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Die Unternehmerinnen Sara Wolf und Milena Glimbovski
© David Heerde

Tante Emma 2.0: Kreuzberger Start-up will Supermarkt ohne Verpackungen eröffnen

Karotten, Nudeln oder Waschpulver: Geht es nach den zwei Unternehmerinnen von "Original unverpackt" gibt es in deutschen Supermärkten bald keine Verpackungen mehr - der Umwelt zuliebe. Sie suchen nach Spendern im Netz und lösen eine Welle aus.

Sara Wolf ist Hobbyköchin. An einem kalten Novembertag beim gemeinsamen Kochen fällt der 30-Jährigen zusammen mit ihrer Freundin Milena Glimbovski mal wieder der Berg an Verpackungsmüll auf. Sie spinnen rum: Wäre es nicht besser, wenn man die Lebensmittel direkt und unverpackt im Supermarkt kaufen könnte? Sie kommen zu dem Schluss: „Das muss möglich sein“ – der Umwelt zuliebe. In ihrem Supermarkt „Original unverpackt“ sollen Kunden ab Sommer diesen Jahres eine Produktpalette von 600 Lebens- und Hausmitteln ohne Verpackung kaufen können. Darunter befinden sich, neben frischem Obst und Gemüse, Reis oder Nudeln, auch Milchprodukte und Waschmittel. Trockenprodukte wie Müsli werden in großen Behältern, sogenannten Bulk Bins, aufbewahrt und können in wiederverwertbare Gefäße abgefüllt werden. Die Menge bestimmt der Kunde. Am Ende wird alles gewogen. Auch Bio-Produkte sollen angeboten werden, aber der Fokus liegt auf dem Precycling-Gedanken. Ein Konzept, das von Anfang an Abfall vermeiden will - etwa durch Verpackungen, die weniger Material verbrauchen, oder Mehrfachgebrauch wie beim Mehrwegsystem von Flaschen.

Heute weiß keiner der beiden was sie vor anderthalb Jahren kochten, aber es soll Wein geflossen sein. Aus den Freundinnen sind in mittlerweile Unternehmerinnen geworden. Kurz danach siegen sie beim Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg. Es folgt ein Stipendium des Softwarekonzerns SAP und des Bundesfamilienministeriums, das junge Start-ups mit sozialem Schwerpunkt unterstützt und einen Arbeitsplatz im Social Impact Lab in Kreuzberg bietet. Die 24-jährige Milena Glimbovski legt ihr Studium der Wirtschaftskommunikation auf Eis, Sara Wolf gibt ihre Stelle auf.

Via Crowdfunding kamen bereits 70 000 Euro zusammen

Ihren ersten Laden wollen sie in Kreuzberg eröffnen, das ist ihr Kiez. Die Suche nach geeigneten Geschäftsräumen ist ihre bisher größte Herausforderung, wie sie selbst sagen. Das Startkapital haben sie innerhalb von 48 Stunden über Crowdfunding finanziert: Mindestens 20 000 Euro hätten sie benötigt, nach sechs von 39 Tagen waren es bereits 70 000 Euro, die von über 2700 Menschen gespendet wurden. Zwischen acht und 300 Euro können die Internetnutzer spenden. Mit dieser guten Resonanz haben die beiden Frauen nicht gerechnet.

Sechs Millionen Tonnen Verpackungsmüll haben die Deutschen im Jahr 2012 laut Statistischem Bundesamt entsorgt. Von gewerblichen und industriellen Endverbrauchern kommen noch einmal 4,2 Millionen Tonnen dazu. Das Umweltbundesamt spricht sogar von knapp 16,5 Millionen Tonnen, die jedes Jahr entstehen.

„Wir stellen den Lieferanten unsere Behältnisse zur Verfügung, die werden dann immer wieder verwendet – es entsteht ein Kreislauf“, erklärt Wolf. Allerdings klappe eine solche Lieferung nicht bei allen Produzenten. Deswegen wollen die beiden Unternehmerinnen hauptsächlich mit kleinen Lieferanten zusammenarbeiten.

Für den Verbraucher soll das aufwendige Konzept nicht teurer sein: Das Preisniveau soll sich nicht dem anderer Supermärkte unterscheiden. Mit Discountern wollen sich Wolf und Glimbovski aber nicht messen.

Für die beiden Jung-Unternehmerinnen soll ihr Berliner Laden nur der Anfang sein. „Wir wünschen uns, dass irgendwann jeder in Deutschland unverpackt einkaufen kann.“, sagt Sara Wolf.

„Samstagvormittag, dem Großeinkaufstag der Deutschen, sollen die Kunden ihren Erdbeerjoghurt einzeln abfüllen?“ Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels, kann sich den verpackungsfreien Supermarkt nur schwer vorstellen. Wie will man dieses Konzept der breiten Masse zugänglich machen?, fragt er. „Und das muss es ja sein, wenn man wirklich Nachhaltigkeit erreichen will.“ Er malt sich aus, wie eine vierköpfige Familie, um ihren Wochenendeinkauf zu erledigen, 20 bis 30 Behältnisse mitbringen muss. Auch hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit und -hygiene hat er Bedenken.

Bei der Veterinär- und Lebensmittelaufsicht Friedrichshain-Kreuzberg hat man noch keine Erfahrung mit dem Konzept. Die Umsetzung der EU-Lebensmittelhygiene-Verordnung liege aber beim Unternehmer, sagt Eva-Maria Mielke von der Behörde.

Zurück zum Einkaufsmodell Tante-Emma-Laden?

Christiane Schnepel vom Umweltbundesamt findet die Idee reizvoll. „Besonders umweltfreundlich wäre es, wenn dadurch Aluminiumverpackungen reduziert werden, wie etwa die Bierdose. Hier ist der Energieaufwand bei der Produktion im Vergleich zur Mehrwegverpackungen besonders hoch.“ Allerdings nehme der Kunde auch eine hohe Belastung auf sich, weil er sein Kaufverhalten im Vorfeld planen muss. Wolf und Glimbovski widersprechen: Es werde auch wiederverwertbare Behälter zu kaufen geben, sodass Spontankäufe sehr wohl möglich seien.

Zurück zum Einkaufsmodell Tante-Emma-Laden? „Bei einer ganz bestimmten Kundschaft in einigen Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg kann mir ich vorstellen, dass es funktioniert.“, meint der Sprecher Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels.

Allerdings, was die jungen Frauen nun als Supermarkt planen, gibt es auch in anderen Städten wie Wien oder Kiel, im Kleinen sogar schon in Berlin. Im Neuköllner Laden „Biosphäre“ in der Weserstraße können sich Kunden 19 Trockenprodukte wie Müsli, Nüsse oder Reis abfüllen. Seit einem Monat gibt es das Angebot, das von den Kunden laut Fatih Yavuz positiv angenommen wird. „Verpackungen stören viele Kunden. Und es ist günstiger“, sagt der Verkäufer.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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