Jeweils im April und Juni dieses Jahres wurde die Eingabe beraten. Das Ergebnis in beiden Ausschuss-Sitzungen war jedoch, dass kein Fehlverhalten seitens der Musikschule vorliege, erklärt Cerstin Richter-Kotowski dem Tagesspiegel.
„Das ist eine Tatsache und der Ausschuss ist wertneutral an diese Sache herangegangen“, ergänzt sie. Warum Kati Albert wenige Tage nach der ersten Ausschuss-Sitzung im April die Kündigung ihres Honorarvertrages bekam, dazu möchte sich die Bezirksstadträtin im Detail nicht äußern. Nur soviel: „Wir haben in vielen Gesprächen versucht, die unterschiedlichen Meinungen aufzuklären.“ Es handle sich hierbei um einen Einzelfall; ein Lehrer von insgesamt 320, die an der Musikschule in Steglitz-Zehlendorf unterrichten.
Sie bestätigt indes, dass das neue Abrechnungssystem mit der neuen Software ein sehr aufwendiges Verfahren und der Übergang nicht reibungslos abgelaufen sei. „Durch die Mehrbelastung der Mitarbeiter ist es auch zu Verzögerungen bei den Honorarabrechnungen gekommen“, sagt sie weiter. Jede einzelne Unterrichtsstunde müsse im Einzelnachweis und im Vier-Augen-Prinzip überprüft werden. Es habe auch andere Lehrer gegeben, die sich mit ähnlichen Problemen an die Musikschule gewandt hätten. „Das konnte aber immer geklärt werden“, schildert Richter-Kotowski.
Piraten: Die Haushaltssperre ist der Fehler
Martin Haesner, SPD-Bezirksverordneter und Mitglied im Ausschuss für Bildung und Kultur, glaubt hingegen nicht an einen Einzelfall. Er unterrichtet selbst als Musiklehrer, zwar an einer Grundschule, dennoch ist ihm das Thema wichtig. Er habe mit Musikschullehrern gesprochen, die ihm von dem komplizierten Abrechnungssystem berichteten. „Wenn zum Beispiel ein Schüler krank ist oder absagt, fällt dem Lehrer die Stunde weg, er bekommt dafür kein Honorar“, sagt Haesner. Denn in den meisten Fällen könne die Stunde aus organisatorischen Gründen nicht nachgeholt werden. Der Schüler aber zahle seinen Beitrag monatlich pauschal.
Paul Neumann, Bezirksverordneter der Piraten, sieht die Probleme vor allem in der bezirklichen Haushaltssperre und den dadurch abwandernden Schülern begründet (wir berichteten). „Dadurch hat sich die Situation für einige Honorarkräfte von prekär zu untragbar gewandelt“, erklärt er. Zwar sei die Musikschule inzwischen auf BVV-Antrag der Piraten und SPD von der Haushaltssperre ausgenommen, allerdings sei damit nicht automatisch alles wieder so wie zuvor. „Eine Rückkehr zu einem geordneten, adäquaten Betrieb kann ich für die nahe Zukunft nicht erkennen.“
Und Kati Albert? Wird sie nach den Sommerferien weiter als Gesangslehrerin in Steglitz-Zehlendorf unterrichten? Sie hat Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt, wartet auf eine Rückmeldung. Das Warten zehre an den Kräften. Die Ungewissheit mache mürbe. Musik sei ihr Leben. Moralisch gesehen, finde sie die Art und Weise der Musikschule höchst bedenklich. Es erinnere sie an eine Machtkultur, der auch andere ihrer Kollegen ausgeliefert seien. „Wer wagt, Einwände zu äußern, wird gekündigt“, sagt sie deutlich.
Ihre Schüler jedenfalls würden sie vermissen. In einem Brief an die Musikschule schrieben sie unter anderem: „Frau Albert vermittelt mehr als den trockenen Stoff… Improvisation, Rhythmusgefühl, ein tieferes Verständnis von Musik…, das Wissen darum, was beim Singen im Körper passiert. Diese Dinge sind essentiell für einen angehenden Musiker und können nicht bei jedem Lehrer erlernt werden. Kati Albert schafft es aber mit ihrer Erfahrung und ihrem Einfühlungsvermögen auch die Schüchternsten unter uns dazu zu bringen, uns auszudrücken und voran zu kommen, auf unserer musikalischen Laufbahn...“
Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.