Restaurierter Engel kehrt nach Kreuzberg zurück: Victoria schwebt über den Mehringplatz
Sieben Jahre haben viele Anwohner auf diesen Moment gewartet: Die Rückkehr des Engels auf die Friedenssäule am Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg. Nun ist der Moment gekommen. Doch es gibt einen Wermutstropfen.
Von Kreuzberg ist man ja vieles gewöhnt, nur fliegende Engel sind eher selten. Doch am Dienstag fliegt mit Victoria ein echter Engel über den Mehringplatz - mit Hilfe mehrerer Gurte und einem Schwerlastkran. Von Arbeitern wird die Statue in der Mitte des Platzes, 19 Meter hoch über dem Boden, erwartet. Passt alles auf den letzten Metern? Ja, wie angegossen, auch mit einer guten Viertelstunde Verspätung. Aber was sind schon 15 Minuten, wenn man jahrelang auf diesen Tag gewartet hat? „Sieben Jahre haben wir den Engel vermisst“, sagt Wulfhild Sydow. Seit 1972 wohnt sie am Platz. Die Rückkehr des Engels feiert sie, wie hunderte andere Anwohner und Schaulustige am Rande des Bauzauns. Sekt darf da nicht fehlen, ebenso ein kleines musikalisches Programm und kulinarische Leckereien, die lokale Vereine auftischen. 2006 musste Victoria aus Sicherheitsgründen abmontiert werden, weil die Flügel durchgerostet waren und Absturzgefahr bestand. Auch Säule und Brunnen wurden instand gesetzt. Nun kam die BVG ins Spiel: Nach alten Verträgen ist sie für die Statik des Denkmals verantwortlich. Denn rund 60 Prozent des Platzes sind wegen des nahen U-Bahnhofes Hallesches Tor und angrenzender BVG-Anlagen unterkellert. Auf der südlichen Seite befindet sich ein riesiges Gleichrichterwerk aus den 20er Jahren, das fast so groß wie ein Fußballfeld ist. In dieser elektrischen Anlage wird der 10.000 Volt Starkstrom in 750 Volt Gleichstrom umgewandelt. Bei der Überprüfung der Brunnen-Statik fiel auf: Es regnet rein, alle Räume müssen abgedichtet werden. Seit Mai 2011 ist deshalb das obere Areal um den Brunnen mit Bauzäunen abgesperrt.
Victoria ist für die Menschen am Mehringplatz ein Identifikationsmerkmal
Der Franz-Mehring-Platz, seit 1946 kurz Mehringplatz, hat es nicht unbedingt leicht dieser Tage, er gilt als sozialer Brennpunkt und Präventionsgebiet. Er gehört weder zu Mitte, obwohl der Platz Endpunkt der südlichen Friedrichstraße ist, noch zum hippen Kreuzberg mit Cafés, Restaurants und vielen Anziehungspunkten, auch wenn er zum Bezirk gehört. Laut statistischem Landesamt leben hier 12 974 Menschen (Stand 31.12.2013), darunter 4022 Ausländer. Victoria selbst hatte es nicht leichter, wies noch vom Krieg Einschusslöcher auf. Sie ist das einzige Relikt, das erahnen lässt, wie herrschaftlich es einst am Mehringplatz aussah, damals, als er noch Belle-Alliance-Platz hieß. Heute ist Franz Mehring, ein sozialistischer Historiker und Politiker, Namensgeber des Platzes. Seit 1843 thront Victoria auf der 19 Meter hohen Säule aus schlesischem Marmor, in der Mitte des Brunnens. Der Bildhauer Christian Daniel Rauch schuf sie als Erinnerung an die Befreiungskriege 1813–1815. Der Engel, drei Meter hoch und 1800 Kilo schwer, ist für die Menschen am Mehringplatz mehr als nur ein altes Standbild. „Für die Anwohner ist er ein hohes Identifikationsobjekt“, sagt Candy Hartmann vom Quartiersmanagement am Mehringplatz. „Für uns ist die Rückkehr ein Zeichen dafür, dass es hier vorwärts geht“, sagt Hartmann. Für die Sanierungsarbeiten hatte die Senatsverwaltung nun rund 700 000 Euro aus dem Förderungsprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz zur Verfügung gestellt.
Am Mehringplatz muss die BVG auch weiterhin bauen
Doch obwohl der Engel jetzt wieder einschwebte: Die Baustelle bleibt erst einmal. Denn die BVG ist mit ihren Arbeiten noch nicht fertig. Bis Ende 2015 wird am südlichen Bereich des Platzes weitergebaut. 2016 wird die Tunnelsanierung im Bereich der Fußgängerzone in der Friedrichstraße weitergeführt. Bei Anwohnern und den Händlern werden die Bauarbeiten mit gemischten Gefühlen betrachtet. „Von mir aus könnte die Baustelle ruhig länger bleiben“, meint Osman Una von der A&0-Bäckerei. Durch die Sperrung kommen ein paar mehr Kunden vorbei. Unmut herrscht bei den Anwohnern. „Für uns Mieter ist dieser Zustand nicht wirklich schön“, meint Hans-Rudolf Tosch, der seit 1975 am Mehringplatz wohnt. Den Startschuss gab an diesem Nachmittag Stadtrat Hans Panhoff. Der gleichzeitig auch um Verständnis bat, dass die Baustelle weiter andauert. Er ermunterte die Anwohner sich bei der Neugestaltung des Platzes im Rahmen des städtebaulichen Verfahrens mitzubeteiligen. Bis der Platz dann im neuen Gewand zu sehen ist, wird es allerdings bis 2016 dauern. Doch Victoria kann den Mehringplatz-Bewohnern vorerst niemand wieder nehmen.
Anwohner sind am 9. Mai um 15 Uhr ins IG-Metall-Haus, Alte Jakobstraße 149, eingeladen, um sich mit Ideen einzubringen.
Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.