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Wegen Überfüllung unverdroßen: Immer mehr Besucher drängen auf's MyFest
© dpa

So war der 1. Mai in Berlin: Von Köfte bis Klassenkampf

Der 1. Mai in Berlin aus Perspektive von fünf Menschen, die den ganzen Tag auf den Beinen waren.

Selma A.. verkauft an einem türkischen Myfest-Stand.
Selma A.. verkauft an einem türkischen Myfest-Stand.
© Carmen Schucker

"Toll, die Leute essen alles auf"

Die Nacht in der Küche war ziemlich lang: Bis 2.30 Uhr habe ich Weinblätter mit Reis gefüllt, Couscous und Poaca, Teigtaschen mit Schafskäse zubereitet. Um 6.45 Uhr haben dann schon meine vier Kinder nach mir gerufen. Nach dem Frühstück ging es schnell in Richtung Myfest. Meine erste Anlaufstelle ist die Wohnung meiner Schwägerin Güsun. Von hier sind es nur fünf Minuten bis zu unserem Stand direkt am Spielplatz in der Naunynstraße. Um 8 Uhr haben wir mit dem Aufbau begonnen. Dafür brauche ich viele Kleinigkeiten, und ich darf bloß nicht die Einweghandschuhe vergessen. Die sind besonders wichtig, um den Kunden das Essen zu reichen. Meine Schwägerin ist schon zum fünften Mal dabei. Toll ist, dass die Leute jedes Jahr alles aufessen, am Ende bleibt nichts übrig. Deshalb nehmen wir dieses Mal noch mehr Essen mit als sonst. Oft denken die Deutschen, wir Türken essen nur Fleisch, aber ich mag zum Beispiel Teigtaschen viel lieber. Aber wir haben natürlich auch Fleisch besorgt, 120 Kilo – damit es diesmal vielleicht reicht. Den großen Grill haben wir schon aus dem Keller geholt, er ist immer dabei. Jedes Jahr macht es wieder Spaß. Wie ich die Myfest-Besucher kenne, bleibt am Ende nicht ein gefülltes Weinblatt liegen – von insgesamt 15 Kilo.

"Jedes Jahr kommen mehr gute Punkrock-Bands“

Prost. Ruth Glas trinkt am liebsten Caipirinha.
Prost. Ruth Glas trinkt am liebsten Caipirinha.
© Carmen Schucker

Los geht es für mich am Görlitzer Bahnhof, wie immer. Obwohl ich mittlerweile in Düsseldorf wohne, ist der Besuch auf dem Myfest Pflicht. An der Coretex-Bühne spielen mit die besten Bands. Alles zwischen Hardcore- und Punk-Rock ist genau mein Ding. Aber morgens bin ich erst mal mit Freunden brunchen gegangen. Oh Gott, langsam werden wir alt. Aber nichts geht über eine gute Grundlage für diesen langen Tag. Schließlich bin ich schon um acht Uhr aufgestanden, damit es mit dem einen Bad und meinen drei Gastgebern nicht zu stressig wird.

Zum Glück kommen jedes Jahr mehr gute Punkrock-Bands. Daher ist es auch nicht so schlimm, dass das Myfest immer voller wird. Zwischendurch holen wir uns Köfte und etwas zu trinken. Caipirinha für mich, meine Düsseldorfer Begleitung nimmt Bier. Wo ich kaufe, entscheide ich immer spontan: Wer am nettesten aussieht, macht ein Geschäft. Der Abend wird noch lang, aber Energie habe ich und die Stimmung ist bestens. Irgendwen trifft man schließlich immer.

„Ich bin mit Leib und Seele dabei“

War am Nachmittag noch ganz entspannt: Torsten Beissel.
War am Nachmittag noch ganz entspannt: Torsten Beissel.
© Timo Kather

Eigentlich arbeite ich in Schöneberg, aber heute habe ich die Einsatzleitung für die Feuerwache Kreuzberg übernommen. Wir haben für heute extra unsere Klopapiervorräte auf der Wache aufgestockt, weil so viele Kollegen von der Polizei von draußen zur Wache kommen, um mal auf die Toilette zu gehen. Wir genießen den Trubel auf der Straße – die Stimmung und das Wetter sind perfekt. Bisher läuft alles angenehm friedlich, wir haben hier bis jetzt, zum Nachmittag, einen sicheren und entspannten Arbeitstag gehabt. Ich hoffe, das bleibt so. Ich bin zum achten Mal beim Ersten Mai dabei, ich weiß, dass es auch anders gehen kann. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt.

Bei uns von der Feuerwehr steht heute vor allem das Myfest im Fokus, weil da die meisten Leute unterwegs sind. Momentan haben wir das Problem, dass die vielen Leute die Straßen verstopfen. Wenn wir schnell raus müssen, könnte es eng werden. Die Polizei hält uns aber noch eine Gasse frei.

Meine Familie hat Verständnis, dass ich oft nicht zu Hause bin, wenn andere frei haben. Ich bin mit Leib und Seele Feuerwehrmann, für mich ist das ein normaler Arbeitstag. Trotzdem bin ich froh, wenn ich morgen früh um sieben Uhr Dienstschluss habe. Meine Kollegen und ich waren dann 24 Stunden auf den Beinen.

„Die Patienten sollten sich beschweren“

Protest: Ilse Höchemer ist die Gewerkschaftsdemo wichtig.
Protest: Ilse Höchemer ist die Gewerkschaftsdemo wichtig.
© Fatina Keilani

Ich bin hier, weil die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, unzumutbar sind. Von uns Schwestern sind nur etwa 15 Prozent in der Gewerkschaft organisiert, das reicht nicht, um groß Druck zu machen. Deswegen ist es wichtig, zum Beispiel hier Flagge zu zeigen. Bei den Ärzten im Marburger Bund sind 85 Prozent organisiert, das hat eine ganz andere Durchsetzungskraft. Ich bin Anästhesieschwester im OP am Vivantes-Klinikum Neukölln, das ist absolute Akkordarbeit. Eine Schwester muss mehrere OP-Säle betreuen. Wenn man zwölf Stunden Bereitschaftsdienst hat, arbeitet man in der Regel ohne Pause durch, besonders nachts und am Wochenende. In den vergangenen Jahren wurden viele Stellen abgebaut, auch bei Vivantes. Wir brauchen unbedingt eine gesetzliche Mindestpersonalregelung. Die Patienten bekommen die Not zu spüren und kündigen an, sich zu beschweren, und das sollten sie auch tun! Nach der Entlassung tun sie es aber meist doch nicht. Ich komme jedes Jahr zur Gewerkschaftsdemo, wenn ich nicht gerade Dienst habe.

„Das ist für mich ein politischer Tag“

Kommunist aus Überzeugung: Georg Ismael.
Kommunist aus Überzeugung: Georg Ismael.
© Timo Kather

Seit meinem 14. Lebensjahr bin ich organisierter Kommunist. Im Grunde bin ich es, seit ich mir Gedanken über den Zustand unserer Gesellschaft mache. Für mich ist der erste Mai ein politischer Tag, heute Morgen war ich auf der Gewerkschaftsdemo, abends werde ich bei der Revolutionären 1. Mai-Demo mitlaufen, ganz vorne, gleich hinter dem internationalistischen Block, mit offenem Visier. Ich setze mich für Solidarität mit den Menschen und gegen den globalen Kapitalismus ein, gegen die immer schärferen imperialistischen Konflikte im Kosovo, in Syrien und Afghanistan. Zusammen mit vielen tausend normalen Menschen. Der Staat kann es sich nicht mehr leisten, uns alle als Chaoten zu denunzieren. Anfang April stand der Verfassungsschutz vor meiner Haustür, obwohl ich niemals wegen irgendwas verurteilt worden bin. Gegen das Myfest habe ich nichts, wir müssen es nutzen, um die Leute für unsere Ideen zu begeistern. Wir hoffen, das viele den Weg zur Revolutionären 1.-Mai-Demo finden. Die Leute müssen auf die Straße.

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