Event für Gründer: Schöner scheitern bei der Berliner "Fuck Up Night"
15 Millionen verloren? Der Prototyp der Erfindung explodiert? Macht nichts! Bei der "Fuck Up Night" erzählen Menschen von ihren Misserfolgen. Am Donnerstag ist es in Kreuzberg soweit.
Für Julia Schramm hat das Jahr gar nicht mal schlecht begonnen. Die 29-Jährige hat einen neuen Job, außerdem hat sie gerade auf ihrer Webseite einen Blog gestartet. „Merkel-Blog“ nennt sie ihn. „Ich will über Angela Merkel schreiben, als junge Politikerin …“, sagt Schramm und hält inne. „Ex-Politikerin“, verbessert sie sich und lacht. Die Ex-Politikerin ist sie. Es gibt Momente, in denen sie sich den Wahnsinn der vergangenen Jahre selbst nur schwer vergegenwärtigen kann. Mit gerade einmal 26 Jahren noch der Riesenerfolg: die Wahl in den Bundesvorstand der Piratenpartei. Und nur Monate später der Rücktritt, digitale Shitstorms, dann auch noch der Niedergang der ganzen Partei. „Wie in Trance“ habe sie das alles erlebt.
Redner sprechen über Scheitern
Darüber möchte Julia Schramm jetzt sprechen. Am Donnerstag wird sie auf der Berliner „Fuck Up Night“ über ihr spektakuläres Scheitern berichten. Das Konzept der Veranstaltung: Drei Redner erzählen vor Publikum, wie sie den Karren einmal richtig schön in den Dreck gefahren haben.
Vor drei Jahren hatten einige junge Unternehmer in Mexico City die Idee zur „Fuck Up Night“. Das Konzept hat sich rasend schnell verbreitet. Mittlerweile gibt es Ableger in mehr als 80 Städten weltweit, wo Menschen von ihren unternehmerischen Schlappen erzählen. Die erste „Fuck Up Night“ im Start-up- Mekka Berlin fand im vergangenen November statt. In Zukunft soll es die Veranstaltung monatlich geben
Darüber zu reden, ist wie eine Katharsis
Julia Schramm wird sich auf der Bühne in guter Gesellschaft befinden: Einer der Sprecher erlebte als Schokoladenhersteller ein finanzielles Fiasko und der dritte Vortragende hat mit einer Aktiengesellschaft 15 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Ist das nicht Selbstgeißelung, das vor Publikum auszubreiten? Nein, sagt Julia Schramm. „Ich sehe die Fuck Up Night wie eine Katharsis.“ Noch vor einem halben Jahr, sagt sie, hätte sie sich wohl dagegen entschieden. „Weil ich mir da noch aktiv als Verliererin vorkam. Jetzt habe ich ein Stadium erreicht, wo ich darüber reden kann.“
Wie sollte man auch aus den Fehlern lernen, wenn man stets so tut, als wären der berufliche Werdegang sowie das Leben überhaupt reine Selbstläufer? „Eine Sehnsucht nach dem Unperfekten“, nennt das Julia Schramm. „Auf den ganzen Hochglanz-Scheiß hat doch keiner mehr Bock.“ Sie versucht es jetzt mal mit dem Gegenteil der ganzen Erfolgs-Suggestion, wie man sie etwa aus sozialen Netzwerken kennt. Schramm erzählt, wie sie ein halbes Jahr nach dem Rücktritt „nur rumgelegen und nichts gemacht“ habe. Wie Freundschaften zerbrochen sind, Bewerbungen reihenweise abgelehnt wurden.
Das Publikum, das sich das anhört, komme nicht aus reinem Voyeurismus, sagt Patrick Wagner, einer der Veranstalter der Berliner Fuck Up Night. Vielmehr gehe es um „Emotionen und Empathie“. Auch wenn sich ein gewisser Entertainment-Faktor nicht leugnen lässt – wie etwa bei der ersten Berliner Fuck Up Night, als ein Redner davon berichtete, wie er 750 000 Euro für die Entwicklung einer Kaffeemaschine bekommen hatte, bei der Präsentation des Prototyps dann das ganze Ding explodierte und die Feuerwehr anrücken musste.
„Ich bin quasi die Mutter aller Fuck Ups“
An Mitgefühl für seine Redner mangelt es dem Veranstalter nicht. „Ich bin quasi die Mutter aller Fuck Ups“, sagt Patrick Wagner. In den Neunzigern betrieb der inzwischen 44-Jährige das erfolgreiche Plattenlabel „Kitty Yo“, galt als Repräsentant der Berliner Coolness, hing mit Depeche Mode in New Yorker Hotels rum, wurde in Talk-Show-Runden an einen Tisch mit Helmut Schmidt geladen. Doch dann zerstritt er sich mit seinem Geschäftspartner, alles ging den Bach runter. Er fing einen neuen Job an, kündigte wieder, gründete ein neues Label mit seiner Frau – und scheiterte 2010 noch mal: Label kaputt, Ehe kaputt.
„Gerade noch bekommst du 800 Mails am Tag. Innerhalb von ein paar Wochen sind es nur noch drei“, sagt Wagner. Er hat sich zurückgezogen, sich darauf konzentriert, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, auf seinen neu gegründeten Kinderfußballverein, auf die Arbeit als Dozent an der Universität der Künste. Als dann mal wieder eine Anfrage kam, von der Fuck Up Night in Düsseldorf, war es erst einmal hart, dass er ausgerechnet zum Scheitern referieren sollte. Doch er wagte sich im vergangenen Oktober als Redner auf die Bühne. Und war so begeistert, dass er die Fuck Up Night gleich nach Berlin holte.
Die Gespräche, die er seitdem führe, seien ganz andere als früher, sagt er. „Die Leute sprechen mich in der Kneipe an und erzählen mir von sich aus, was bei ihnen alles nicht läuft“, sagt er und lacht. „Gerade jetzt um die Jahreszeit gibt es da viele Geschichten.“ Und vielleicht sind das die interessantesten.
Die große Niederlage muss auch nicht immer das Ende der Geschichte sein. Julia Schramm hat durch ihren Ausflug in die Politik immerhin für ihren „Merkel-Blog“ heute eine ziemlich große Plattform. „Dafür habe ich sehr teuer bezahlt. Aber ich habe sie“, sagt Schramm. Patrick Wagner schreibt mit seinem besten Freund und Mitveranstalter der Fuck Up Night an einem Buch über das Scheitern. Und der mit der explodierten Kaffeemaschine hat jetzt einen Vertrag mit einer großen Kaffeerösterei. Nur wird er diesmal die Finger vom Prototyp lassen.
Die zweite Berliner „Fuck Up Night“ findet am Donnerstag, 15. Januar, ab 20 Uhr statt, Rainmaking Loft Berlin, Charlottenstraße. 2, Kreuzberg, Eintritt 5 Euro. www.facebook.com/TheFUNBerlin