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I love Kotti. So klar geliebt wird der Kotti nicht von jedem Berliner.
© Johannes Ehrmann

Kreuzberger Plätze (1): Kotti, Berliner Mainstream

Am Kottbusser Tor trinkt man soziale Biere und begegnet asozialen Typen mit Fighter-Frisur. Oder kann er noch überraschen, der Kotti? Für den Kreuzberg Blog blickt unser Autor hinter die Kulissen des Kreuzberger Mainstreams.

The place called Kotti, der oder das, wie man will, braucht eigentlich keine Einführung mehr. Kotti, das ist Kreuzberg. Kotti, das ist auch längst Mainstream. Den „coolen Vorhof zur Hölle“ nannte ihn die „Süddeutsche“, Peter Fox stapfte hier vor Jahren schon singend durch die Kotze, während Schwarz zu Blau wurde. Das Schöne am Kotti: Er ist selbst nachts um kurz nach Null Uhr einfach nur hässlich. Feiervolk, Sprittis, Junkies und andere Suchende, sie alle ziehen hier aneinander vorbei, dicht an dicht, jeder in seinem eigenen Film, an der U-Bahn-Schnittstelle mit mächtig Lärm auf allen Ebenen, nicht nur im notorisch verstopften Verkehrskreisel.

Morgens um kurz nach neun ist der Kotti noch schlaftrunken. Der frühe Morgen, das ist nicht seine Zeit. In den Imbissbuden sind die Dönerspieße schon montiert, aber sie drehen sich noch nicht, rohes Warten, 50 Kilo pro Spieß. Oben am Zentrum Kreuzberg, auf einem der hundert Balkone, ist eine türkische Flagge zu sehen, nur eine, wie zum Beweis, dass es stimmt: dass immer mehr Türken hier wegziehen müssen. Gegenüber ragt die Stadtteil-Bibliothek sauber und grün aus all dem Taubendreck, hier soll mal Bushidos Mutter geputzt haben. Lange her. Fuck the police, steht in sorgfältiger, schwarzer Schrift an der Wand neben dem Bankautomaten, auf Armhöhe rechts. Der Bankraum stinkt warm nach Bier, den Ausdünstungen der letzten Nacht, die unter Umständen erst vor ein paar Minuten zu Ende gegangen ist.

Still liegen sie noch, die Straßen am Kottbusser Tor. Heruntergelassenes Gitter beim Grünen-Wahlkreisbüro, Ströbeles Headquarter, geöffnet nur Montagmorgen, Dienstagmorgen und Donnerstagnachmittag. Absolute Mehrheit eh garantiert, „We love you“ hat jemand unter Ströbeles Namen gepinselt. Und, ja, hier, in den schmalen Gassen zwischen Kotti und Oranienstraße, hängt er wirklich noch in der Luft, der Geruch nach nasser Asche, schwer senkt er sich zwischen die Altbauten. Die einzigen, die morgens am Kotti unterwegs sind, mit irgendeinem Ziel, sind deutsche Enddreißiger mit ihren Kindergarten-Kids, die in Schneeanzügen und Ringelmützchen neben ihrem Papa herzotteln, na, was bist du, Käptn Schlurfi, fragt der Vater. Selber Käptn Urfi, antwortet der Sohn. Jaja, sagt der Vater.

Die Verlorenen vom Kottbusser Tor

In der verlängerten Reichenberger, am engen U-Bahn-Ausgang, stehen die, die kein Ziel haben und keine Arbeit, nicht an diesem Vormittag, gestern oder sonst irgendwann. Ihr Leben kennt keine Termine mehr, gliedert sich nicht in Tag und Nacht, sie halten sich an braunen Flaschen fest, murmeln sich Satzfetzen zu, kannste mal, willste auch, kommste mit, graue Gesichter und tätowierte Tränen. Wir sind noch da.

Und unten am Bahnsteig, U8, steht eine ganz alleine, mit dem Rücken zu den einfahrenden Bahnen, wippt auf und ab, blondierte Strähnen wild und wüst in der Stirn, die Schuhe zerrissen, die Jacke zerbeult. Zwei Polizisten sprechen mit ihr, versuchen etwas Sinn zu stiften, nach ein paar Minuten ziehen sie wieder ab, lassen die Frau in Ruhe, die nur alleine sein will mit sich und ihren Welten, sie steht weiter da, wippend, schweigend, Rücken zum Gleis. Kein anderer hier steht mit dem Rücken zum Gleis.

In der Bäckerei Kiran kostet die Pogaca mit Schafskäsefüllung 60 Cent. Drei Stück: 1,50 Euro. Sie werden über die vielleicht längste Theke Berlins gereicht. Vorne betritt man die Bäckerei über einen Dönerladen. Hinten läuft sie in einer kleinen, schäbigen Einkaufspassage aus. Türkisches Reisebüro, mazedonischer Barbier, Männer, die aus Fenstern starren. Auf das Minarett der Mevlana Moschee, das sich hinter der U-Bahn-Trasse erhebt. Abwarten, Teetrinken - mittags am Kotti. „Chai dauert aber“, sagt die Frau. „Ok, dann doch einen kleinen Kaffee.“ Der Kaffee ist stark, aber was hat man erwartet?

Todsichere Wetten am Kotti

Zentrum Kreuzberg. Erste Etage. Gleich neben dem Café Kotti, direkt über der Adalbertstraße: tipico. Ort für todsichere Wetten, auch schon am Mittag. Piroozi Persepolis oder Esteghlal Teheran? Oder doch lieber San Miguel gegen TNT Tropang, das Bier-Sprengstoff-Derby im Basketball? Astronomische Quoten bei FC Jurmala gegen HJK Helsinki, 15 für Sieg Jurmala, 8,5 für ein Unentschieden. Also einmal auf Remis, klassische Anfängerwette, denn wer nur nach Quoten setzt, hat schon verloren. Was soll's, auf den gleichen Schein noch ein Siegtipp für San Miguel, hat ja damals im Spanien-Urlaub immer so gut geschmeckt, und schon sind zwei Euro weg. Dabei sein ist alles.

Am Nachmittag dann: Zwei schlimme Assis, schwarze Trainingsanzüge, die mit den Kapuzen dran, um den Hals goldene Kettchen, im Nacken die klassische Fighter-Fasson. Kommen direkt auf einen zu. Und was gibt’s jetzt, auf die Fresse? Stattdessen fragen die beiden Halunken in reinstem Cockney nach dem Weg zum Checkpoint Charlie. Alright, thanks, mate, have a good one. Sie drehen sich um, gehen zur U-Bahn, schweren Schrittes, dem einen ragt ein Stadtplan aus der Schlabberhose.

Kaisers am Kotti - Treffpunkt und Fluchtpunkt

An der Ecke von Kaiser's, kurz nach halb neun, unterm Häuservorsprung, spielt einer seinen E-Bass. Mozart. Türkischer Marsch. Die Menschen gehen vorbei, kaum einer schaut hin. Der einzige, der zuhört, ist ein Obdachloser, der, Plastikbecher in der Hand, daneben kauert, die Augen zwei Schlitze. Der Bassist hat eine bunte Wollmütze auf, neben ihm steht ein winziger Verstärkerkasten. Er heißt Dimitri. Von Beruf Musiker? - Ja, sagt er, nein, sagt er. „Beruflicher Straßenmusiker.“ Aus dem Kaukasus komme er. In der aufgeklappten Basshülle liegen ein paar Münzen. Und was ist ein guter Abend? - Fünfzehn Euro, sagt er. Ich brauche nicht viel. Was soll ich spielen, fragt er und reibt sich die Finger. Bach? Dann spielt er die erste Cello-Suite, erster Satz. Nach den ersten Takten kommt einer aus dem Supermarkt und zieht auf einer klapprigen Sackkarre einen Kasten Augustiner hinter sich her. Er ist kaum um die Ecke, da knallt ihm der Kasten aufs holprige Kreuzberger Pflaster. Es ist wie ein Tusch, den Bach nie komponiert hätte.

Der Quartiersmeister vom Kotti

In der Multi-Layer-Bar sitzt man am späten Abend auf gestapelten Euro-Paletten. Von der Decke hängen Teelichter und ein Flohmarkt-Kronleuchter. An die Wand hinter der Bar wird ein Gameboy-Spiel projiziert. Das Bier ist gemeinnützig und heißt Quartiermeister. Für jede Flasche, die hier getrunken wird, fließt Geld in soziale Nachbarschaftsprojekte. Obacht vor dem Taschendieb, steht über der Tür, auch hier. „Ja, wir haben hier immer mal wieder ein paar Jugendliche“, sagt der Barmann, aus den umliegenden Häusern. „Die wollen auch ein bisschen profitieren, sagen wir's mal so. Die stehen dann am Eingang rum und schauen, wo vielleicht eine Tasche rumliegt oder eine Jacke. Aber mittlerweile haben wir das ganz gut im Griff.“ Im Lonely-Planet stehen sie noch nicht. Ist schon okay hier, sagt der Barmann, wir sind einerseits mittendrin, andererseits weit genug weg vom Laufpublikum, dass wir keine Junggesellengruppen oder so einen Mist hier haben. Es entspinnt sich eine dieser Unterhaltungen, in deren Verlauf es immer unklarer wird, wer hier eigentlich wen verdrängt.

Zum Quartiermeister wird dann noch eine Runde Grasovka bestellt. Und übrig bleibt ein Satzfetzen, gesprochen in der dunklen Schlucht zwischen den Sozialbauten, direkt gegenüber vom jetzt dunklen Spielplatz mit seinem kalten Sand: „Das ist ja hier eine ziemlich fancy Lokalität.“

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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