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Serpil Sönmez und ihr Mitarbeiter Ergün Emirzeoglu haben Jahre lang hier die Kunden zufrieden gestellt. Nun soll statt ihnen eine Dönerkette hier aufmachen
© Raack

Bahn kündigt Läden am Bahnhof Berlin-Wannsee: Kleiner Döner gegen die große Deutsche Bahn

Allen Ladenbetreibern am Vorplatz des S-Bahnhofs Wannsee wurde kürzlich der Mietvertrag gekündigt. Vermieterin ist die Deutsche Bahn. Die will dort umstrukturieren: Die kleinen Läden sollen raus, eine Dönerkette rein. Ein kleiner Dönerladen wehrt sich.

Ein für Mai ungewöhnlich kühler Windhauch treibt ein paar Blütenblätter über das Kopfsteinpflaster am S-Bahnhof Wannsee. Vom nahe gelegenen Yachthafen am Großen Wannsee sieht man die Spitzen der Segelmasten sanft schaukeln, die Liebermann-Villa und das Haus der Wannsee-Konferenz sind um die Ecke. Doch der Vorplatz des S-Bahnhofs wirkt verwaist an diesem Vormittag. Dunkle Scheiben, heruntergelassene Rollläden - teilweise seit Jahren stehen zwei Geschäfte der Ladenzeile leer. Der Putz an der halbkreisförmig geschwungenen Fassade ist mitgenommen von Wind und Regen. Wie bunte Tüpfelchen dazwischen das Kebab Haus, ein kleiner Blumenladen und ein Eiscafé, daneben der Wannsee Imbiss. Alles wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen, das alte West-Berlin lässt grüßen. Nur Bäcker Steinicke an der Ecke ist rausgeputzt: Frischer Anstrich, das rote Firmenschild glänzt.

„Wannsee, das war mal“, sagt Rolf Faustmann trocken. Er ist Inhaber des Eiscafés „Faustmanns kleines Café“. In der dritten Generation betreibt er seinen Laden. Sein Großvater hat in den 1950er Jahren „Faustmanns kleines Café“ am S-Bahnhof Wannsee eröffnet. „Dieses Jahr hätten wir ein schönes Jubiläum feiern können“, sagt er. Hätten. Denn so wie alle Ladenbetreiber, außer Bäcker Steinicke, hat er vor kurzem vom Vermieter seine Kündigung erhalten. Ende März teilte ihm die Immobilienabteilung der Deutschen Bahn mit, dass sein Vertrag nicht mehr verlängert wird. Faustmann ist enttäuscht, denkt im Moment viel an die "alten Zeiten". „Früher konnte man hier an heißen Tagen richtig viel Geld machen. Aber jetzt? Die Leute gehen eben nur noch in ihre Center. Der Einzelhandel stirbt.“ Vor ein paar Jahren sei das noch ganz anders gewesen, als der Reiseverkehr noch über den DB-Knotenpunkt Wannsee lief. Es gab ein Reisebüro neben seinem Eiscafé, da waren ein Uhrengeschäft, eine Boutique und eine Parfümerie. Alle haben dicht gemacht. „Heute sind wir nur noch Fresszeile hier“, sagt Rolf Faustmann bedauernd und türmt einem Passanten eine großzügige Kugel Vanilleeis auf die Waffel.

Eine Wannseer Institution: Seit 65 Jahren gibt es bei Faustmann selbst gemachtes Eis, Kaffee und Kuchen
Eine Wannseer Institution: Seit 65 Jahren gibt es bei Faustmann selbst gemachtes Eis, Kaffee und Kuchen
© Raack

Am 31. März 2016 muss er dann seinen Laden abschließen. Die Bahn habe ihm aber angeboten, sein Café zwei Türen weiter zu eröffnen. „Da würde ich mich von 75 auf 25 Quadratmeter verkleinern - bei gleichem Mietpreis und ohne Lagermöglichkeit.“ Er führt uns vorbei an Himbeer, Walnuss-Feige und Schokolade nach hinten durch den selbstgebauten Anbau, wo er in den Zubern und Kesseln seine 24 Eissorten herstellt. Eine S-Bahn summt gerade vorbei. Direkt hinter dem Zaun verlaufen die Schienen, vom Zaun hoch bis unter das Dach des Anbaus wuchert der wilde Wein, beinahe wie in den Tropen. An heißen Tagen könnten sich hier die Mitarbeiter auch mal von dem Rummel im Laden ausruhen, sagt er stolz. „Aber das muss ich alles rückbauen. Die wollen alles so haben, wie mein Großvater den Laden vor 65 Jahren übernommen hat.“ Das sei schon alles ein starkes Stück. Eine Alternative hat er noch nicht. Aber irgendwas müsse er sich überlegen, “irgendwas machen muss ich, ich bin ja erst 52.“

Zwei Türen weiter: betretene Gesichter auch hier. Familie Sönmez wurde schon vor einem Jahr gekündigt. Fristgerecht zum Oktober 2014. Doch der kleine Dönerladen wehrt sich gegen den großen Gegner, die Deutsche Bahn. „Wir haben Angst, wieder von Null anzufangen. Vor dem Nichts zu stehen, nach allem was wir hier über die Jahre investiert haben.“ Frau Sönmez ist gefasst, aber wie es scheint, kann sie das Ganze immer noch nicht glauben.

Dabei lief alles so gut: Seit zwölf Jahren verkauft ihr Mann Cahit Sönmez hier Döner und Pizza, seit 2010 gehört ihm und seiner Familie das Kebab Haus. 2013 hat er bei der Bahn angefragt, ob er die seit 2012 leer stehende Gewerbefläche nebenan zusätzlich anmieten könne. Herr und Frau Sönmez wollten sich vergrößern, reichten ein Konzept bei der Bahn ein. Sogar einen Lieferservice hatten sie vor, anzubieten. „Anfang 2014 haben wir ein Gespräch mit unserer Ansprechpartnerin von der Deutschen Bahn geführt, sie war von unseren Plänen sehr angetan. Unsere Bewerbung sei in Bearbeitung hieß es danach schriftlich. Wir hätten auch die Lizenzgebühr von 50.000 Euro bezahlen können.“ Drei Wochen später dann: die Kündigung. Familie Sönmez hat reagiert: 4000 Unterschriften haben sie von ihren Kunden gegen die Kündigung gesammelt. Und Widerspruch eingelegt. Nun läuft eine Räumungsklage gegen sie. Gerichtstermin war im April 2015, doch ihr Anwalt Michael Depel hat den Richter als befangen abgelehnt: Er habe Herrn Sönmez keinen Dolmetscher zukommen lassen wollen. „Die Mitarbeiter der Bahn waren in den Gesprächen immer sehr ruppig und unproduktiv, auch der Richter“, meint Depel. Nun müsse man auf die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch warten. In zweiter Instanz wolle man dann Räumungsschutz beantragen. Aber erstmal wäre das Verfahren geblockt.

Was für Familie Sönmez besonders bitter ist: Es soll wohl wieder Döner hier verkauft werden. Denn - offiziell bekannt ist es noch nicht - anscheinend handelt es sich bei dem neuen Mieter der Gewerbeeinheiten um die k.bap GmbH. Dort nachgefragt, bestätigt eine Mitarbeiterin des Franchise-Unternehmens dies dem Tagesspiegel auch direkt am Telefon. Und von dort kam ein Mitarbeiter zu den Sönmez’ und bot ihnen an, den Laden als Partner für die Kette k.bap zu betreiben.

Doch das kommt für Familie Sönmez nicht in Frage. „Da ist alles vorgeschrieben, und man hat dann fast keinen Gewinn. Da wären wir doch nur Leiharbeiter“, sagt Veysel Tasyumruk, Bruder von Frau Sönmez und Betreiber des Wannsee Imbiss 50 Meter weiter. „Wir möchten unser eigenes Ding machen.“ Während er das sagt, wendet Herr Tasyumruk die Würstchen auf dem Grill seines Ladens. Eigentlich ideale Voraussetzungen: die ganze Familie im gleichen Metier tätig, tüchtige Geschäftsleute seit mehr als zehn Jahren. „Organisatorisch und vom Management her, aber auch finanziell könnten wir das schon stemmen“, sagt er.  

Warum will die Bahn das eigentlich nicht? Ein DB-Sprecher sagt uns auf unsere Anfrage: “Die Bedürfnisse unserer Kunden stehen bei uns an erster Stelle. Aus diesem Grund haben wir es uns zum Ziel gemacht, den Branchenmix an diesem Standort mit attraktiven neuen Konzepten sukzessive zu optimieren.“ Vorreiter am Bahnhof Wannsee sei da die Bäckerei Steinecke, welche von den DB-Kunden und den Anwohnern sehr gut angenommen werde.

Die Kunden sehen das aber, wie es scheint, anders. Ein Kunde isst bei Familie Sönmez gerade Nudeln vom Pappteller und meint: „Der Laden hier hat mich mehr angezogen als Steinicke. Die sind zu teuer und der Laden hier sieht auch schöner aus.“ Auch eine Radlerin in Rennradkluft bestellt ein Sandwich bei Herrn Sönmez. Sie ist hier seit Jahren Stammkundin, und meint, Kunden und Ladenbetreiber seien wie eine Familie. Und sie sei „stinksauer, wenn die hier rausmüssen. Das ist hier seit Jahren unsere Anlaufstelle, wenn wir Pause machen. Das ist Tradition. Und wenn wieder ein Dönerladen hier rein soll, dann können die doch gleich drin bleiben!“

In diesem Moment hält ein Fahrradpulk skandinavischer Touristen vor der Bäckerei Steinicke - und gehen vorbei, bestellen sich geschlossen Döner und Pizza im Kebab Haus.

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint. Folgen Sie Maike Edda Raack auch auf Twitter.n.

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