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Berliner Mythos: Das Strandbad Wannsee, Blick von der gegenüberliegenden Uferseite
© Maike Raack

Milieustudie am Strandbad Wannsee: Nischt wie Wannsee

65 Jahre ist es her, dass Conny Froboess zum ersten Mal sang: „Pack die Badehose ein… und dann nischt wie raus nach Wannsee." Der Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf wollte wissen: Was ist übrig vom Mythos Strandbad Wannsee?

Ein paar Quellwolken stehen drüben über Kladow. Die Sonne sticht schon auf den korngelben Sand, Sonnencreme zerfließt auf der Haut. Vor der Halbinsel Schwanenwerder zieht – natürlich - ein Schwan souverän über die Nichtschwimmermarkierung. An diesem Dienstagvormittag Anfang Juni ist kaum etwas los im Strandbad Wannsee. Keine Schlange vor dem Tickethäuschen. Ein kurzer Blick in die Umkleideräume: alles leer. Auch die meisten Strandkörbe sind unbesetzt.

Im FKK-Bereich haben Siegmar R. und seine Frau Selija direkt am Wasser die Badetücher ausgebreitet, daneben Badetasche und Thermoskanne.  

„Dort von dem Steg haben wir den Kopfsprung geübt“, R. zeigt mit dem Arm in die Richtung, wo er vor 60 Jahren seinen Freischwimmer gemacht hat. Damals habe der Eintritt 15 Pfennige gekostet. Den Preis von 5,50 Euro heute findet er zu teuer.

Überhaupt, was war das früher schön hier, zu Zeiten seiner ersten Köpper runter vom Steg. „Man lag dicht an dicht, das war richtig gemütlich. Und die ganzen Geschäfte, die es hier gab, der Massagesalon und die kleine Pizzeria, das hatte einfach Flair“, erinnert sich Siegmar R. „Heute mit dem Imbiss gibt es keine Konkurrenz, kein Leben.“ Er blickt sich um und prophezeit: „Das wird nun nicht mehr voller hier. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Parkplätze stark eingeschränkt sind. 350 an der Zahl für Tausende Badegäste!“ Er selbst ist schwer herzkrank; Kopfsprünge, das war einmal, schon das Laufen fällt ihm schwer. Ohne Auto könne er nicht zum Strandbad Wannsee kommen.

Der Schwan ist mittlerweile weiter in Richtung Rutsche geglitten. Auch Barbara K. beobachtet ihn. Die Spandauerin war eine Stunde mit Bus, S-Bahn und dann zu Fuß unterwegs hierher. „Weil ich den Sand hier liebe“, sagt sie. Seit 40 Jahren hat die drahtige Dame mit den kurzen weißen Haaren ihren Stammplatz schon im FKK-Bereich.

Die ganze Welt hat sich in dieser Zeit verändert – hier am Strand zum Beispiel hätten die Aggressionen merklich zugenommen, sagt sie.„Seit sechs Jahren haben wir den Sicherheitsdienst. Irgendwann war hier im FKK-Bereich die Hälfte der Leute angezogen.“ Es wurde gegafft und viele Gäste, auch sie, seien belästigt worden.

Barbara K. und andere FKK-Stammgäste wurden aktiv. Ihren Begriff von Freiheit, eben die Freikörperkultur, und ihr Strandbad, das wollten sie sich nicht nehmen lassen. Sie beschwerten sich, sammelten Unterschriften. Seit zwei, drei Jahren hängen jetzt überall große Schilder am Eingang zum FKK-Bereich. Trotz allem gehe es hier immer noch ruhiger und gesitteter zu als „drüben“ - sie würde sich niemals in den Textilbereich legen.

Während ältere Besucher den alten Zeiten nachtrauern, finden es jüngere Gäste und Touristen am Strandbad Wannsee "knorke"
Während ältere Besucher den alten Zeiten nachtrauern, finden es jüngere Gäste und Touristen am Strandbad Wannsee "knorke"
© Maike Raack

„Drüben“ ist inzwischen mehr los. Einige Kinder plantschen im Uferbereich. Drei Mädchen schwimmen um die Wette und wollen den Schwan einholen.

Vor dem Büro des Schwimmmeisters steht Frank Archie. „Manche der FKK-Leute sind schon speziell“, sagt er. Archie ist hier seit elf Jahren Schwimmmeister und kennt die meisten Stammgäste persönlich. „Sie fühlen sich eben als Bestandteil des Strandbads.“ Eigentlich sollen die Sicherheitsleute im Eingangsbereich Flaschen aus dem Gepäck filtern und ihre Runden am Zaun laufen, um Gäste aufzuhalten, die „schwarz“ ins Strandbad wollen. Aber das Nacktbaden habe Tradition am Strandbad Wannsee, erzählt er: Erstmals wurde es 1942 in einem Strandabschnitt erlaubt. Und die Gäste dort seien auch sehr tolerant, gerade auch gegenüber der homosexuellen Community - schließlich geht der Nacktbadebereich in den wohl größten Schwulenstrand in Berlin über.

In den sechziger Jahren sind die Besucherzahlen zurückgegangen

Auf den historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen in seinem Büro tummeln sich Menschen wie in einem Ameisenhaufen im Strandbad. „1931 kamen an einem Tag 47.000, im Jahr 1947 waren es an einem Tag 53.000 Gäste“, sagt Archie und zeigt auf ein Foto, auf dem der Eiserne Gustav nach seiner Reise nach Paris 1928 gleich am Strandbad vorbeifuhr.

Das Strandbad hat sich seither gewandelt: Die Besucherzahlen schwanken nach Angaben der Berliner Bäder aktuell zwischen 200 und 6000. „Heute können die meisten kaum nachvollziehen, was das Strandbad für die Menschen damals bedeutet hat“, sagt Archie. Viele Berliner, vor allem diejenigen, die sich keine Reise in die Ostseebäder leisten konnten, verbrachten ihre „Sommerfrische“ bis in die fünfziger Jahre mit der ganzen Familie eben hier am Wannsee.

In den sechziger Jahren seien die Besucherzahlen rapide zurückgegangen. Vor allem wegen des Massentourismus in andere Länder und der Konkurrenz durch andere, neue Freibäder seien bis heute viele weggeblieben, erklärt er.

Unter den Weiden tummeln sich laut Schwimmmeister Frank Archie vor allem Badegäste aus Neukölln und dem Wedding
Unter den Weiden tummeln sich laut Schwimmmeister Frank Archie vor allem Badegäste aus Neukölln und dem Wedding
© Maike Raack

Aber nicht nur die Anzahl der Gäste hat sich verändert: „Das Verhalten der Badegäste, aber auch die ganze Gesellschaft, ist heute anders.“

Was aber wohl immer schon so war: Die einzelnen Bezirke haben unter sich intuitiv die Strandabschnitte aufgeteilt, sagt Archie. „In der Nähe der großen Weiden liegen meistens die Leute aus Neukölln und dem Wedding. Da ist dauernd Action. Da packt schon mal einer ein riesiges Melonenmesser aus, um damit sein Brötchen zu schneiden. Dann Richtung Rutsche kommen Charlottenburg und Wilmersdorf. Da geht es ruhig und gediegen zu. Und im FKK-Bereich sind die Zehlendorfer und die Leute aus Dahlem.“

Die unterschiedliche Mischung des Publikums verlange auch entsprechende Umgangsformen vom Personal: „Bei den einen reicht ein Bitte und Danke, bei den anderen muss man gleich den Sicherheitsdienst rufen.“

Unter den Weiden füttern Touristen den Schwan mit Brotkrumen.

Kate ist in Australien aufgewachsen, und die Schiffe und Segelboote auf dem Wannsee erinnern sie sehr an den Stadtstrand und den Hafen daheim in Sydney. Da bekomme sie fast ein wenig Heimweh. „Amazing“, findet auch ihr Mann, „so etwas haben wir zuhause in London leider nicht.“

Mehrere Zehntausend Badegäste besuchten das Strandbad bis in die sechziger Jahre - täglich. Heute könne man sich kaum vorstellen, was das Strandbad für die Menschen damals bedeutet hat, sagt Schwimmmeister Frank Archie
Mehrere Zehntausend Badegäste besuchten das Strandbad bis in die sechziger Jahre - täglich. Heute könne man sich kaum vorstellen, was das Strandbad für die Menschen damals bedeutet hat, sagt Schwimmmeister Frank Archie
© Maike Raack

Auch Michael Klein aus Steglitz liegt vor der Rutsche eigentlich falsch, wenn man von Frank Archies Zuordnung der Strandabschnitte ausgeht. Er kommt seit zwanzig Jahren immer an diese Stelle, auch wenn hier gerade am Wochenende oft und laut Fußball gespielt wird, „ohne Rücksicht auf Verluste“, wie er sagt. „Aber in Freibädern wäre das noch schlimmer, da kann man sich nicht so aus dem Weg gehen wie hier.“

In der ehemaligen Ladenzeile: Der Kosmetiksalon, von dem Herr R. erzählt hatte, die Pizzeria, das Massagestudio - verwaist. Die Farbe an den Ladenfenstern ist abgesplittert, ein Plakat wirbt für die Berliner Bäder. An den Biertischen vor dem Imbiss sitzen jetzt mittags vier Gäste. Eine davon ist Andrea Strunk. Ihre Haare sind noch nass: Bis zur Boje war sie eben schwimmen. Die gebürtige Sauerländerin lebt seit einem Jahr in Wilmersdorf und hat vis à vis der Rutsche ihren Stammplatz. „Es hat sich beim ersten Mal so ergeben“, lacht sie, „und ist dabei geblieben. Ist doch praktisch, hier kann man gleich was trinken oder essen.“ Ein Besuch im Strandbad ist für sie immer ein bisschen wie Urlaub an der See, viel schöner und entspannter als im Freibad. Ja, manchmal werde es lauter, aber deshalb in den ruhigeren FKK-Bereich wechseln? Eher nicht. „Aber fragen Sie mich mal in 20 Jahren, dann bin ich ja auch Stammgast.“

Der Artikel erscheint auf Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Südwesten. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter.

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