Debatte um Mietenexplosion in BVV Steglitz-Zehlendorf: „Sie verkaufen keine Kaugummis, auf die man verzichten kann“
In Südende müssen Mieter der Deutschen Wohnen bis zum Jahresende mit einer bis zu 56-prozentigen Mieterhöhung rechnen - über Ursachen und Lösungen diskutierten Mittwochabend die Bezirksverordneten.
"Sie verkaufen keine Kaugummis, auf die man verzichten kann, wenn sie mal zu teuer werden", schleuderte Sebastian Serowy, wohnungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, den (nicht anwesenden) Managern von Deutscher Wohnen bis BImA in der gestrigen Bezirksverordnetenversammlung entgegen. Er war sichtlich geladen. Dass die Mieter von ehemals geförderten Sozialwohnungen jetzt die Gewinne von Wohnungskonzernen bezahlten, sei ein Unding. Mit den Mieterhöhungen "finanzieren wir über die Sozialhilfe die Deutsche Wohnen", kritisiert er.
Anlass der Debatte war eine Große Anfrage der Grünen zur Mietenexplosion in Südende. Dort kommen nach Medienberichten und Informationen der bezirklichen Grünen auf die Mieter der Deutschen Wohnen bis zum Jahresende drastische Mieterhöhungen zu: Im ganzen laufenden Jahr könnte die Miete dann um bis zu 56 Prozent gestiegen sein.
Amt hat nur alte Daten
Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) berichtete bei der Beantwortung der Anfrage, dass das Amt nicht sagen könne, ob exorbitant steigende Mieten zu einer Veränderung der Sozialstruktur geführt hätten: Die vorhanden Zahlen stammen aus dem Jahr 2015, die jüngsten Entwicklungen würden nicht abgebildet. Nichtsdestotrotz "müssen wir hier aufmerksam sein" und sie nennt speziell die Deutsche Wohnen, die sie im Auge behalten werde. Sie appellierte an alle Fraktionen, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen und sich "auf Landesebene dafür stark zu machen, dass diese Themen angesprochen werden".
Auch der Bezirk sei zum Handeln aufgerufen, sagte Serowy. “Ich erinnere mich an einen Milieuschutzantrag, der von der schwarz-grünen Zählgemeinschaft abgelehnt wurde", hielt Mathias Gruner (Linke) seinem Kollegen Serowy vor: "Setzen Sie sich doch mal gegen den schwarzen Block durch!"
Ein Auftrag, den die Grünen jedoch in den letzten beiden Jahren bereits erfüllt haben: Einem Milieuschutz-Antrag der SPD haben sich die Grünen angeschlossen (Drucksache 1307/IV), einem Antrag der Grünen schlossen sich wiederum die Sozialdemokraten an (1241/IV) - beide Anträge wurden beschlossen, haben jedoch bisher nicht zur Einrichtung eines Milieuschutzgebietes geführt. „Wenn die Voraussetzungen für eine Milieuschutzverordnung nicht gegeben sind, dann können wir das nicht machen“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe. Er ist auch der Vorsitzende des Stadtplanungsausschusses.
FDP: Grüne waren zu erfolgreich, jetzt werde überall energetisch saniert
An der Ursachenforschung, warum der Mietenkarren im Dreck steckt, versuchten sich in der Debatte viele. Für Andreas Thimm (FDP) liegt das Übel in der erfolgreich umgesetzten Forderung der Grünen, Gebäude energetisch zu sanieren. Torsten Hippe sieht das Problem darin, dass mit der energetischen Sanierung "ein allgemeines Interesse von den Privaten bezahlt werden soll".
"Für mich ist das Wichtigste, den Mietern zu helfen", versuchte Hans-Walter Krause (Linke) die Debatte wieder im Lokalen anzusiedeln. Er begrüßte, dass durch die Debatte gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird: "Diese Große Anfrage bewegt etwas." Für den AfD-Politiker Volker Graffstädt sind die Handlungsoptionen klar: "Das Einzige, was man machen kann, ist: bauen, bauen, bauen. Und das Einzige, was der Bezirk machen kann, ist: genehmigen, genehmigen, genehmigen."
Es gebe mehr im lokalen Werkzeugkasten als nur Milieuschutz
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Volker Semler, hofft, dass jetzt doch ein erstes Milieuschutzgebiet in Steglitz-Zehlendorf geschaffen werden wird: "Ich sehe den Beratungen mit Freude entgegen." Schlimm sei, dass die Mieter von den energetischen Sanierungen keinen Nutzen hätten (Zwischenruf von Torsten Hippe: "Genau"). Die Grünen sehen im mietenpolitischen Werkzeugkasten des Bezirks noch mehr Handwerkszeug liegen: Man könne Bebauungspläne mit Auflagen versehen, im Grundbuch Auflagen machen, soziale Klauseln in städtebauliche Verträge einsetzen, Grundstücke bevorzugt an landes- und mietereigene Gesellschaften und Genossenschaften verkaufen. Außerdem müsse man stärker gegen Zweckentfremdung vorgehen.
Kurzfristig jedoch würden auch all diese Werkzeuge nicht wirken. Sebastian Serowy stärkt den Mietern den Rücken: "Lassen Sie sich nicht alles gefallen! Machen Sie es den Vermietern so schwer wie möglich!" Er empfehle allen, sich zu organisieren - und eine Rechtschutzversicherung abzuschließen. Seine Empfehlungen an die Mieter offenbart etwas: Die Ohnmacht der Lokalpolitiker, kurzfristig konkret helfen zu können.